Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

satz von Amare und Sapere, von Geist und Fleisch, von
Freiheit und Geschlechtstrieb? Du entsetzest Dich über diese
Descendenzen und Consequenzen? O! sie sind die legitimen
Sprossen von dem heiligen Ehebündniß zwischen Gott und
Natur. Du selbst hast sie gezeugt unter den günstigen Auspi-
cien der Nacht. Ich zeige sie Dir jetzt nur im Lichte.

Persönlichkeit, Egoität, Bewußtsein ohne Natur ist Nichts
oder, was eins, ein hohles, wesenloses Abstractum. Aber die Na-
tur ist, wie bewiesen und von selbst klar ist, nichts ohne Leib.
Der Leib ist allein jene verneinende, einschränkende,
zusammenziehende, beengende Kraft, ohne welche
keine Persönlichkeit denkbar
ist. Nimm Deiner Persön-
lichkeit ihren Leib -- und Du nimmst ihr ihren Zusammen-
halt. Der Leib ist der Grund, das Subject der Per-
sönlichkeit
. Nur durch den Leib unterscheidet sich die reale
Persönlichkeit von der eingebildeten eines Gespenstes. Was
wären wir für abstracte, vage, leere Persönlichkeiten, wenn uns
nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an
demselben Orte, in derselben Gestalt, worin wir sind, zugleich
Andere sich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus-
schließung bewährt sich die Persönlichkeit als eine wirkliche.
Aber der Leib ist nichts ohne Fleisch und Blut. Fleisch
und Blut ist Leben
, und Leben allein die Realität, die
Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleisch und Blut ist nichts
ohne den Sauerstoff der Geschlechtsdifferenz. Die Ge-
schlechtsdifferenz ist keine oberflächliche oder nur auf gewisse Kör-
pertheile beschränkte; sie ist eine wesentliche; sie durchdringt
Mark und Bein. Die Substanz des Mannes ist die Männ-
lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch
noch so geistig und hyperphysisch -- er bleibt doch immer Mann;

ſatz von Amare und Sapere, von Geiſt und Fleiſch, von
Freiheit und Geſchlechtstrieb? Du entſetzeſt Dich über dieſe
Descendenzen und Conſequenzen? O! ſie ſind die legitimen
Sproſſen von dem heiligen Ehebündniß zwiſchen Gott und
Natur. Du ſelbſt haſt ſie gezeugt unter den günſtigen Auſpi-
cien der Nacht. Ich zeige ſie Dir jetzt nur im Lichte.

