einzugestehen, daß sie kein Gegenstand für die Religion ist, tritt der Mittler dazwischen. Der Gott über dem Mittler ist nichts andres als der kalte Verstand über dem Herzen -- ähnlich dem Fatum über den olympischen Göttern.
Gott als Vater, d. i. Gott als Gott -- denn der Vater ist das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius trinitatis -- ist, um diesen Gegenstand noch einmal aufzu- nehmen, nur Gegenstand des Denkens. Er ist das un- sinnliche, gestaltlose, unfaßbare, bildlose Wesen, das abstracte, negative Wesen; er wird nur durch Abstraction und Ne- gation (via negationis) erkannt, d. i. Gegenstand. Warum? weil er nichts ist als das gegenständliche Wesen der Denk- kraft, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch sich der Mensch der Vernunft, des Geistes, der Intelligenz bewußt wird *). Der Mensch kann keinen andern Geist, d. h. -- denn der Begriff des Geistes ist lediglich der Begriff der Erkenntniß, der Vernunft, jeder andre Geist ein Gespenst der Phantasie -- keine andre Intelligenz oder Vernunft ahn- den, vorstellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er- leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz abson- dern von den Schranken seiner Individualität. Gott als Gott ist daher nichts andres als die von den Schranken der Individualität, der Leiblichkeit -- denn Individua- lität und Leiblichkeit sind untrennbar -- abgesonderte In- telligenz. Gott, sagten die Scholastiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen schon die heidnischen Philosophen: Gott ist
*) Wer sich daher an die Denkmacht stößt, der setze dafür irgend eine andre geistige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm sonst beliebt. So schrieben einige Theologen dem heil. Geist vorzugsweise die Liebe, dem Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu.
einzugeſtehen, daß ſie kein Gegenſtand für die Religion iſt, tritt der Mittler dazwiſchen. Der Gott über dem Mittler iſt nichts andres als der kalte Verſtand über dem Herzen — ähnlich dem Fatum über den olympiſchen Göttern.
Gott als Vater, d. i. Gott als Gott — denn der Vater iſt das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius trinitatis — iſt, um dieſen Gegenſtand noch einmal aufzu- nehmen, nur Gegenſtand des Denkens. Er iſt das un- ſinnliche, geſtaltloſe, unfaßbare, bildloſe Weſen, das abſtracte, negative Weſen; er wird nur durch Abſtraction und Ne- gation (via negationis) erkannt, d. i. Gegenſtand. Warum? weil er nichts iſt als das gegenſtändliche Weſen der Denk- kraft, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch ſich der Menſch der Vernunft, des Geiſtes, der Intelligenz bewußt wird *). Der Menſch kann keinen andern Geiſt, d. h. — denn der Begriff des Geiſtes iſt lediglich der Begriff der Erkenntniß, der Vernunft, jeder andre Geiſt ein Geſpenſt der Phantaſie — keine andre Intelligenz oder Vernunft ahn- den, vorſtellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er- leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz abſon- dern von den Schranken ſeiner Individualität. Gott als Gott iſt daher nichts andres als die von den Schranken der Individualität, der Leiblichkeit — denn Individua- lität und Leiblichkeit ſind untrennbar — abgeſonderte In- telligenz. Gott, ſagten die Scholaſtiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen ſchon die heidniſchen Philoſophen: Gott iſt
*) Wer ſich daher an die Denkmacht ſtößt, der ſetze dafür irgend eine andre geiſtige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm ſonſt beliebt. So ſchrieben einige Theologen dem heil. Geiſt vorzugsweiſe die Liebe, dem Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0105"n="87"/>
einzugeſtehen, daß ſie kein Gegenſtand für die Religion iſt,<lb/>
tritt der Mittler dazwiſchen. Der Gott über dem Mittler iſt<lb/>
nichts andres als der <hirendition="#g">kalte Verſtand über dem Herzen</hi>—<lb/>
ähnlich dem Fatum über den olympiſchen Göttern.</p><lb/><p>Gott als Vater, d. i. <hirendition="#g">Gott als Gott</hi>— denn der Vater<lb/>
