einem besondern Anhange, angeführt, um die durch die Ana- lyse gewonnenen Conclusionen zu legitimiren, d. h. als ob- jectiv begründete zu erweisen. Findet man daher die Resultate seiner Methode auffallend, illegitim, so sei man so billig, die Schuld nicht auf ihn, sondern auf den Gegenstand zu schieben.
Daß der Verf. diese seine Zeugnisse aus dem Archiv längst vergangner Jahrhunderte herholt, das hat seine guten Gründe. Auch das Christenthum hat seine classischen Zeiten gehabt -- und nur das Wahre, das Große, das Classische ist würdig gedacht zu werden; das Unclassische gehört vor das Forum der Komik oder Satyre. Um daher das Christen- thum als ein denkwürdiges Object fixiren zu können, mußte der Verf. von dem feigen, charakterlosen, comfortabeln, belle- tristischen, coquetten, epikureischen Christenthum der modernen Welt abstrahiren, sich zurückversetzen in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu versinken; wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe.
Das moderne Christenthum hat keine andern Zeugnisse mehr aufzuweisen als -- Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat -- das hat es nicht aus sich -- es lebt vom Allmosen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Christenthum ein der philosophischen Kritik würdiger Gegen- stand, so hätte sich der Verfasser die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm seine Schrift gekostet, ersparen kön- nen. Was nämlich in dieser Schrift so zu sagen a priori be- wiesen wird, daß das Geheimniß der Theologie die An- thropologie ist, das hat längst a posteriori die Geschichte der Theologie bewiesen und bestätigt. "Die Geschichte des Dogmas" allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt ist die "Kritik des Dogmas" der Theologie überhaupt. Die
einem beſondern Anhange, angeführt, um die durch die Ana- lyſe gewonnenen Concluſionen zu legitimiren, d. h. als ob- jectiv begründete zu erweiſen. Findet man daher die Reſultate ſeiner Methode auffallend, illegitim, ſo ſei man ſo billig, die Schuld nicht auf ihn, ſondern auf den Gegenſtand zu ſchieben.
Daß der Verf. dieſe ſeine Zeugniſſe aus dem Archiv längſt vergangner Jahrhunderte herholt, das hat ſeine guten Gründe. Auch das Chriſtenthum hat ſeine claſſiſchen Zeiten gehabt — und nur das Wahre, das Große, das Claſſiſche iſt würdig gedacht zu werden; das Unclaſſiſche gehört vor das Forum der Komik oder Satyre. Um daher das Chriſten- thum als ein denkwürdiges Object fixiren zu können, mußte der Verf. von dem feigen, charakterloſen, comfortabeln, belle- triſtiſchen, coquetten, epikureiſchen Chriſtenthum der modernen Welt abſtrahiren, ſich zurückverſetzen in Zeiten, wo die Braut Chriſti noch eine keuſche, unbefleckte Jungfrau war, wo ſie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmliſchen Bräutigams die Roſen und Myrten der heidniſchen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu verſinken; wo ſie zwar arm war an irdiſchen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genuſſe der Geheimniſſe einer übernatürlichen Liebe.
Das moderne Chriſtenthum hat keine andern Zeugniſſe mehr aufzuweiſen als — Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat — das hat es nicht aus ſich — es lebt vom Allmoſen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Chriſtenthum ein der philoſophiſchen Kritik würdiger Gegen- ſtand, ſo hätte ſich der Verfaſſer die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm ſeine Schrift gekoſtet, erſparen kön- nen. Was nämlich in dieſer Schrift ſo zu ſagen a priori be- wieſen wird, daß das Geheimniß der Theologie die An- thropologie iſt, das hat längſt a posteriori die Geſchichte der Theologie bewieſen und beſtätigt. „Die Geſchichte des Dogmas“ allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt iſt die „Kritik des Dogmas“ der Theologie überhaupt. Die
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[VII/0013]
einem beſondern Anhange, angeführt, um die durch die Ana-
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jectiv begründete zu erweiſen. Findet man daher die Reſultate
ſeiner Methode auffallend, illegitim, ſo ſei man ſo billig, die
Schuld nicht auf ihn, ſondern auf den Gegenſtand zu ſchieben.
Daß der Verf. dieſe ſeine Zeugniſſe aus dem Archiv
längſt vergangner Jahrhunderte herholt, das hat ſeine guten
Gründe. Auch das Chriſtenthum hat ſeine claſſiſchen Zeiten
gehabt — und nur das Wahre, das Große, das Claſſiſche
iſt würdig gedacht zu werden; das Unclaſſiſche gehört vor
das Forum der Komik oder Satyre. Um daher das Chriſten-
thum als ein denkwürdiges Object fixiren zu können, mußte
der Verf. von dem feigen, charakterloſen, comfortabeln, belle-
triſtiſchen, coquetten, epikureiſchen Chriſtenthum der modernen
Welt abſtrahiren, ſich zurückverſetzen in Zeiten, wo die Braut
Chriſti noch eine keuſche, unbefleckte Jungfrau war, wo ſie
noch nicht in die Dornenkrone ihres himmliſchen Bräutigams
die Roſen und Myrten der heidniſchen Venus einflocht, um
über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu
verſinken; wo ſie zwar arm war an irdiſchen Schätzen, aber
überreich und überglücklich im Genuſſe der Geheimniſſe einer
übernatürlichen Liebe.
Das moderne Chriſtenthum hat keine andern Zeugniſſe
mehr aufzuweiſen als — Testimonia paupertatis. Was es
allenfalls noch hat — das hat es nicht aus ſich — es lebt
vom Allmoſen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne
Chriſtenthum ein der philoſophiſchen Kritik würdiger Gegen-
ſtand, ſo hätte ſich der Verfaſſer die Mühe des Nachdenkens
und Studiums, die ihm ſeine Schrift gekoſtet, erſparen kön-
nen. Was nämlich in dieſer Schrift ſo zu ſagen a priori be-
wieſen wird, daß das Geheimniß der Theologie die An-
thropologie iſt, das hat längſt a posteriori die Geſchichte
der Theologie bewieſen und beſtätigt. „Die Geſchichte des
Dogmas“ allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt
iſt die „Kritik des Dogmas“ der Theologie überhaupt. Die
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/13>, abgerufen am 23.11.2024.
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