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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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Delphicum, bey welchen sich alle andere Gelehrte, sie möchten wollen oder
nicht, guten Raths erholen müsten. Sie fangen deswegen an, aus dem
Vorurtheil der eingebildeten Vielwissenheit sich in allen ihren Collegiis zu rüh-
men, ihre Bücher, Disputationes und Scartequen cum Emphasi zu recomman-
di
ren, andere gelehrte Leute neben sich zu verachten, von ihnen mal-honnet zu
raisonniren, und sich mit Respect zu schreiben, über allen Dreck zu moquiren.
Sie wollen nicht allein über die Leiber, gleich denen grausamen Tyrannen,
sondern wo es nur möglich wäre auch über die Seelen herrschen; und dahero
wollen sie ihre abendtheuerliche Grillen und wunderliche Meynungen andern
mit Gewalt ins Gehirne prägen. Wann man solchen haberrechtischen Ge-
lehrten gleich mit der grösten Sanfftmuth widerspricht; so sind sie in ihrer
Conduite dennoch intolerable und lassen den einmahl gefasseten Groll so
leichtlich nicht wieder fahren. Ihre absurden Meynungen wollen sie darum
nicht ablegen, weil sie die wichtige Grille von sich hegen, als ob sie ein weit bes-
seres Judicium, als alle andere gescheute Leute hätten, und daher in ihren
Lehr-Sätzen unmöglich fehlen und irren könten; da doch von allen Verständi-
gen zugegeben werden muß, das Fehlen und Irren nicht allein was menschli-
ches, sondern gar was natürliches und angebohrnes zu nennen seye. Sie sa-
gen und behaupten in ihren Collegiis und Scriptis, wann sie diese und jene
Meynung, welche sie nun so lange Jahre wieder ihre Antagonisten verfochten
hätten, fahren liessen, und dieselbe nicht mehr halsstarrig gewöhnlicher massen,
defendiren wolten, alsdann ihre Schüler und andere Leute von ihnen sagen
möchten, daß sie ein rechtes altes Weiber-Judicium hätten, welches so vielen
Fehlern und Mängeln unterworffen wäre, als Flöhe in alten Weiberpeltzen an-
getroffen würden.

Die Melancholischen scheinen nur darum nach ihrem Naturel gebohren zu
seyn, daß sie erbärmliche und ewige Sclaven vom Verstande anderer gelehr-
ten Leute bleiben, und nichts weiter in Theologicis statuiren wollen, als was
Affelmannus, Dannhauerus, Scherzerus, Calovius, Hulsemannus &c. in die-
sem und jenem Glaubens-Artickel, intrepide und mascule verfochten hätten.
Die Alten wären, welches ich auch hertzlich gerne glaube, und ohne Gewissens-
Zwang zugeben will, keine Narren gewesen, und wäre es am besten gethan,
wann man es in der Welt fein bey denen alten Löchern liesse, und keine neuen
darzu bohrte. Daher entstehet das Vorurtheil des blinden und tummen Ge-
horsams, da sie lieber mit dem sel. N. in manchen Sachen par Compagnie ir-

ren
Z

Delphicum, bey welchen ſich alle andere Gelehrte, ſie moͤchten wollen oder
nicht, guten Raths erholen muͤſten. Sie fangen deswegen an, aus dem
Vorurtheil der eingebildeten Vielwiſſenheit ſich in allen ihren Collegiis zu ruͤh-
men, ihre Buͤcher, Diſputationes und Scartequen cum Emphaſi zu recomman-
di
ren, andere gelehrte Leute neben ſich zu verachten, von ihnen mal-honnet zu
raiſonniren, und ſich mit Reſpect zu ſchreiben, uͤber allen Dreck zu moquiren.
Sie wollen nicht allein uͤber die Leiber, gleich denen grauſamen Tyrannen,
ſondern wo es nur moͤglich waͤre auch uͤber die Seelen herrſchen; und dahero
wollen ſie ihre abendtheuerliche Grillen und wunderliche Meynungen andern
mit Gewalt ins Gehirne praͤgen. Wann man ſolchen haberrechtiſchen Ge-
lehrten gleich mit der groͤſten Sanfftmuth widerſpricht; ſo ſind ſie in ihrer
Conduite dennoch intolerable und laſſen den einmahl gefaſſeten Groll ſo
leichtlich nicht wieder fahren. Ihre abſurden Meynungen wollen ſie darum
nicht ablegen, weil ſie die wichtige Grille von ſich hegen, als ob ſie ein weit beſ-
ſeres Judicium, als alle andere geſcheute Leute haͤtten, und daher in ihren
Lehr-Saͤtzen unmoͤglich fehlen und irren koͤnten; da doch von allen Verſtaͤndi-
gen zugegeben werden muß, das Fehlen und Irren nicht allein was menſchli-
ches, ſondern gar was natuͤrliches und angebohrnes zu nennen ſeye. Sie ſa-
gen und behaupten in ihren Collegiis und Scriptis, wann ſie dieſe und jene
Meynung, welche ſie nun ſo lange Jahre wieder ihre Antagoniſten verfochten
haͤtten, fahren lieſſen, und dieſelbe nicht mehr halsſtarrig gewoͤhnlicher maſſen,
defendiren wolten, alsdann ihre Schuͤler und andere Leute von ihnen ſagen
moͤchten, daß ſie ein rechtes altes Weiber-Judicium haͤtten, welches ſo vielen
Fehlern und Maͤngeln unterworffen waͤre, als Floͤhe in alten Weiberpeltzen an-
getroffen wuͤrden.

