Die Creationslehre stammt aus dem Judenthum; sie ist selbst die charakteristische Lehre, die Fundamentallehre der jüdi- schen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt, ist aber nicht sowohl das Princip der Subjectivität, als viel- mehr des Egoismus. Die Creationslehre in ihrer charakte- ristischen Bedeutung entspringt nur auf dem Standpunkt, wo der Mensch praktisch die Natur nur seinem Willen und Be- dürfniß subjicirt, und daher auch in seiner Vorstellungskraft zu einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degra- dirt. Jetzt ist ihm ihr Dasein erklärt, indem er sie aus sich, in seinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher ist die Natur oder Welt? setzt eigentlich eine Verwunderung dar- über voraus, daß sie ist, oder die Frage: warum sie ist? Aber diese Verwunderung, diese Frage entsteht nur da, wo sich der Mensch bereits von der Natur separirt und sie zu einem bloßen Willensobject gemacht hat. Der Verfasser des Buchs der Weisheit sagt mit Recht, daß "die Heiden vor Bewun- derung der Schönheit der Welt sich nicht zum Begriffe des Schöpfers erhoben hätten." Wem die Natur ein schönes Object ist, dem erscheint sie als Zweck ihrer selbst, für den hat sie den Grund ihres Daseins in sich selbst, in dem entsteht nicht die Frage: warum ist sie? Der Begriff der Na- tur und Gottheit identificirt sich in seinem Bewußtsein, seiner Anschauung von der Welt. Die Natur, wie sie in seine Sinne fällt, ist ihm wohl entstanden, erzeugt, aber nicht er- schaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit diesem Entstandensein drückt er nichts Arges aus; die Entstehung in- volvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt sich
Die Bedeutung der Creation im Judenthum.
Die Creationslehre ſtammt aus dem Judenthum; ſie iſt ſelbſt die charakteriſtiſche Lehre, die Fundamentallehre der jüdi- ſchen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt, iſt aber nicht ſowohl das Princip der Subjectivität, als viel- mehr des Egoismus. Die Creationslehre in ihrer charakte- riſtiſchen Bedeutung entſpringt nur auf dem Standpunkt, wo der Menſch praktiſch die Natur nur ſeinem Willen und Be- dürfniß ſubjicirt, und daher auch in ſeiner Vorſtellungskraft zu einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degra- dirt. Jetzt iſt ihm ihr Daſein erklärt, indem er ſie aus ſich, in ſeinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher iſt die Natur oder Welt? ſetzt eigentlich eine Verwunderung dar- über voraus, daß ſie iſt, oder die Frage: warum ſie iſt? Aber dieſe Verwunderung, dieſe Frage entſteht nur da, wo ſich der Menſch bereits von der Natur ſeparirt und ſie zu einem bloßen Willensobject gemacht hat. Der Verfaſſer des Buchs der Weisheit ſagt mit Recht, daß „die Heiden vor Bewun- derung der Schönheit der Welt ſich nicht zum Begriffe des Schöpfers erhoben hätten.“ Wem die Natur ein ſchönes Object iſt, dem erſcheint ſie als Zweck ihrer ſelbſt, für den hat ſie den Grund ihres Daſeins in ſich ſelbſt, in dem entſteht nicht die Frage: warum iſt ſie? Der Begriff der Na- tur und Gottheit identificirt ſich in ſeinem Bewußtſein, ſeiner Anſchauung von der Welt. Die Natur, wie ſie in ſeine Sinne fällt, iſt ihm wohl entſtanden, erzeugt, aber nicht er- ſchaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit dieſem Entſtandenſein drückt er nichts Arges aus; die Entſtehung in- volvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt ſich
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Die Bedeutung der Creation im Judenthum.
Die Creationslehre ſtammt aus dem Judenthum; ſie iſt
ſelbſt die charakteriſtiſche Lehre, die Fundamentallehre der jüdi-
ſchen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt,
iſt aber nicht ſowohl das Princip der Subjectivität, als viel-
mehr des Egoismus. Die Creationslehre in ihrer charakte-
riſtiſchen Bedeutung entſpringt nur auf dem Standpunkt, wo
der Menſch praktiſch die Natur nur ſeinem Willen und Be-
dürfniß ſubjicirt, und daher auch in ſeiner Vorſtellungskraft zu
einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degra-
dirt. Jetzt iſt ihm ihr Daſein erklärt, indem er ſie aus ſich,
in ſeinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher iſt
die Natur oder Welt? ſetzt eigentlich eine Verwunderung dar-
über voraus, daß ſie iſt, oder die Frage: warum ſie iſt? Aber
dieſe Verwunderung, dieſe Frage entſteht nur da, wo ſich der
Menſch bereits von der Natur ſeparirt und ſie zu einem bloßen
Willensobject gemacht hat. Der Verfaſſer des Buchs der
Weisheit ſagt mit Recht, daß „die Heiden vor Bewun-
derung der Schönheit der Welt ſich nicht zum Begriffe
des Schöpfers erhoben hätten.“ Wem die Natur ein
ſchönes Object iſt, dem erſcheint ſie als Zweck ihrer ſelbſt,
für den hat ſie den Grund ihres Daſeins in ſich ſelbſt, in dem
entſteht nicht die Frage: warum iſt ſie? Der Begriff der Na-
tur und Gottheit identificirt ſich in ſeinem Bewußtſein,
ſeiner Anſchauung von der Welt. Die Natur, wie ſie in ſeine
Sinne fällt, iſt ihm wohl entſtanden, erzeugt, aber nicht er-
ſchaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht
ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit dieſem
Entſtandenſein drückt er nichts Arges aus; die Entſtehung in-
volvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt ſich
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/160>, abgerufen am 12.12.2024.
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