sichten des Staates förderlich oder hinderlich seyn können; denn es ist nicht zu vermuthen, ja es ist gar nicht denkbar, daß irgend ein Censor etwas zum Druck würde passiren lassen, was nach den Landesgesetzen zu drucken verboten wäre. Dem symbolisch angegriffenen, friedlichen Bürger bleibt nichts übrig, als zu dulden und zu schwei- gen. Denn was sollte er thun? Gerichtlich klagen? Gegen wen? Gegen den Verfasser und Buch- drucker -- diese berufen sich auf das Imprimatur des Censors. -- Also gegen den Censor? -- Dieser beruft sich auf die Gesetze, die ihn in dem streiti- gen Falle nicht verpflichten, das Imprimatur zu versagen. -- Also gegen mangelhafte Gesetze? -- Wo ist der Richterstuhl der diese Klage, ohne einen Eingriff in die ganze bürgerliche Ordnung zuzu- lassen, annehmen dürfte? Es bleibt nichts übrig, als der Glaube, daß der Censor wissen müsse, was er den Gesetzen gemäß zur Förderung der dem bürgerlichen Individuo verborgenen Absichten des Staates zu thun oder zu lassen habe, und daß das, was er thut, recht und gut sey.
Gesetzt aber, das Individuum erlaubte sich, bloß theoretisch, und so zu seiner eigenen Uebung im Denken, bei dieser oder jener Erscheinung, der höhern Absicht des Staates nachzusinnen, und wählte gerade die gegenwärtig herrschende Preß- freiheit dazu, auf welche Resultate würde es ge- rathen? Der Staat und zwar nur Er, nicht der Bürger, muß wissen auf welchen Grad der Cultur, als Bedingung der allgemeinen Wohlfahrt, er seine
ſichten des Staates foͤrderlich oder hinderlich ſeyn koͤnnen; denn es iſt nicht zu vermuthen, ja es iſt gar nicht denkbar, daß irgend ein Cenſor etwas zum Druck wuͤrde paſſiren laſſen, was nach den Landesgeſetzen zu drucken verboten waͤre. Dem ſymboliſch angegriffenen, friedlichen Buͤrger bleibt nichts uͤbrig, als zu dulden und zu ſchwei- gen. Denn was ſollte er thun? Gerichtlich klagen? Gegen wen? Gegen den Verfaſſer und Buch- drucker — dieſe berufen ſich auf das Imprimatur des Cenſors. — Alſo gegen den Cenſor? — Dieſer beruft ſich auf die Geſetze, die ihn in dem ſtreiti- gen Falle nicht verpflichten, das Imprimatur zu verſagen. — Alſo gegen mangelhafte Geſetze? — Wo iſt der Richterſtuhl der dieſe Klage, ohne einen Eingriff in die ganze buͤrgerliche Ordnung zuzu- laſſen, annehmen duͤrfte? Es bleibt nichts uͤbrig, als der Glaube, daß der Cenſor wiſſen muͤſſe, was er den Geſetzen gemaͤß zur Foͤrderung der dem buͤrgerlichen Individuo verborgenen Abſichten des Staates zu thun oder zu laſſen habe, und daß das, was er thut, recht und gut ſey.
