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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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dens, Advocatus und Medicus werden müste; da doch vor allen Dingen, bey
dieser einfältigen Weiber-Praedestination, zu examiniren wäre, ob dann der
Zweig, auf welchen dermaleinst der gantze Stamm ruhen solte, ein vollkom-
menes Geschicke und natürliche Begierde zu diesem Studio tractando haben
möchte. Denn wann solches noch vor der Geburt geschiehet, und sich von un-
gefehr zutrüge, daß der zukünfftige Sohn, ein fein douses und stilles Tempe-
rament,
wie sie insgemein die obtusa Ingenia nennen, mit auf die Welt bräch-
te, dergestalt, daß man mit diesem guten Pürschgen gantz glücklich über die
Mauren springen, und an die Wände lauffen könte, so müste wegen der när-
rischen und eingebildeten Praedestination folgen, daß der Himmel mit Fleiß sol-
che Pecora Ecclesiae & Reipublicae sich vorbehalten hätte; welches dann absurd
zu dencken, und noch viel absurder zu behaupten seyn würde. Daher lobe ich
diejenigen Gelehrten, welche haben wollen, daß man einen Selectum Ingenio-
rum
in Erlernung derer Künste und Wissenschafften anstellen solle, weil man als-
dann sehen kan, ob sich dieser oder jener, zu diesem oder jenem Studio schicket; zu-
mal wann man vorhero die Facultates Judicii, Ingenii & Memoriae genau exa-
mini
ret, und nach derselben Force alle seine Informationes und Lectiones ein-
richtet.

Aber auch eine allzugelehrte Education taugt nichts, und solche bestehet
darinnen, wann man die Kinder mit allzuvielen Lectionen überhäuffet, derge-
stalt, daß sie in einem Tage mehr als zehen unterschiedene Bücher in die Hand
nehmen, und daraus etwas auswendig lernen müssen. Aus solchen Kindern
werden gemeiniglich nichts anders als Pedanten und Contradictorische Feder-
Fechter. Ein dergleichen Gelehrter ist meistentheis damit zufrieden, wann er
nur fein nach seiner Logique künstliche Wörter, nach der Poesie unnütze Fa-
beln und künstliche Verse, nach der Disputir-Kunst künstliche Syllogismos und
Barbarische Modos, nach der Oratorie prächtige Wörter, nach der Moral blosse
Schein-Tugenden, nach der Physique lauter qualitates occultas, und nach
der Superphysique abgelebte und abgedroschene Distinctiones erlernet. In die-
sen falschen und eingebildeten Wissenschafften gehet mancher, leider! auf Uni-
versitae
ten immer weiter, und dencket noch wohl, nach absolvirten Studiis dar-
zu in seinem Hertzen Wunder, was vor Mysteria er verschlucket und aufgefres-
sen hätte. Dahero fänget er an in seinem Leben sich singulier aufzuführen,
bemühet sich allen Leuten zu widersprechen, und die Gegner mit vielen wun-
derlichen und lächerlichen Instantien auf einmal ad multum absurdum zu brin-

gen.

dens, Advocatus und Medicus werden muͤſte; da doch vor allen Dingen, bey
dieſer einfaͤltigen Weiber-Prædeſtination, zu examiniren waͤre, ob dann der
Zweig, auf welchen dermaleinſt der gantze Stamm ruhen ſolte, ein vollkom-
menes Geſchicke und natuͤrliche Begierde zu dieſem Studio tractando haben
moͤchte. Denn wann ſolches noch vor der Geburt geſchiehet, und ſich von un-
gefehr zutruͤge, daß der zukuͤnfftige Sohn, ein fein douſes und ſtilles Tempe-
rament,
wie ſie insgemein die obtuſa Ingenia nennen, mit auf die Welt braͤch-
te, dergeſtalt, daß man mit dieſem guten Puͤrſchgen gantz gluͤcklich uͤber die
Mauren ſpringen, und an die Waͤnde lauffen koͤnte, ſo muͤſte wegen der naͤr-
riſchen und eingebildeten Prædeſtination folgen, daß der Himmel mit Fleiß ſol-
che Pecora Eccleſiæ & Reipublicæ ſich vorbehalten haͤtte; welches dann abſurd
zu dencken, und noch viel abſurder zu behaupten ſeyn wuͤrde. Daher lobe ich
diejenigen Gelehrten, welche haben wollen, daß man einen Selectum Ingenio-
rum
in Erlernung derer Kuͤnſte und Wiſſenſchafften anſtellen ſolle, weil man als-
dann ſehen kan, ob ſich dieſer oder jener, zu dieſem oder jenem Studio ſchicket; zu-
mal wann man vorhero die Facultates Judicii, Ingenii & Memoriæ genau exa-
mini
ret, und nach derſelben Force alle ſeine Informationes und Lectiones ein-
richtet.

