Negativen. Der Cultus selbst besteht in nichts Anderm als in der fortwährenden Erneuerung des Ursprungs der Religion -- in der kritischen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen vom Ungöttlichen.
Das göttliche Wesen ist das durch den Tod der Ab- straction verklärte menschliche Wesen -- der abgeschie- dene Geist des Menschen. In der Religion befreit sich der Mensch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen, was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott ist das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl des Men- schen; frei, glücklich, selig fühlt sich der Mensch nur in seiner Religion, weil er nur hier seinem Genius lebt, seinen Sonn- tag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen Idee liegt für ihn außer dieser Idee -- die Wahrheit dersel- ben schon im Urtheil, darin, daß Alles, was er von Gott ausschließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Ver- mittlung dieser Idee in die Idee selbst aufnehmen, so würde sie ihre wesentlichste Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren beseligenden Zauber verlieren. Das göttliche Wesen ist die reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, sich nur zu sich selbst verhaltende, nur sich selbst genie- ßende, sich selbst feiernde Subjectivität des Menschen -- sein subjectivstes Selbst, sein Innerstes. Der Proceß der Absonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-in- telligenten, der Persönlichkeit von der Natur, des Vollkomm- nen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Sub- ject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an den Anfang, sondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt, der Natur -- "wo die Natur aufhört, fängt Gott an"
Negativen. Der Cultus ſelbſt beſteht in nichts Anderm als in der fortwährenden Erneuerung des Urſprungs der Religion — in der kritiſchen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen vom Ungöttlichen.
Das göttliche Weſen iſt das durch den Tod der Ab- ſtraction verklärte menſchliche Weſen — der abgeſchie- dene Geiſt des Menſchen. In der Religion befreit ſich der Menſch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen, was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott iſt das von aller Widerlichkeit befreite Selbſtgefühl des Men- ſchen; frei, glücklich, ſelig fühlt ſich der Menſch nur in ſeiner Religion, weil er nur hier ſeinem Genius lebt, ſeinen Sonn- tag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen Idee liegt für ihn außer dieſer Idee — die Wahrheit derſel- ben ſchon im Urtheil, darin, daß Alles, was er von Gott ausſchließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Ver- mittlung dieſer Idee in die Idee ſelbſt aufnehmen, ſo würde ſie ihre weſentlichſte Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren beſeligenden Zauber verlieren. Das göttliche Weſen iſt die reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, ſich nur zu ſich ſelbſt verhaltende, nur ſich ſelbſt genie- ßende, ſich ſelbſt feiernde Subjectivität des Menſchen — ſein ſubjectivſtes Selbſt, ſein Innerſtes. Der Proceß der Abſonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-in- telligenten, der Perſönlichkeit von der Natur, des Vollkomm- nen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Sub- ject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an den Anfang, ſondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt, der Natur — „wo die Natur aufhört, fängt Gott an“
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Negativen. Der Cultus ſelbſt beſteht in nichts Anderm als
in der fortwährenden Erneuerung des Urſprungs der Religion
— in der kritiſchen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen
vom Ungöttlichen.
Das göttliche Weſen iſt das durch den Tod der Ab-
ſtraction verklärte menſchliche Weſen — der abgeſchie-
dene Geiſt des Menſchen. In der Religion befreit ſich der
Menſch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen,
was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott iſt das von
aller Widerlichkeit befreite Selbſtgefühl des Men-
ſchen; frei, glücklich, ſelig fühlt ſich der Menſch nur in ſeiner
Religion, weil er nur hier ſeinem Genius lebt, ſeinen Sonn-
tag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen
Idee liegt für ihn außer dieſer Idee — die Wahrheit derſel-
ben ſchon im Urtheil, darin, daß Alles, was er von Gott
ausſchließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche
aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Ver-
mittlung dieſer Idee in die Idee ſelbſt aufnehmen, ſo würde
ſie ihre weſentlichſte Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren
beſeligenden Zauber verlieren. Das göttliche Weſen iſt die
reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, ſich
nur zu ſich ſelbſt verhaltende, nur ſich ſelbſt genie-
ßende, ſich ſelbſt feiernde Subjectivität des Menſchen
— ſein ſubjectivſtes Selbſt, ſein Innerſtes. Der Proceß der
Abſonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-in-
telligenten, der Perſönlichkeit von der Natur, des Vollkomm-
nen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Sub-
ject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an
den Anfang, ſondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt,
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/140>, abgerufen am 23.11.2024.
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