reale, objective, die Christen eine nicht sinnliche Ewigkeit vindi- cirten. Die Dinge waren, ehe sie existirten, aber nicht als Object des Sinnes, sondern des subjectiven Verstandes. Die Christen, deren Princip das Princip der absoluten Subjectivi- tät, denken Alles nur durch dieses Princip vermittelt. Die durch ihr subjectives Denken gesetzte, die vorgestellte, sub- jective Materie ist ihnen daher auch die erste Materie -- weit vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber dessen ungeachtet ist dieser Unterschied nur ein Unterschied in der Weise der Existenz. Die Welt ist ewig in Gott. Oder ist sie etwa in ihm entstanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune? Allerdings kann sich auch dieß der Mensch vorstellen, aber dann vergöttlicht der Mensch nur seinen eignen Unsinn. Bin ich dagegen bei Vernunft, so kann ich die Welt nur ableiten aus ihrem Wesen, ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Existenz aus einer andern Art -- mit andern Worten: ich kann die Welt immer nur aus sich selbst ableiten. Die Welt hat ihren Grund in sich selbst, wie Alles in der Welt, was auf den Namen einer Gattungswesenheit Anspruch hat. Die differen- tia specifica, das eigenthümliche Wesen, das, wodurch ein be- stimmtes Wesen ist, was es ist, dieß ist immer ein im gemei- nen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, ist durch sich, hat seinen Grund in sich.
So ist es nun auch mit der Vielfachheit und Verschie- denheit, wenn wir die Welt auf diese abstracte Kategorie im Gegensatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Wesens reduciren. Die wirkliche Verschiedenheit kann nur abgeleitet werden aus einem in sich selbst verschiedenen Wesen. Aber ich setze die Verschiedenheit nur in das ursprüngliche Wesen, weil mir schon ursprünglich die Verschiedenheit eine positive
reale, objective, die Chriſten eine nicht ſinnliche Ewigkeit vindi- cirten. Die Dinge waren, ehe ſie exiſtirten, aber nicht als Object des Sinnes, ſondern des ſubjectiven Verſtandes. Die Chriſten, deren Princip das Princip der abſoluten Subjectivi- tät, denken Alles nur durch dieſes Princip vermittelt. Die durch ihr ſubjectives Denken geſetzte, die vorgeſtellte, ſub- jective Materie iſt ihnen daher auch die erſte Materie — weit vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber deſſen ungeachtet iſt dieſer Unterſchied nur ein Unterſchied in der Weiſe der Exiſtenz. Die Welt iſt ewig in Gott. Oder iſt ſie etwa in ihm entſtanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune? Allerdings kann ſich auch dieß der Menſch vorſtellen, aber dann vergöttlicht der Menſch nur ſeinen eignen Unſinn. Bin ich dagegen bei Vernunft, ſo kann ich die Welt nur ableiten aus ihrem Weſen, ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Exiſtenz aus einer andern Art — mit andern Worten: ich kann die Welt immer nur aus ſich ſelbſt ableiten. Die Welt hat ihren Grund in ſich ſelbſt, wie Alles in der Welt, was auf den Namen einer Gattungsweſenheit Anſpruch hat. Die differen- tia specifica, das eigenthümliche Weſen, das, wodurch ein be- ſtimmtes Weſen iſt, was es iſt, dieß iſt immer ein im gemei- nen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, iſt durch ſich, hat ſeinen Grund in ſich.
So iſt es nun auch mit der Vielfachheit und Verſchie- denheit, wenn wir die Welt auf dieſe abſtracte Kategorie im Gegenſatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Weſens reduciren. Die wirkliche Verſchiedenheit kann nur abgeleitet werden aus einem in ſich ſelbſt verſchiedenen Weſen. Aber ich ſetze die Verſchiedenheit nur in das urſprüngliche Weſen, weil mir ſchon urſprünglich die Verſchiedenheit eine poſitive
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reale, objective, die Chriſten eine nicht ſinnliche Ewigkeit vindi-
cirten. Die Dinge waren, ehe ſie exiſtirten, aber nicht als
Object des Sinnes, ſondern des ſubjectiven Verſtandes. Die
Chriſten, deren Princip das Princip der abſoluten Subjectivi-
tät, denken Alles nur durch dieſes Princip vermittelt. Die
durch ihr ſubjectives Denken geſetzte, die vorgeſtellte, ſub-
jective Materie iſt ihnen daher auch die erſte Materie — weit
vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber deſſen
ungeachtet iſt dieſer Unterſchied nur ein Unterſchied in der
Weiſe der Exiſtenz. Die Welt iſt ewig in Gott. Oder iſt ſie
etwa in ihm entſtanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune?
Allerdings kann ſich auch dieß der Menſch vorſtellen, aber dann
vergöttlicht der Menſch nur ſeinen eignen Unſinn. Bin ich
dagegen bei Vernunft, ſo kann ich die Welt nur ableiten aus
ihrem Weſen, ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Exiſtenz aus
einer andern Art — mit andern Worten: ich kann die Welt
immer nur aus ſich ſelbſt ableiten. Die Welt hat ihren
Grund in ſich ſelbſt, wie Alles in der Welt, was auf den
Namen einer Gattungsweſenheit Anſpruch hat. Die differen-
tia specifica, das eigenthümliche Weſen, das, wodurch ein be-
ſtimmtes Weſen iſt, was es iſt, dieß iſt immer ein im gemei-
nen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, iſt durch ſich, hat
ſeinen Grund in ſich.
So iſt es nun auch mit der Vielfachheit und Verſchie-
denheit, wenn wir die Welt auf dieſe abſtracte Kategorie im
Gegenſatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Weſens
reduciren. Die wirkliche Verſchiedenheit kann nur abgeleitet
werden aus einem in ſich ſelbſt verſchiedenen Weſen. Aber
ich ſetze die Verſchiedenheit nur in das urſprüngliche Weſen,
weil mir ſchon urſprünglich die Verſchiedenheit eine poſitive
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/121>, abgerufen am 25.11.2024.
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