Die Melancholiſchen ſcheinen nur darum nach ihrem Naturel gebohren zu
ſeyn, daß ſie erbaͤrmliche und ewige Sclaven vom Verſtande anderer gelehr-
ten Leute bleiben, und nichts weiter in Theologicis ſtatuiren wollen, als was
Affelmannus, Dannhauerus, Scherzerus, Calovius, Hulſemannus &c. in die-
ſem und jenem Glaubens-Artickel, intrepide und maſcule verfochten haͤtten.
Die Alten waͤren, welches ich auch hertzlich gerne glaube, und ohne Gewiſſens-
Zwang zugeben will, keine Narren geweſen, und waͤre es am beſten gethan,
wann man es in der Welt fein bey denen alten Loͤchern lieſſe, und keine neuen
darzu bohrte. Daher entſtehet das Vorurtheil des blinden und tummen Ge-
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[177/0221] Delphicum, bey welchen ſich alle andere Gelehrte, ſie moͤchten wollen oder nicht, guten Raths erholen muͤſten. Sie fangen deswegen an, aus dem Vorurtheil der eingebildeten Vielwiſſenheit ſich in allen ihren Collegiis zu ruͤh- men, ihre Buͤcher, Diſputationes und Scartequen cum Emphaſi zu recomman- diren, andere gelehrte Leute neben ſich zu verachten, von ihnen mal-honnet zu raiſonniren, und ſich mit Reſpect zu ſchreiben, uͤber allen Dreck zu moquiren. Sie wollen nicht allein uͤber die Leiber, gleich denen grauſamen Tyrannen, ſondern wo es nur moͤglich waͤre auch uͤber die Seelen herrſchen; und dahero wollen ſie ihre abendtheuerliche Grillen und wunderliche Meynungen andern mit Gewalt ins Gehirne praͤgen. Wann man ſolchen haberrechtiſchen Ge- lehrten gleich mit der groͤſten Sanfftmuth widerſpricht; ſo ſind ſie in ihrer Conduite dennoch intolerable und laſſen den einmahl gefaſſeten Groll ſo leichtlich nicht wieder fahren. Ihre abſurden Meynungen wollen ſie darum nicht ablegen, weil ſie die wichtige Grille von ſich hegen, als ob ſie ein weit beſ- ſeres Judicium, als alle andere geſcheute Leute haͤtten, und daher in ihren Lehr-Saͤtzen unmoͤglich fehlen und irren koͤnten; da doch von allen Verſtaͤndi- gen zugegeben werden muß, das Fehlen und Irren nicht allein was menſchli- ches, ſondern gar was natuͤrliches und angebohrnes zu nennen ſeye. Sie ſa- gen und behaupten in ihren Collegiis und Scriptis, wann ſie dieſe und jene Meynung, welche ſie nun ſo lange Jahre wieder ihre Antagoniſten verfochten haͤtten, fahren lieſſen, und dieſelbe nicht mehr halsſtarrig gewoͤhnlicher maſſen, defendiren wolten, alsdann ihre Schuͤler und andere Leute von ihnen ſagen moͤchten, daß ſie ein rechtes altes Weiber-Judicium haͤtten, welches ſo vielen Fehlern und Maͤngeln unterworffen waͤre, als Floͤhe in alten Weiberpeltzen an- getroffen wuͤrden. Die Melancholiſchen ſcheinen nur darum nach ihrem Naturel gebohren zu ſeyn, daß ſie erbaͤrmliche und ewige Sclaven vom Verſtande anderer gelehr- ten Leute bleiben, und nichts weiter in Theologicis ſtatuiren wollen, als was Affelmannus, Dannhauerus, Scherzerus, Calovius, Hulſemannus &c. in die- ſem und jenem Glaubens-Artickel, intrepide und maſcule verfochten haͤtten. Die Alten waͤren, welches ich auch hertzlich gerne glaube, und ohne Gewiſſens- Zwang zugeben will, keine Narren geweſen, und waͤre es am beſten gethan, wann man es in der Welt fein bey denen alten Loͤchern lieſſe, und keine neuen darzu bohrte. Daher entſtehet das Vorurtheil des blinden und tummen Ge- horſams, da ſie lieber mit dem ſel. N. in manchen Sachen par Compagnie ir- ren Z

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/221>, abgerufen am 24.11.2024.