Perſönlichkeit, Egoität, Bewußtſein ohne Natur iſt Nichts
oder, was eins, ein hohles, weſenloſes Abſtractum. Aber die Na-
tur iſt, wie bewieſen und von ſelbſt klar iſt, nichts ohne Leib.
Der Leib iſt allein jene verneinende, einſchränkende,
zuſammenziehende, beengende Kraft, ohne welche
keine Perſönlichkeit denkbar
iſt. Nimm Deiner Perſön-
lichkeit ihren Leib — und Du nimmſt ihr ihren Zuſammen-
halt. Der Leib iſt der Grund, das Subject der Per-
ſönlichkeit
. Nur durch den Leib unterſcheidet ſich die reale
Perſönlichkeit von der eingebildeten eines Geſpenſtes. Was
wären wir für abſtracte, vage, leere Perſönlichkeiten, wenn uns
nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an
demſelben Orte, in derſelben Geſtalt, worin wir ſind, zugleich
Andere ſich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus-
ſchließung bewährt ſich die Perſönlichkeit als eine wirkliche.
Aber der Leib iſt nichts ohne Fleiſch und Blut. Fleiſch
und Blut iſt Leben
, und Leben allein die Realität, die
Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleiſch und Blut iſt nichts
ohne den Sauerſtoff der Geſchlechtsdifferenz. Die Ge-
ſchlechtsdifferenz iſt keine oberflächliche oder nur auf gewiſſe Kör-
pertheile beſchränkte; ſie iſt eine weſentliche; ſie durchdringt
Mark und Bein. Die Subſtanz des Mannes iſt die Männ-
lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch
noch ſo geiſtig und hyperphyſiſch — er bleibt doch immer Mann;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="112"/>
&#x017F;atz von <hi rendition="#aq">Amare</hi> und <hi rendition="#aq">Sapere,</hi> von <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t</hi> und <hi rendition="#g">Flei&#x017F;ch</hi>, von<lb/><hi rendition="#g">Freiheit</hi> und <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chlechtstrieb</hi>? Du ent&#x017F;etze&#x017F;t Dich über die&#x017F;e<lb/>
Descendenzen und Con&#x017F;equenzen? O! &#x017F;ie &#x017F;ind die legitimen<lb/>
Spro&#x017F;&#x017F;en von dem heiligen Ehebündniß zwi&#x017F;chen Gott und<lb/>
Natur. Du &#x017F;elb&#x017F;t ha&#x017F;t &#x017F;ie gezeugt unter den gün&#x017F;tigen Au&#x017F;pi-<lb/>
cien der Nacht. Ich zeige &#x017F;ie Dir jetzt nur im Lichte.</p><lb/>
          <p>Per&#x017F;önlichkeit, Egoität, Bewußt&#x017F;ein ohne Natur i&#x017F;t Nichts<lb/>
oder, was eins, ein hohles, we&#x017F;enlo&#x017F;es Ab&#x017F;tractum. Aber die Na-<lb/>
tur i&#x017F;t, wie bewie&#x017F;en und von &#x017F;elb&#x017F;t klar i&#x017F;t, <hi rendition="#g">nichts ohne Leib</hi>.<lb/>
Der <hi rendition="#g">Leib</hi> i&#x017F;t allein jene <hi rendition="#g">verneinende, ein&#x017F;chränkende,<lb/>
zu&#x017F;ammenziehende, beengende Kraft, ohne welche<lb/>
keine Per&#x017F;önlichkeit denkbar</hi> i&#x017F;t. Nimm Deiner Per&#x017F;ön-<lb/>
lichkeit ihren Leib &#x2014; und Du nimm&#x017F;t ihr ihren Zu&#x017F;ammen-<lb/>
halt. Der <hi rendition="#g">Leib i&#x017F;t der Grund, das Subject der Per-<lb/>
&#x017F;önlichkeit</hi>. Nur durch den <hi rendition="#g">Leib</hi> unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich die <hi rendition="#g">reale</hi><lb/>
Per&#x017F;önlichkeit von der <hi rendition="#g">eingebildeten</hi> eines Ge&#x017F;pen&#x017F;tes. Was<lb/>
wären wir für ab&#x017F;tracte, vage, leere Per&#x017F;önlichkeiten, wenn uns<lb/>
nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an<lb/>
dem&#x017F;elben Orte, in der&#x017F;elben Ge&#x017F;talt, worin wir &#x017F;ind, zugleich<lb/>
Andere &#x017F;ich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus-<lb/>
&#x017F;chließung bewährt &#x017F;ich die Per&#x017F;önlichkeit als eine wirkliche.<lb/>
Aber der Leib i&#x017F;t nichts <hi rendition="#g">ohne Flei&#x017F;ch und Blut. Flei&#x017F;ch<lb/>
und Blut i&#x017F;t Leben</hi>, und <hi rendition="#g">Leben allein</hi> die Realität, die<lb/><hi rendition="#g">Wirklichkeit</hi> des Leibes. Aber Flei&#x017F;ch und Blut i&#x017F;t nichts<lb/>
ohne den <hi rendition="#g">Sauer&#x017F;toff</hi> der <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chlechtsdifferenz</hi>. Die Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtsdifferenz i&#x017F;t keine oberflächliche oder nur auf gewi&#x017F;&#x017F;e Kör-<lb/>
pertheile be&#x017F;chränkte; &#x017F;ie i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">we&#x017F;entliche</hi>; &#x017F;ie durchdringt<lb/><hi rendition="#g">Mark</hi> und <hi rendition="#g">Bein</hi>. Die <hi rendition="#g">Sub&#x017F;tanz</hi> des Mannes i&#x017F;t die Männ-<lb/>
lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch<lb/>
noch &#x017F;o gei&#x017F;tig und hyperphy&#x017F;i&#x017F;ch &#x2014; er bleibt doch immer Mann;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0130] ſatz von Amare und Sapere, von Geiſt und Fleiſch, von Freiheit und Geſchlechtstrieb? Du entſetzeſt Dich über dieſe Descendenzen und Conſequenzen? O! ſie ſind die legitimen Sproſſen von dem heiligen Ehebündniß zwiſchen Gott und Natur. Du ſelbſt haſt ſie gezeugt unter den günſtigen Auſpi- cien der Nacht. Ich zeige ſie Dir jetzt nur im Lichte. Perſönlichkeit, Egoität, Bewußtſein ohne Natur iſt Nichts oder, was eins, ein hohles, weſenloſes Abſtractum. Aber die Na- tur iſt, wie bewieſen und von ſelbſt klar iſt, nichts ohne Leib. Der Leib iſt allein jene verneinende, einſchränkende, zuſammenziehende, beengende Kraft, ohne welche keine Perſönlichkeit denkbar iſt. Nimm Deiner Perſön- lichkeit ihren Leib — und Du nimmſt ihr ihren Zuſammen- halt. Der Leib iſt der Grund, das Subject der Per- ſönlichkeit. Nur durch den Leib unterſcheidet ſich die reale Perſönlichkeit von der eingebildeten eines Geſpenſtes. Was wären wir für abſtracte, vage, leere Perſönlichkeiten, wenn uns nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an demſelben Orte, in derſelben Geſtalt, worin wir ſind, zugleich Andere ſich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus- ſchließung bewährt ſich die Perſönlichkeit als eine wirkliche. Aber der Leib iſt nichts ohne Fleiſch und Blut. Fleiſch und Blut iſt Leben, und Leben allein die Realität, die Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleiſch und Blut iſt nichts ohne den Sauerſtoff der Geſchlechtsdifferenz. Die Ge- ſchlechtsdifferenz iſt keine oberflächliche oder nur auf gewiſſe Kör- pertheile beſchränkte; ſie iſt eine weſentliche; ſie durchdringt Mark und Bein. Die Subſtanz des Mannes iſt die Männ- lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch noch ſo geiſtig und hyperphyſiſch — er bleibt doch immer Mann;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/130
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/130>, abgerufen am 28.11.2024.