auch; mein eignes Interesse ist also das Interesse Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eig- ner Endzweck Gottes Zweck; -- die Liebe Gottes zu mir nichts als meine vergötterte Selbstliebe. Woran glaube ich also in der Vorsehung, als an die göttliche Realität und Bedeutung meines eignen Wesens?
Aber wo die Vorsehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorsehung abhängig ge- macht. Wer läugnet, daß eine Vorsehung ist, läugnet, daß Gott ist; oder -- was dasselbe -- Gott Gott ist; denn ein Gott, der nicht die Vorsehung des Menschen, ist ein lächer- licher Gott, ein Gott, dem die göttlichste, anbetungswürdigste Wesenseigenschaft fehlt. Folglich ist der Glaube an Gott nichts als der Glaube an die menschliche Würde*), der Glaube des Menschen an die absolute Realität und Bedeutung seines Wesens. Aber der Glaube an die (re- ligiöse) Vorsehung ist der Glaube an die Schöpfung aus Nichts und vice versa: diese kann also auch keine andere Bedeutung haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorsehung, und sie hat auch wirklich keine andere. Die Religion spricht dieß hinlänglich dadurch aus, daß sie den Menschen als den Zweck der Schöpfung setzt **). Alle Dinge sind um des Menschen willen, nicht um ihretwillen. Wer diese Lehre, wie die from- men christlichen Naturforscher, als Hochmuth bezeichnet, erklärt das Christenthum selbst für Hochmuth; denn daß die
**) Bekanntlich sagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. (Cicero de nat. Deor. l. II.)
auch; mein eignes Intereſſe iſt alſo das Intereſſe Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eig- ner Endzweck Gottes Zweck; — die Liebe Gottes zu mir nichts als meine vergötterte Selbſtliebe. Woran glaube ich alſo in der Vorſehung, als an die göttliche Realität und Bedeutung meines eignen Weſens?
Aber wo die Vorſehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorſehung abhängig ge- macht. Wer läugnet, daß eine Vorſehung iſt, läugnet, daß Gott iſt; oder — was daſſelbe — Gott Gott iſt; denn ein Gott, der nicht die Vorſehung des Menſchen, iſt ein lächer- licher Gott, ein Gott, dem die göttlichſte, anbetungswürdigſte Weſenseigenſchaft fehlt. Folglich iſt der Glaube an Gott nichts als der Glaube an die menſchliche Würde*), der Glaube des Menſchen an die abſolute Realität und Bedeutung ſeines Weſens. Aber der Glaube an die (re- ligiöſe) Vorſehung iſt der Glaube an die Schöpfung aus Nichts und vice versa: dieſe kann alſo auch keine andere Bedeutung haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorſehung, und ſie hat auch wirklich keine andere. Die Religion ſpricht dieß hinlänglich dadurch aus, daß ſie den Menſchen als den Zweck der Schöpfung ſetzt **). Alle Dinge ſind um des Menſchen willen, nicht um ihretwillen. Wer dieſe Lehre, wie die from- men chriſtlichen Naturforſcher, als Hochmuth bezeichnet, erklärt das Chriſtenthum ſelbſt für Hochmuth; denn daß die
**) Bekanntlich ſagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. (Cicero de nat. Deor. l. II.)
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auch; mein eignes Intereſſe iſt alſo das Intereſſe
Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eig-
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mir nichts als meine vergötterte Selbſtliebe. Woran
glaube ich alſo in der Vorſehung, als an die göttliche Realität
und Bedeutung meines eignen Weſens?
Aber wo die Vorſehung geglaubt wird, da wird der Glaube
an Gott von dem Glauben an die Vorſehung abhängig ge-
macht. Wer läugnet, daß eine Vorſehung iſt, läugnet, daß
Gott iſt; oder — was daſſelbe — Gott Gott iſt; denn ein
Gott, der nicht die Vorſehung des Menſchen, iſt ein lächer-
licher Gott, ein Gott, dem die göttlichſte, anbetungswürdigſte
Weſenseigenſchaft fehlt. Folglich iſt der Glaube an Gott
nichts als der Glaube an die menſchliche Würde *), der
Glaube des Menſchen an die abſolute Realität und
Bedeutung ſeines Weſens. Aber der Glaube an die (re-
ligiöſe) Vorſehung iſt der Glaube an die Schöpfung aus Nichts
und vice versa: dieſe kann alſo auch keine andere Bedeutung
haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorſehung, und
ſie hat auch wirklich keine andere. Die Religion ſpricht dieß
hinlänglich dadurch aus, daß ſie den Menſchen als den Zweck
der Schöpfung ſetzt **). Alle Dinge ſind um des Menſchen
willen, nicht um ihretwillen. Wer dieſe Lehre, wie die from-
men chriſtlichen Naturforſcher, als Hochmuth bezeichnet,
erklärt das Chriſtenthum ſelbſt für Hochmuth; denn daß die
*) Qui Deos negant, Nobilitatem generis humani destruunt.
(Baco. Verul. Serm. Fidel. 16.)
**) Bekanntlich ſagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa
factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. (Cicero de nat. Deor.
l. II.)
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/151>, abgerufen am 12.12.2024.
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