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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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ster lernen solten, wie man sich mit Mund und Augen, ja selbst mit denen
Händen, bey jedwedem Worte gebehren müsse; worauf er dann diese neuen
Roscios (wie man diejenigen, welche in einer Sache vortrefflich waren, dem
alten Römischen Roscio, der seine Person auf den Schau-Platz über alle mas-
sen wohl vorstellen können, daß auch Cicero zu seiner Vertheidung eine Rede
gehalten, zu Ehren geheissen) öffentlich auftreten, und eine oder andere Rede
aus dem Cicero also hersagen lassen; welches auch insgemein mit grossem
Vergnügen derer Zuhörer geschehen ist, denen dieses, als was neues, wornach
jederman begierig ist, nicht mißfallen kunte. Allein es hat soweit gefehlet,
daß Frantzius, durch diese Kunst-Stücke, seine Schüler zu grossen Rednern
hätte machen sollen, daß vielmehr die meisten dadurch zu einer gezwungenen
und schändlichen Großsprecherey sind verleitet worden.

Fast eben dergleichen wissen sichere Leute von dem berühmten, in diesem
Seculo verstorbenen, Prediger J. F. M. zu erzehlen, daß selbiger, so offt er
vor einem grossen Herrn predigen sollen, allezeit vorhero seine Geberden und
Minen vor dem, in seiner Studier-Stube gestandenen, sehr grossen, und aus
dem feinesten Venetianischen Crystall gemachten Spiegel untersuchet habe.

Die Geschichtschreiber mögen ebenfalls nicht gantz und gar mit Still-
schweigen übergangen werden, weil sich schon ihrer viele auf mancherley Art
lächerlich gemachet, absonderlich dadurch, wann sie so gar die Treffen und
Schlachten, bey denen es insgemein sehr unordentlich zugehet, auf das fleißig-
ste und ordentlichste beschreiben und abmahlen lassen. Nicht ohne Ursache hat
also der weltberühmte General Schomberg dem Michael le Vassor gerathen,
die Schlachten und gehaltenen Treffen nicht zu beschreiben. Er selbst,
wann er in
Bataillen gewesen, hätte bey weitem nicht alles in genaue
Obacht nehmen können.
Die gemeinen Romanen-Schreiber aber sind sehr
glücklich, solches alles auf das genaueste zu entwerffen. Sie wissen auf de-
nen Fingern herzu erzehlen, wie die Glieder auf einander gerücket, wie die
Kugeln um die Köpffe geflogen, wie die Hiebe auf einander gefolget, und wie
ein jedweder gefochten, avanciret, oder zurücke gewichen, dergestalt, daß man
meynen solte, sie wären eben in der Lufft an einem sichern Ort placiret gewe-
sen, hätten mit ihren Augen Staub und Dampff durchdrungen, auch über
jedwede Kugel, über jedweden Hieb und Stich, ja über einen jedweden vor-
oder rückwerts gethanen Schritt, ein ordentliches Register gehalten.

An-

ſter lernen ſolten, wie man ſich mit Mund und Augen, ja ſelbſt mit denen
Haͤnden, bey jedwedem Worte gebehren muͤſſe; worauf er dann dieſe neuen
Roſcios (wie man diejenigen, welche in einer Sache vortrefflich waren, dem
alten Roͤmiſchen Roſcio, der ſeine Perſon auf den Schau-Platz uͤber alle maſ-
ſen wohl vorſtellen koͤnnen, daß auch Cicero zu ſeiner Vertheidung eine Rede
gehalten, zu Ehren geheiſſen) oͤffentlich auftreten, und eine oder andere Rede
aus dem Cicero alſo herſagen laſſen; welches auch insgemein mit groſſem
Vergnuͤgen derer Zuhoͤrer geſchehen iſt, denen dieſes, als was neues, wornach
jederman begierig iſt, nicht mißfallen kunte. Allein es hat ſoweit gefehlet,
daß Frantzius, durch dieſe Kunſt-Stuͤcke, ſeine Schuͤler zu groſſen Rednern
haͤtte machen ſollen, daß vielmehr die meiſten dadurch zu einer gezwungenen
und ſchaͤndlichen Großſprecherey ſind verleitet worden.

Faſt eben dergleichen wiſſen ſichere Leute von dem beruͤhmten, in dieſem
Seculo verſtorbenen, Prediger J. F. M. zu erzehlen, daß ſelbiger, ſo offt er
vor einem groſſen Herrn predigen ſollen, allezeit vorhero ſeine Geberden und
Minen vor dem, in ſeiner Studier-Stube geſtandenen, ſehr groſſen, und aus
dem feineſten Venetianiſchen Cryſtall gemachten Spiegel unterſuchet habe.

