Vertheidiger dessen, was er für wahr und Recht hielt. -- Er kannte die Pflicht, in der Ausbil- dung seines Geistes fortzuschreiten, mithin den Grund, den Umfang und den Gehalt seiner mo- ralischen Einsichten, öfters zu überschauen, zu prü- fen, zu berichtigen: aber ein beschwerliches und ermüdendes Amt beschränkte seine Zeit und seine Kraft zu diesem höchsten und heiligsten Geschäft des Menschen. Mehr also in seinen äußern Ver- hältnissen, als in seinem Willen lag der Grund, aus dem Neigungen und Leidenschaften bald über die schwächere Einsicht, bald über die bessere Ue- berzeugung in ihm bisweilen siegen konnten. Ließ ihm der Drang äußerer Umstände seine völlige Geistesruhe und Besonnenheit, so fand das Gute in ihm unfehlbar seinen warmen Anhänger und Beförderer, die Wahrheit ihren freimüthigen Be- kenner, das Recht seinen beherzten Vertheidiger.
Entbehren und Genießen sind die Wen- depunkte des menschlichen Lebens, und die beiden Grenzpunkte aller Lebensweisheit. Die Fertigkeit zu entbehren wird dem Menschen früher oder später von dem strengen Gesetze der Nothwendigkeit auf- gedrungen. Er hat nichts weiter dabei zu thun, als sich demselben mit Anstand und Würde zu unterwerfen. Und hierin können es auch ganz gewöhnliche Menschen ziemlich weit bringen. Aber die Kunst zu genießen muß mühsam erlernt und anhaltend geübt werden. Die Meister in dieser Kunst sind so selten, daß nur der mit sich selbst völlig unbekannte Thor sie überall sehen
Vertheidiger deſſen, was er fuͤr wahr und Recht hielt. — Er kannte die Pflicht, in der Ausbil- dung ſeines Geiſtes fortzuſchreiten, mithin den Grund, den Umfang und den Gehalt ſeiner mo- raliſchen Einſichten, oͤfters zu uͤberſchauen, zu pruͤ- fen, zu berichtigen: aber ein beſchwerliches und ermuͤdendes Amt beſchraͤnkte ſeine Zeit und ſeine Kraft zu dieſem hoͤchſten und heiligſten Geſchaͤft des Menſchen. Mehr alſo in ſeinen aͤußern Ver- haͤltniſſen, als in ſeinem Willen lag der Grund, aus dem Neigungen und Leidenſchaften bald uͤber die ſchwaͤchere Einſicht, bald uͤber die beſſere Ue- berzeugung in ihm bisweilen ſiegen konnten. Ließ ihm der Drang aͤußerer Umſtaͤnde ſeine voͤllige Geiſtesruhe und Beſonnenheit, ſo fand das Gute in ihm unfehlbar ſeinen warmen Anhaͤnger und Befoͤrderer, die Wahrheit ihren freimuͤthigen Be- kenner, das Recht ſeinen beherzten Vertheidiger.
Entbehren und Genießen ſind die Wen- depunkte des menſchlichen Lebens, und die beiden Grenzpunkte aller Lebensweisheit. Die Fertigkeit zu entbehren wird dem Menſchen fruͤher oder ſpaͤter von dem ſtrengen Geſetze der Nothwendigkeit auf- gedrungen. Er hat nichts weiter dabei zu thun, als ſich demſelben mit Anſtand und Wuͤrde zu unterwerfen. Und hierin koͤnnen es auch ganz gewoͤhnliche Menſchen ziemlich weit bringen. Aber die Kunſt zu genießen muß muͤhſam erlernt und anhaltend geuͤbt werden. Die Meiſter in dieſer Kunſt ſind ſo ſelten, daß nur der mit ſich ſelbſt voͤllig unbekannte Thor ſie uͤberall ſehen
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Vertheidiger deſſen, was er fuͤr wahr und Recht
hielt. — Er kannte die Pflicht, in der Ausbil-
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Grund, den Umfang und den Gehalt ſeiner mo-
raliſchen Einſichten, oͤfters zu uͤberſchauen, zu pruͤ-
fen, zu berichtigen: aber ein beſchwerliches und
ermuͤdendes Amt beſchraͤnkte ſeine Zeit und ſeine
Kraft zu dieſem hoͤchſten und heiligſten Geſchaͤft
des Menſchen. Mehr alſo in ſeinen aͤußern Ver-
haͤltniſſen, als in ſeinem Willen lag der Grund,
aus dem Neigungen und Leidenſchaften bald uͤber
die ſchwaͤchere Einſicht, bald uͤber die beſſere Ue-
berzeugung in ihm bisweilen ſiegen konnten. Ließ
ihm der Drang aͤußerer Umſtaͤnde ſeine voͤllige
Geiſtesruhe und Beſonnenheit, ſo fand das Gute
in ihm unfehlbar ſeinen warmen Anhaͤnger und
Befoͤrderer, die Wahrheit ihren freimuͤthigen Be-
kenner, das Recht ſeinen beherzten Vertheidiger.
Entbehren und Genießen ſind die Wen-
depunkte des menſchlichen Lebens, und die beiden
Grenzpunkte aller Lebensweisheit. Die Fertigkeit
zu entbehren wird dem Menſchen fruͤher oder ſpaͤter
von dem ſtrengen Geſetze der Nothwendigkeit auf-
gedrungen. Er hat nichts weiter dabei zu thun,
als ſich demſelben mit Anſtand und Wuͤrde
zu unterwerfen. Und hierin koͤnnen es auch ganz
gewoͤhnliche Menſchen ziemlich weit bringen. Aber
die Kunſt zu genießen muß muͤhſam erlernt
und anhaltend geuͤbt werden. Die Meiſter in
dieſer Kunſt ſind ſo ſelten, daß nur der mit ſich
ſelbſt voͤllig unbekannte Thor ſie uͤberall ſehen
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Berlin, 1802, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien01_1802/202>, abgerufen am 16.02.2025.
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