Wenn in der Welt etwas Ungewöhnliches erscheint, so ist derjenige, der nur seine Stadt, seine Zeit und seine Leute kennt, sehr geneigt, dies für etwas Neues, Unerhörtes und Außerordentliches zu halten; der aber, dessen Auge durch die Geschichte anderer Zei- ten und Menschen erweitert ist, findet dies Ereig- niß in seinem ganzen Verlaufe da und dort wie- der, und ist durch seine historische Erkenntniß schon auf alles Bedeutende vorbereitet, was in seinem Gesichtskreise vorgehen kann. Die Deutschen haben besonders eine große Stärke in solchen Vergleichun- gen und Beziehungen, die sie oft mit großer Ge- lehrsamkeit anstellen, und bei ihnen ist vorzüglich die Redensart im Gange, die wir an die Spitze dieses Aufsatzes gesetzt haben, und in dem wir in diesem Falle auch unsere Deutschheit beweisen wollen. Der Franzose macht in seinem leichten Sinn alles was er vom Auslande oder von der Welt, als Nicht-Paris, hört, mit der Formel: Tout comme chez nous! ab, und erspart es sich dadurch, sich gründlich um das fremde Thun und Treiben zu
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Nichts Neues unter der Sonne.
Wenn in der Welt etwas Ungewoͤhnliches erſcheint, ſo iſt derjenige, der nur ſeine Stadt, ſeine Zeit und ſeine Leute kennt, ſehr geneigt, dies fuͤr etwas Neues, Unerhoͤrtes und Außerordentliches zu halten; der aber, deſſen Auge durch die Geſchichte anderer Zei- ten und Menſchen erweitert iſt, findet dies Ereig- niß in ſeinem ganzen Verlaufe da und dort wie- der, und iſt durch ſeine hiſtoriſche Erkenntniß ſchon auf alles Bedeutende vorbereitet, was in ſeinem Geſichtskreiſe vorgehen kann. Die Deutſchen haben beſonders eine große Staͤrke in ſolchen Vergleichun- gen und Beziehungen, die ſie oft mit großer Ge- lehrſamkeit anſtellen, und bei ihnen iſt vorzuͤglich die Redensart im Gange, die wir an die Spitze dieſes Aufſatzes geſetzt haben, und in dem wir in dieſem Falle auch unſere Deutſchheit beweiſen wollen. Der Franzoſe macht in ſeinem leichten Sinn alles was er vom Auslande oder von der Welt, als Nicht-Paris, hoͤrt, mit der Formel: Tout comme chez nous! ab, und erſpart es ſich dadurch, ſich gruͤndlich um das fremde Thun und Treiben zu
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[[275]/0297]
Nichts
Neues unter der Sonne.
Wenn in der Welt etwas Ungewoͤhnliches erſcheint,
ſo iſt derjenige, der nur ſeine Stadt, ſeine Zeit und
ſeine Leute kennt, ſehr geneigt, dies fuͤr etwas Neues,
Unerhoͤrtes und Außerordentliches zu halten; der
aber, deſſen Auge durch die Geſchichte anderer Zei-
ten und Menſchen erweitert iſt, findet dies Ereig-
niß in ſeinem ganzen Verlaufe da und dort wie-
der, und iſt durch ſeine hiſtoriſche Erkenntniß ſchon
auf alles Bedeutende vorbereitet, was in ſeinem
Geſichtskreiſe vorgehen kann. Die Deutſchen haben
beſonders eine große Staͤrke in ſolchen Vergleichun-
gen und Beziehungen, die ſie oft mit großer Ge-
lehrſamkeit anſtellen, und bei ihnen iſt vorzuͤglich
die Redensart im Gange, die wir an die Spitze
dieſes Aufſatzes geſetzt haben, und in dem wir in
dieſem Falle auch unſere Deutſchheit beweiſen wollen.
Der Franzoſe macht in ſeinem leichten Sinn alles
was er vom Auslande oder von der Welt, als
Nicht-Paris, hoͤrt, mit der Formel: Tout comme
chez nous! ab, und erſpart es ſich dadurch, ſich
gruͤndlich um das fremde Thun und Treiben zu
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. [275]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/297>, abgerufen am 25.11.2024.
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