lich und vollständig? -- Kann die Tugend erleich- tert und wie bei einem Leiden oder Unglück, ihre Last durch Theilnahme vermindert werden? Oder ist die Tugend nicht vielmehr, das eigenste, ge- heimste Geschäft des Menschen, welches er kaum mit Einem geliebten Herzen, geschweige denn mit einer Gesellschaft von Bekannten theilen kann? -- Er kann in der Gesellschaft mehr Schicklichkeit, A[ - 3 Zeichen fehlen]ndigkeit und Scheu lernen, sich zu einem gesetzten, und rechtlichen Betragen gewöhnen; er kann viel schöne und sogenannte nützliche Sprüche und Reden hören, aber nicht tugend- haft werden; und wenn er mit Vergnügen zu leben und mit einer besseren Hoffnung zu sterben "nicht anderswo und vor seiner Aufnahme gelernt hat" -- im Orden möchte er's schwerlich lernen. -- Gewiß, in eine moralisch-ascetische Gesellschaft, die es auf die Tugend und das Besserwerden, als einzigen und letzten Zweck angelegt, möchte unser weise und gute Mann, wohl eben so wenig sich einweihen lassen, als Socrates in die Eleu- sinischen Mysterien.
"Nun so bleibt als Zweck dieses wunderbaren Ordens nichts übrig, als -- Nichts! und er hat nur nebenher die Vortheile einer guten und fröh- lichen Gesellschaft." -- So wahr, antwortet unser Weiser und Tugendhafter, ich mit diesem, übrigens ganz natürlichen, Orden mich beschäftige, und mich ihm hingebe, so wahr ist sein Zweck und Ziel -- Etwas, und die gute Gesellschaft ist und bleibt ein -- Nebenher.
lich und vollſtaͤndig? — Kann die Tugend erleich- tert und wie bei einem Leiden oder Ungluͤck, ihre Laſt durch Theilnahme vermindert werden? Oder iſt die Tugend nicht vielmehr, das eigenſte, ge- heimſte Geſchaͤft des Menſchen, welches er kaum mit Einem geliebten Herzen, geſchweige denn mit einer Geſellſchaft von Bekannten theilen kann? — Er kann in der Geſellſchaft mehr Schicklichkeit, A[ – 3 Zeichen fehlen]ndigkeit und Scheu lernen, ſich zu einem geſetzten, und rechtlichen Betragen gewoͤhnen; er kann viel ſchoͤne und ſogenannte nuͤtzliche Spruͤche und Reden hoͤren, aber nicht tugend- haft werden; und wenn er mit Vergnuͤgen zu leben und mit einer beſſeren Hoffnung zu ſterben „nicht anderswo und vor ſeiner Aufnahme gelernt hat“ — im Orden moͤchte er’s ſchwerlich lernen. — Gewiß, in eine moraliſch-aſcetiſche Geſellſchaft, die es auf die Tugend und das Beſſerwerden, als einzigen und letzten Zweck angelegt, moͤchte unſer weiſe und gute Mann, wohl eben ſo wenig ſich einweihen laſſen, als Socrates in die Eleu- ſiniſchen Myſterien.
„Nun ſo bleibt als Zweck dieſes wunderbaren Ordens nichts uͤbrig, als — Nichts! und er hat nur nebenher die Vortheile einer guten und froͤh- lichen Geſellſchaft.“ — So wahr, antwortet unſer Weiſer und Tugendhafter, ich mit dieſem, uͤbrigens ganz natuͤrlichen, Orden mich beſchaͤftige, und mich ihm hingebe, ſo wahr iſt ſein Zweck und Ziel — Etwas, und die gute Geſellſchaft iſt und bleibt ein — Nebenher.
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lich und vollſtaͤndig? — Kann die Tugend erleich-
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haft werden; und wenn er mit Vergnuͤgen zu
leben und mit einer beſſeren Hoffnung zu ſterben
„nicht anderswo und vor ſeiner Aufnahme gelernt
hat“ — im Orden moͤchte er’s ſchwerlich lernen. —
Gewiß, in eine moraliſch-aſcetiſche Geſellſchaft,
die es auf die Tugend und das Beſſerwerden,
als einzigen und letzten Zweck angelegt, moͤchte
unſer weiſe und gute Mann, wohl eben ſo wenig
ſich einweihen laſſen, als Socrates in die Eleu-
ſiniſchen Myſterien.
„Nun ſo bleibt als Zweck dieſes wunderbaren
Ordens nichts uͤbrig, als — Nichts! und er hat
nur nebenher die Vortheile einer guten und froͤh-
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Weiſer und Tugendhafter, ich mit dieſem, uͤbrigens
ganz natuͤrlichen, Orden mich beſchaͤftige, und
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bleibt ein — Nebenher.
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Berlin, 1802, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien01_1802/38>, abgerufen am 16.07.2024.
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