Ding, als wie ich's in Buchstaben setze," d. h. im Him- mel sind dieselben Bäume und Blumen, aber die Bäume im Himmel sind die Bäume, wie sie in meiner Imagination duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner sinn- lichen, wirklichen Anschauung. Der Unterschied ist der Unterschied zwischen Imagination und Anschauung. "Nicht ist das mein Fürnehmen, sagt er selbst, daß ich wollte aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beschreiben oder wie sie jährlich ihre Conjunction oder Gegenschein oder Quadrat und dergleichen haben, was sie jährlich und stündlich wirken. Wel- ches durch die lange Verjährung ist erfahren worden von den hochweisen und klugen Geistreichen Menschen, durch fleißiges Anschauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen. Ich habe dasselbe auch nicht gelernet und studiret und lasse dasselbe die Gelehrten handeln: sondern mein Fürnehmen ist nach dem Geist und Sinne zu schreiben, und nicht nach dem Anschauen." *)
Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Natu- ralismus den Theismus, namentlich den Theismus, wel- cher das höchste Wesen als ein persönliches Wesen betrachtet, begründen. Der persönliche Theismus denkt sich aber Gott als ein von allem Materiellen abgesondertes persönliches We- sen; er schließt von ihm alle Entwicklung aus, weil diese nichts andres ist als die Selbstabsonderung eines Wesens von Zu- ständen und Beschaffenheiten, die seinem wahren Begriffe nicht entsprechen. Aber in Gott findet dieß nicht statt, weil in ihm Anfang, Ende, Mitte sich nicht unterscheiden lassen, weil er
*)L. c. p. 339, p. 69.
Ding, als wie ich’s in Buchſtaben ſetze,“ d. h. im Him- mel ſind dieſelben Bäume und Blumen, aber die Bäume im Himmel ſind die Bäume, wie ſie in meiner Imagination duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner ſinn- lichen, wirklichen Anſchauung. Der Unterſchied iſt der Unterſchied zwiſchen Imagination und Anſchauung. „Nicht iſt das mein Fürnehmen, ſagt er ſelbſt, daß ich wollte aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beſchreiben oder wie ſie jährlich ihre Conjunction oder Gegenſchein oder Quadrat und dergleichen haben, was ſie jährlich und ſtündlich wirken. Wel- ches durch die lange Verjährung iſt erfahren worden von den hochweiſen und klugen Geiſtreichen Menſchen, durch fleißiges Anſchauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen. Ich habe daſſelbe auch nicht gelernet und ſtudiret und laſſe daſſelbe die Gelehrten handeln: ſondern mein Fürnehmen iſt nach dem Geiſt und Sinne zu ſchreiben, und nicht nach dem Anſchauen.“ *)
Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Natu- ralismus den Theismus, namentlich den Theismus, wel- cher das höchſte Weſen als ein perſönliches Weſen betrachtet, begründen. Der perſönliche Theismus denkt ſich aber Gott als ein von allem Materiellen abgeſondertes perſönliches We- ſen; er ſchließt von ihm alle Entwicklung aus, weil dieſe nichts andres iſt als die Selbſtabſonderung eines Weſens von Zu- ſtänden und Beſchaffenheiten, die ſeinem wahren Begriffe nicht entſprechen. Aber in Gott findet dieß nicht ſtatt, weil in ihm Anfang, Ende, Mitte ſich nicht unterſcheiden laſſen, weil er
*)L. c. p. 339, p. 69.
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Ding, als wie ich’s in Buchſtaben ſetze,“ d. h. im Him-
mel ſind dieſelben Bäume und Blumen, aber die Bäume im
Himmel ſind die Bäume, wie ſie in meiner Imagination
duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich
zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner ſinn-
lichen, wirklichen Anſchauung. Der Unterſchied iſt der
Unterſchied zwiſchen Imagination und Anſchauung.
„Nicht iſt das mein Fürnehmen, ſagt er ſelbſt, daß ich wollte
aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beſchreiben oder wie ſie
jährlich ihre Conjunction oder Gegenſchein oder Quadrat und
dergleichen haben, was ſie jährlich und ſtündlich wirken. Wel-
ches durch die lange Verjährung iſt erfahren worden von den
hochweiſen und klugen Geiſtreichen Menſchen, durch fleißiges
Anſchauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen.
Ich habe daſſelbe auch nicht gelernet und ſtudiret und laſſe
daſſelbe die Gelehrten handeln: ſondern mein Fürnehmen iſt
nach dem Geiſt und Sinne zu ſchreiben, und nicht nach
dem Anſchauen.“ *)
Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Natu-
ralismus den Theismus, namentlich den Theismus, wel-
cher das höchſte Weſen als ein perſönliches Weſen betrachtet,
begründen. Der perſönliche Theismus denkt ſich aber Gott
als ein von allem Materiellen abgeſondertes perſönliches We-
ſen; er ſchließt von ihm alle Entwicklung aus, weil dieſe nichts
andres iſt als die Selbſtabſonderung eines Weſens von Zu-
ſtänden und Beſchaffenheiten, die ſeinem wahren Begriffe nicht
entſprechen. Aber in Gott findet dieß nicht ſtatt, weil in ihm
Anfang, Ende, Mitte ſich nicht unterſcheiden laſſen, weil er
*) L. c. p. 339, p. 69.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/138>, abgerufen am 24.11.2024.
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