klären; aber es ist gänzlicher Mißverstand, solche Forderung an die Creation zu stellen; denn es liegt dieser der Gedanke zu Grunde: es soll keine Welt, keine Materie sein; und es wird daher auch täglich ihrem Ende sehnlichst entgegengeharrt. Die Welt in ihrer Wahrheit existirt hier gar nicht; sie ist nur als der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenstand; wie sollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei- nem Princip, das die Welt negirt, sich deduciren, begründen lassen?
Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen, bedenke man nur dieß Eine ernstlich, daß es sich in der Crea- tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von Wasser und Erde, für die ja kein Gott ist, sondern um die Schöpfung von persönlichen Wesen, von Geistern, wie man zu sagen pflegt, handelt. Gott ist der Begriff oder die Idee der Persönlichkeit als selbst Person, die in sich selbst seiende von der Welt abgeschlossene Subjectivität, das als ab- solutes Sein und Wesen gesetzte bedürfnißlose Fürsichselbstsein, das Ich ohne Du. Da aber das absolute nur für sich selbst Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe widerspricht, da das Selbstbewußtsein wesentlich gebunden ist an das Bewußtsein eines Du, da in die Dauer wenigstens die Einsamkeit sich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit und Einförmigkeit bewahren kann: so wird sogleich von dem göttlichen Wesen fortgeschritten zu andern bewußten Wesen, der Begriff der Persönlichkeit, der zuvörderst nur in Ein We- sen condensirt ist, zu einer Vielheit von Personen erweitert *).
*) Hier ist auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche Macht, sondern auch die göttliche Liebe repräsentirt. Quia bonus est (Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für
klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu Grunde: es ſoll keine Welt, keine Materie ſein; und es wird daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei- nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen laſſen?
Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen, bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea- tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die Schöpfung von perſönlichen Weſen, von Geiſtern, wie man zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die Idee der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon, die in ſich ſelbſt ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab- ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein, das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen, der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We- ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert *).
*) Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. Quia bonus est (Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0158"n="140"/>
klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung<lb/>
an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu<lb/>
Grunde: es <hirendition="#g">ſoll</hi> keine Welt, keine Materie ſein; und es wird<lb/>
daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die<lb/>
Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als<lb/>
der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie<lb/>ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei-<lb/>
nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen<lb/>
laſſen?</p><lb/><p>Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen,<lb/>
bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea-<lb/>
tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von<lb/>
Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die<lb/>
Schöpfung von perſönlichen Weſen, von <hirendition="#g">Geiſtern</hi>, wie man<lb/>
zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die <hirendition="#g">Idee<lb/>
der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon</hi>, die in ſich ſelbſt<lb/>ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab-<lb/>ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein,<lb/>
das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt<lb/>
Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe<lb/>
widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt<lb/>
an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens<lb/>
die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit<lb/>
und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem<lb/>
göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen,<lb/>
der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We-<lb/>ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert <notexml:id="note-0158"next="#note-0159"place="foot"n="*)">Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche<lb/>
Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. <hirendition="#aq">Quia bonus est<lb/>
(Deus), sumus. (Augustin.)</hi> Anfangs, vor der Welt war Gott allein für</note>.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[140/0158]
klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung
an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu
Grunde: es ſoll keine Welt, keine Materie ſein; und es wird
daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die
Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als
der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie
ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei-
nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen
laſſen?
Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen,
bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea-
tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von
Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die
Schöpfung von perſönlichen Weſen, von Geiſtern, wie man
zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die Idee
der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon, die in ſich ſelbſt
ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab-
ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein,
das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt
Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe
widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt
an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens
die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit
und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem
göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen,
der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We-
ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert *).
*) Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche
Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. Quia bonus est
(Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/158>, abgerufen am 12.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.