Die Geſchichtſchreiber moͤgen ebenfalls nicht gantz und gar mit Still-
ſchweigen uͤbergangen werden, weil ſich ſchon ihrer viele auf mancherley Art
laͤcherlich gemachet, abſonderlich dadurch, wann ſie ſo gar die Treffen und
Schlachten, bey denen es insgemein ſehr unordentlich zugehet, auf das fleißig-
ſte und ordentlichſte beſchreiben und abmahlen laſſen. Nicht ohne Urſache hat
alſo der weltberuͤhmte General Schomberg dem Michael le Vaſſor gerathen,
die Schlachten und gehaltenen Treffen nicht zu beſchreiben. Er ſelbſt,
wann er in
Bataillen geweſen, haͤtte bey weitem nicht alles in genaue
Obacht nehmen koͤnnen.
Die gemeinen Romanen-Schreiber aber ſind ſehr
gluͤcklich, ſolches alles auf das genaueſte zu entwerffen. Sie wiſſen auf de-
nen Fingern herzu erzehlen, wie die Glieder auf einander geruͤcket, wie die
Kugeln um die Koͤpffe geflogen, wie die Hiebe auf einander gefolget, und wie
ein jedweder gefochten, avanciret, oder zuruͤcke gewichen, dergeſtalt, daß man
meynen ſolte, ſie waͤren eben in der Lufft an einem ſichern Ort placiret gewe-
ſen, haͤtten mit ihren Augen Staub und Dampff durchdrungen, auch uͤber
jedwede Kugel, uͤber jedweden Hieb und Stich, ja uͤber einen jedweden vor-
oder ruͤckwerts gethanen Schritt, ein ordentliches Regiſter gehalten.

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[218/0262] ſter lernen ſolten, wie man ſich mit Mund und Augen, ja ſelbſt mit denen Haͤnden, bey jedwedem Worte gebehren muͤſſe; worauf er dann dieſe neuen Roſcios (wie man diejenigen, welche in einer Sache vortrefflich waren, dem alten Roͤmiſchen Roſcio, der ſeine Perſon auf den Schau-Platz uͤber alle maſ- ſen wohl vorſtellen koͤnnen, daß auch Cicero zu ſeiner Vertheidung eine Rede gehalten, zu Ehren geheiſſen) oͤffentlich auftreten, und eine oder andere Rede aus dem Cicero alſo herſagen laſſen; welches auch insgemein mit groſſem Vergnuͤgen derer Zuhoͤrer geſchehen iſt, denen dieſes, als was neues, wornach jederman begierig iſt, nicht mißfallen kunte. Allein es hat ſoweit gefehlet, daß Frantzius, durch dieſe Kunſt-Stuͤcke, ſeine Schuͤler zu groſſen Rednern haͤtte machen ſollen, daß vielmehr die meiſten dadurch zu einer gezwungenen und ſchaͤndlichen Großſprecherey ſind verleitet worden. Faſt eben dergleichen wiſſen ſichere Leute von dem beruͤhmten, in dieſem Seculo verſtorbenen, Prediger J. F. M. zu erzehlen, daß ſelbiger, ſo offt er vor einem groſſen Herrn predigen ſollen, allezeit vorhero ſeine Geberden und Minen vor dem, in ſeiner Studier-Stube geſtandenen, ſehr groſſen, und aus dem feineſten Venetianiſchen Cryſtall gemachten Spiegel unterſuchet habe. Die Geſchichtſchreiber moͤgen ebenfalls nicht gantz und gar mit Still- ſchweigen uͤbergangen werden, weil ſich ſchon ihrer viele auf mancherley Art laͤcherlich gemachet, abſonderlich dadurch, wann ſie ſo gar die Treffen und Schlachten, bey denen es insgemein ſehr unordentlich zugehet, auf das fleißig- ſte und ordentlichſte beſchreiben und abmahlen laſſen. Nicht ohne Urſache hat alſo der weltberuͤhmte General Schomberg dem Michael le Vaſſor gerathen, die Schlachten und gehaltenen Treffen nicht zu beſchreiben. Er ſelbſt, wann er in Bataillen geweſen, haͤtte bey weitem nicht alles in genaue Obacht nehmen koͤnnen. Die gemeinen Romanen-Schreiber aber ſind ſehr gluͤcklich, ſolches alles auf das genaueſte zu entwerffen. Sie wiſſen auf de- nen Fingern herzu erzehlen, wie die Glieder auf einander geruͤcket, wie die Kugeln um die Koͤpffe geflogen, wie die Hiebe auf einander gefolget, und wie ein jedweder gefochten, avanciret, oder zuruͤcke gewichen, dergeſtalt, daß man meynen ſolte, ſie waͤren eben in der Lufft an einem ſichern Ort placiret gewe- ſen, haͤtten mit ihren Augen Staub und Dampff durchdrungen, auch uͤber jedwede Kugel, uͤber jedweden Hieb und Stich, ja uͤber einen jedweden vor- oder ruͤckwerts gethanen Schritt, ein ordentliches Regiſter gehalten. An-

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/262>, abgerufen am 24.11.2024.