Aber auch eine allzugelehrte Education taugt nichts, und ſolche beſtehet
darinnen, wann man die Kinder mit allzuvielen Lectionen uͤberhaͤuffet, derge-
ſtalt, daß ſie in einem Tage mehr als zehen unterſchiedene Buͤcher in die Hand
nehmen, und daraus etwas auswendig lernen muͤſſen. Aus ſolchen Kindern
werden gemeiniglich nichts anders als Pedanten und Contradictoriſche Feder-
Fechter. Ein dergleichen Gelehrter iſt meiſtentheis damit zufrieden, wann er
nur fein nach ſeiner Logique kuͤnſtliche Woͤrter, nach der Poëſie unnuͤtze Fa-
beln und kuͤnſtliche Verſe, nach der Diſputir-Kunſt kuͤnſtliche Syllogiſmos und
Barbariſche Modos, nach der Oratorie praͤchtige Woͤrter, nach der Moral bloſſe
Schein-Tugenden, nach der Phyſique lauter qualitates occultas, und nach
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ſen falſchen und eingebildeten Wiſſenſchafften gehet mancher, leider! auf Uni-
verſitæ
ten immer weiter, und dencket noch wohl, nach abſolvirten Studiis dar-
zu in ſeinem Hertzen Wunder, was vor Myſteria er verſchlucket und aufgefreſ-
ſen haͤtte. Dahero faͤnget er an in ſeinem Leben ſich ſingulier aufzufuͤhren,
bemuͤhet ſich allen Leuten zu widerſprechen, und die Gegner mit vielen wun-
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[183/0227] dens, Advocatus und Medicus werden muͤſte; da doch vor allen Dingen, bey dieſer einfaͤltigen Weiber-Prædeſtination, zu examiniren waͤre, ob dann der Zweig, auf welchen dermaleinſt der gantze Stamm ruhen ſolte, ein vollkom- menes Geſchicke und natuͤrliche Begierde zu dieſem Studio tractando haben moͤchte. Denn wann ſolches noch vor der Geburt geſchiehet, und ſich von un- gefehr zutruͤge, daß der zukuͤnfftige Sohn, ein fein douſes und ſtilles Tempe- rament, wie ſie insgemein die obtuſa Ingenia nennen, mit auf die Welt braͤch- te, dergeſtalt, daß man mit dieſem guten Puͤrſchgen gantz gluͤcklich uͤber die Mauren ſpringen, und an die Waͤnde lauffen koͤnte, ſo muͤſte wegen der naͤr- riſchen und eingebildeten Prædeſtination folgen, daß der Himmel mit Fleiß ſol- che Pecora Eccleſiæ & Reipublicæ ſich vorbehalten haͤtte; welches dann abſurd zu dencken, und noch viel abſurder zu behaupten ſeyn wuͤrde. Daher lobe ich diejenigen Gelehrten, welche haben wollen, daß man einen Selectum Ingenio- rum in Erlernung derer Kuͤnſte und Wiſſenſchafften anſtellen ſolle, weil man als- dann ſehen kan, ob ſich dieſer oder jener, zu dieſem oder jenem Studio ſchicket; zu- mal wann man vorhero die Facultates Judicii, Ingenii & Memoriæ genau exa- miniret, und nach derſelben Force alle ſeine Informationes und Lectiones ein- richtet. Aber auch eine allzugelehrte Education taugt nichts, und ſolche beſtehet darinnen, wann man die Kinder mit allzuvielen Lectionen uͤberhaͤuffet, derge- ſtalt, daß ſie in einem Tage mehr als zehen unterſchiedene Buͤcher in die Hand nehmen, und daraus etwas auswendig lernen muͤſſen. Aus ſolchen Kindern werden gemeiniglich nichts anders als Pedanten und Contradictoriſche Feder- Fechter. Ein dergleichen Gelehrter iſt meiſtentheis damit zufrieden, wann er nur fein nach ſeiner Logique kuͤnſtliche Woͤrter, nach der Poëſie unnuͤtze Fa- beln und kuͤnſtliche Verſe, nach der Diſputir-Kunſt kuͤnſtliche Syllogiſmos und Barbariſche Modos, nach der Oratorie praͤchtige Woͤrter, nach der Moral bloſſe Schein-Tugenden, nach der Phyſique lauter qualitates occultas, und nach der Superphyſique abgelebte und abgedroſchene Diſtinctiones erlernet. In die- ſen falſchen und eingebildeten Wiſſenſchafften gehet mancher, leider! auf Uni- verſitæten immer weiter, und dencket noch wohl, nach abſolvirten Studiis dar- zu in ſeinem Hertzen Wunder, was vor Myſteria er verſchlucket und aufgefreſ- ſen haͤtte. Dahero faͤnget er an in ſeinem Leben ſich ſingulier aufzufuͤhren, bemuͤhet ſich allen Leuten zu widerſprechen, und die Gegner mit vielen wun- derlichen und laͤcherlichen Inſtantien auf einmal ad multum abſurdum zu brin- gen.

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/227>, abgerufen am 24.11.2024.