Fortdauer unseres Bundes Zweytens: Gerech- tigkeit in der Würdigung des Verdien- stes derjenigen, die ihre Kräfte mit den unsrigen zur Begründung und Erhaltung des Ganzen ver- einiget haben.
Die vorzüglichen Quellen, aus welchen die Ungerechtigkeit in der Würdigung des Verdienstes fließt, sind: Ueberschätzung seines verdienst- losen Selbstes; -- entschiedene Vorliebe für das Neue; -- einseitige Anhänglich- keit an das Außerordentliche und Glän- zende. Der verdienstlose Selbstling sieht überall nichts, als sich. Sein Auge ist ein erhaben ge- schliffenes Glas, welches ihm sein nächstes Ich unendlich vergrößert, aber alles, was in einiger Entfernung vor ihm liegt, unkenntlich macht. Die ganze Welt ist ihm ein ungeheurer Hohlspiegel, in dem er nur seine eigene Gestalt groß und ge- rade, alles übrige aber, was über, neben und hinter ihm liegt, verkehrt, verkleinert, verunstal- tet sieht. -- Die entschiedene Vorliebe für das Neue würde die Maurergesellschaft einer Klicke abergläubischer Mönche gleich machen, denen der neue Heilige immer der Heiligste ist. Nur ihm erschallen nun ihre schwärmerischen Lobgesänge, nur ihm duftet der Weihrauch ihrer Anbetung; der ältere Heilige ist vergessen, Staub und Un- rath decken seine Bildsäule. -- Die einseitige Anhänglichkeit an das Außerordentliche und Glän- zende verräth Einseitigkeit der Bildung und des Charakters. -- Aus welcher dieser drei Quellen
Fortdauer unſeres Bundes Zweytens: Gerech- tigkeit in der Wuͤrdigung des Verdien- ſtes derjenigen, die ihre Kraͤfte mit den unſrigen zur Begruͤndung und Erhaltung des Ganzen ver- einiget haben.
Die vorzuͤglichen Quellen, aus welchen die Ungerechtigkeit in der Wuͤrdigung des Verdienſtes fließt, ſind: Ueberſchaͤtzung ſeines verdienſt- loſen Selbſtes; — entſchiedene Vorliebe fuͤr das Neue; — einſeitige Anhaͤnglich- keit an das Außerordentliche und Glaͤn- zende. Der verdienſtloſe Selbſtling ſieht uͤberall nichts, als ſich. Sein Auge iſt ein erhaben ge- ſchliffenes Glas, welches ihm ſein naͤchſtes Ich unendlich vergroͤßert, aber alles, was in einiger Entfernung vor ihm liegt, unkenntlich macht. Die ganze Welt iſt ihm ein ungeheurer Hohlſpiegel, in dem er nur ſeine eigene Geſtalt groß und ge- rade, alles uͤbrige aber, was uͤber, neben und hinter ihm liegt, verkehrt, verkleinert, verunſtal- tet ſieht. — Die entſchiedene Vorliebe fuͤr das Neue wuͤrde die Maurergeſellſchaft einer Klicke aberglaͤubiſcher Moͤnche gleich machen, denen der neue Heilige immer der Heiligſte iſt. Nur ihm erſchallen nun ihre ſchwaͤrmeriſchen Lobgeſaͤnge, nur ihm duftet der Weihrauch ihrer Anbetung; der aͤltere Heilige iſt vergeſſen, Staub und Un- rath decken ſeine Bildſaͤule. — Die einſeitige Anhaͤnglichkeit an das Außerordentliche und Glaͤn- zende verraͤth Einſeitigkeit der Bildung und des Charakters. — Aus welcher dieſer drei Quellen
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Fortdauer unſeres Bundes Zweytens: Gerech-
tigkeit in der Wuͤrdigung des Verdien-
ſtes derjenigen, die ihre Kraͤfte mit den unſrigen
zur Begruͤndung und Erhaltung des Ganzen ver-
einiget haben.
Die vorzuͤglichen Quellen, aus welchen die
Ungerechtigkeit in der Wuͤrdigung des Verdienſtes
fließt, ſind: Ueberſchaͤtzung ſeines verdienſt-
loſen Selbſtes; — entſchiedene Vorliebe
fuͤr das Neue; — einſeitige Anhaͤnglich-
keit an das Außerordentliche und Glaͤn-
zende. Der verdienſtloſe Selbſtling ſieht uͤberall
nichts, als ſich. Sein Auge iſt ein erhaben ge-
ſchliffenes Glas, welches ihm ſein naͤchſtes Ich
unendlich vergroͤßert, aber alles, was in einiger
Entfernung vor ihm liegt, unkenntlich macht. Die
ganze Welt iſt ihm ein ungeheurer Hohlſpiegel,
in dem er nur ſeine eigene Geſtalt groß und ge-
rade, alles uͤbrige aber, was uͤber, neben und
hinter ihm liegt, verkehrt, verkleinert, verunſtal-
tet ſieht. — Die entſchiedene Vorliebe fuͤr das
Neue wuͤrde die Maurergeſellſchaft einer Klicke
aberglaͤubiſcher Moͤnche gleich machen, denen der
neue Heilige immer der Heiligſte iſt. Nur ihm
erſchallen nun ihre ſchwaͤrmeriſchen Lobgeſaͤnge,
nur ihm duftet der Weihrauch ihrer Anbetung;
der aͤltere Heilige iſt vergeſſen, Staub und Un-
rath decken ſeine Bildſaͤule. — Die einſeitige
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Charakters. — Aus welcher dieſer drei Quellen
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Berlin, 1802, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien01_1802/235>, abgerufen am 16.02.2025.
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