iſt das Princip der ganzen Dreieinigkeit, <hirendition="#aq">principium totius<lb/>
trinitatis</hi>— iſt, um dieſen Gegenſtand noch einmal aufzu-<lb/>
nehmen, nur <hirendition="#g">Gegenſtand des Denkens</hi>. Er iſt das un-<lb/>ſinnliche, geſtaltloſe, unfaßbare, bildloſe Weſen, das <hirendition="#g">abſtracte,<lb/>
negative</hi> Weſen; er wird nur durch <hirendition="#g">Abſtraction</hi> und <hirendition="#g">Ne-<lb/>
gation</hi> (<hirendition="#aq">via negationis</hi>) erkannt, d. i. Gegenſtand. Warum?<lb/>
weil er nichts iſt als das <hirendition="#g">gegenſtändliche Weſen</hi> der <hirendition="#g">Denk-<lb/>
kraft</hi>, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch ſich der<lb/>
Menſch der Vernunft, des Geiſtes, der Intelligenz bewußt<lb/>
wird <noteplace="foot"n="*)">Wer ſich daher an die Denkmacht ſtößt, der ſetze dafür irgend eine<lb/>
andre geiſtige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm ſonſt beliebt.<lb/>
So ſchrieben einige Theologen dem heil. Geiſt vorzugsweiſe die Liebe, dem<lb/>
Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht <hirendition="#aq">potentia</hi> zu.</note>. Der Menſch kann <hirendition="#g">keinen andern Geiſt</hi>, d. h. —<lb/>
denn der <hirendition="#g">Begriff des Geiſtes</hi> iſt lediglich der <hirendition="#g">Begriff der<lb/>
Erkenntniß, der Vernunft</hi>, jeder andre Geiſt ein Geſpenſt<lb/>
der Phantaſie —<hirendition="#g">keine andre</hi> Intelligenz oder Vernunft ahn-<lb/>
den, vorſtellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er-<lb/>
leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz <hirendition="#g">abſon-<lb/>
dern von den Schranken ſeiner Individualität</hi>. Gott<lb/>
als Gott iſt daher nichts andres als die von den <hirendition="#g">Schranken<lb/>
der Individualität, der Leiblichkeit</hi>— denn Individua-<lb/>
lität und Leiblichkeit ſind untrennbar —<hirendition="#g">abgeſonderte In-<lb/>
telligenz</hi>. Gott, ſagten die Scholaſtiker, die Kirchenväter und<lb/>
lange vor ihnen ſchon die heidniſchen Philoſophen: Gott iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[87/0105]
einzugeſtehen, daß ſie kein Gegenſtand für die Religion iſt,
tritt der Mittler dazwiſchen. Der Gott über dem Mittler iſt
nichts andres als der kalte Verſtand über dem Herzen —
ähnlich dem Fatum über den olympiſchen Göttern.
Gott als Vater, d. i. Gott als Gott — denn der Vater
iſt das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius
trinitatis — iſt, um dieſen Gegenſtand noch einmal aufzu-
nehmen, nur Gegenſtand des Denkens. Er iſt das un-
ſinnliche, geſtaltloſe, unfaßbare, bildloſe Weſen, das abſtracte,
negative Weſen; er wird nur durch Abſtraction und Ne-
gation (via negationis) erkannt, d. i. Gegenſtand. Warum?
weil er nichts iſt als das gegenſtändliche Weſen der Denk-
kraft, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch ſich der
Menſch der Vernunft, des Geiſtes, der Intelligenz bewußt
wird *). Der Menſch kann keinen andern Geiſt, d. h. —
denn der Begriff des Geiſtes iſt lediglich der Begriff der
Erkenntniß, der Vernunft, jeder andre Geiſt ein Geſpenſt
der Phantaſie — keine andre Intelligenz oder Vernunft ahn-
den, vorſtellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er-
leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz abſon-
dern von den Schranken ſeiner Individualität. Gott
als Gott iſt daher nichts andres als die von den Schranken
der Individualität, der Leiblichkeit — denn Individua-
lität und Leiblichkeit ſind untrennbar — abgeſonderte In-
telligenz. Gott, ſagten die Scholaſtiker, die Kirchenväter und
lange vor ihnen ſchon die heidniſchen Philoſophen: Gott iſt
*) Wer ſich daher an die Denkmacht ſtößt, der ſetze dafür irgend eine
andre geiſtige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm ſonſt beliebt.
So ſchrieben einige Theologen dem heil. Geiſt vorzugsweiſe die Liebe, dem
Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/105>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.