Geſetzt aber, das Individuum erlaubte ſich, bloß theoretiſch, und ſo zu ſeiner eigenen Uebung im Denken, bei dieſer oder jener Erſcheinung, der hoͤhern Abſicht des Staates nachzuſinnen, und waͤhlte gerade die gegenwaͤrtig herrſchende Preß- freiheit dazu, auf welche Reſultate wuͤrde es ge- rathen? Der Staat und zwar nur Er, nicht der Buͤrger, muß wiſſen auf welchen Grad der Cultur, als Bedingung der allgemeinen Wohlfahrt, er ſeine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0146"n="124"/>ſichten des Staates foͤrderlich oder hinderlich ſeyn<lb/>
koͤnnen; denn es iſt nicht zu vermuthen, ja es<lb/>
iſt gar nicht denkbar, daß irgend ein Cenſor<lb/>
etwas zum Druck wuͤrde paſſiren laſſen, was nach<lb/>
den Landesgeſetzen zu drucken verboten waͤre.<lb/>
Dem ſymboliſch angegriffenen, friedlichen Buͤrger<lb/>
bleibt nichts uͤbrig, als zu dulden und zu ſchwei-<lb/>
gen. Denn was ſollte er thun? Gerichtlich klagen?<lb/>
Gegen wen? Gegen den Verfaſſer und Buch-<lb/>
drucker — dieſe berufen ſich auf das Imprimatur<lb/>
des Cenſors. — Alſo gegen den Cenſor? — Dieſer<lb/>
beruft ſich auf die Geſetze, die ihn in dem ſtreiti-<lb/>
gen Falle nicht verpflichten, das Imprimatur zu<lb/>
verſagen. — Alſo gegen mangelhafte Geſetze? —<lb/>
Wo iſt der Richterſtuhl der dieſe Klage, ohne einen<lb/>
Eingriff in die ganze buͤrgerliche Ordnung zuzu-<lb/>
laſſen, annehmen duͤrfte? Es bleibt nichts uͤbrig,<lb/>
als der Glaube, daß der Cenſor wiſſen muͤſſe, was<lb/>
er den Geſetzen gemaͤß zur Foͤrderung der dem<lb/>
buͤrgerlichen Individuo verborgenen Abſichten des<lb/>
Staates zu thun oder zu laſſen habe, und daß<lb/>
das, was er thut, recht und gut ſey.</p><lb/><p>Geſetzt aber, das Individuum erlaubte ſich,<lb/>
bloß theoretiſch, und ſo zu ſeiner eigenen Uebung<lb/>
im Denken, bei dieſer oder jener Erſcheinung, der<lb/>
hoͤhern Abſicht des Staates nachzuſinnen, und<lb/>
waͤhlte gerade die gegenwaͤrtig herrſchende Preß-<lb/>
freiheit dazu, auf welche Reſultate wuͤrde es ge-<lb/>
rathen? Der Staat und zwar nur Er, nicht der<lb/>
Buͤrger, muß wiſſen auf welchen Grad der Cultur,<lb/>
als Bedingung der allgemeinen Wohlfahrt, er ſeine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[124/0146]
ſichten des Staates foͤrderlich oder hinderlich ſeyn
koͤnnen; denn es iſt nicht zu vermuthen, ja es
iſt gar nicht denkbar, daß irgend ein Cenſor
etwas zum Druck wuͤrde paſſiren laſſen, was nach
den Landesgeſetzen zu drucken verboten waͤre.
Dem ſymboliſch angegriffenen, friedlichen Buͤrger
bleibt nichts uͤbrig, als zu dulden und zu ſchwei-
gen. Denn was ſollte er thun? Gerichtlich klagen?
Gegen wen? Gegen den Verfaſſer und Buch-
drucker — dieſe berufen ſich auf das Imprimatur
des Cenſors. — Alſo gegen den Cenſor? — Dieſer
beruft ſich auf die Geſetze, die ihn in dem ſtreiti-
gen Falle nicht verpflichten, das Imprimatur zu
verſagen. — Alſo gegen mangelhafte Geſetze? —
Wo iſt der Richterſtuhl der dieſe Klage, ohne einen
Eingriff in die ganze buͤrgerliche Ordnung zuzu-
laſſen, annehmen duͤrfte? Es bleibt nichts uͤbrig,
als der Glaube, daß der Cenſor wiſſen muͤſſe, was
er den Geſetzen gemaͤß zur Foͤrderung der dem
buͤrgerlichen Individuo verborgenen Abſichten des
Staates zu thun oder zu laſſen habe, und daß
das, was er thut, recht und gut ſey.
Geſetzt aber, das Individuum erlaubte ſich,
bloß theoretiſch, und ſo zu ſeiner eigenen Uebung
im Denken, bei dieſer oder jener Erſcheinung, der
hoͤhern Abſicht des Staates nachzuſinnen, und
waͤhlte gerade die gegenwaͤrtig herrſchende Preß-
freiheit dazu, auf welche Reſultate wuͤrde es ge-
rathen? Der Staat und zwar nur Er, nicht der
Buͤrger, muß wiſſen auf welchen Grad der Cultur,
als Bedingung der allgemeinen Wohlfahrt, er ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/146>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.