thanen seyn, wann sie mit ihrem Gehorsam gegen ihre Obern denen Schaafen imitirten. Ob nun zwar Tacitus, und die Römische Monarchie, über solche des Hirten hertzhaffte Antwort sich nicht wenig verwunderten, wolten sie den- noch, er solte nicht weiter von Staats-Sachen raisoniren. Der Hirte aber kehrte sich an nichts, sondern sprach zu der Römischen Monarchie:Groß- mächtigste Königin! Ich bin, wie meinemVirgiliogar wohl bewust, ein Mantuanischer Hirte, und wolte es denen grauen Haaren, so ihr auf meinem Haupte, und an meinem Bart sehet, vor eine grosse Schan- de halten, wann ich mein Handwerck nicht recht ausgelernet hätte; sage demnach, daß in denen vielen Jahren, so ich die Schaafe hüte, ich gar eben erfahren, wie die Macht und der Reichthum eines Schä- fers nicht, wie mancher sich einbildet, darinnen bestehe, wann er viele Millionen Schaafe hat, sondern vielmehr darinnen, daß er deren nur so viele habe, als er mit seinen Augen übersehen, und mit seinem Hir- ten-Stabe regieren kan, und die seine Pfeiffe hören, und derselben folgen können. Die Ursache dessen ist offenbar. Denn bey gar zu we- nig Schaafen bleiben die Hirten allezeit arme Bettler und treibet sie die Armuth dahin, die Schaafe allzuhart zu melcken, und ihnen die Wolle gar aus der Haut abzuscheren. Bey der mittelmäßigen Zahl, darinnen die höchste vollkommenheit bestehet, befinden sich die Schä- fer am allerbesten; dahingegen bey der allzugrossen Menge diese Un- gelegenheit entstehet, daß ein eintziger Schäfer derselben nicht wohl abwarten, noch sie der Gebühr nach versehen kan. Dannenhero wer- den die armen Schaafe, wegen ihrer grossen Anzahl, und der Un- achtsamkeit des Schäffers, vors erste mager; nachhero aber müssen sie vor Hunger und Kummer gar verschmachten und verderben. Dieser Schade rühret daher, weil die Berge allzuvoll, und an statt, daß in denenselben gute Ordnung solte gehalten werden, alles über und drüber gehet; auf welche Weise das unter uns Schäffern gebräuchliche Sprich- wort wahr zu seyn scheinet, daß nemlich wenig Schaafe einem Schäfer zur Haushaltung nicht viel nutzen; eine mittelmäßige Heerde aber besser seye; gar zu viel hingegen lauter unordnung, ja mehr Schaden als Nu- tzen verursachen. Also solten sich alle Potentaten, Fürsten und Re- giments-Personen glückseelig achten, wann sie von dem unsterblichen GOtt die Natur und Eigenschafft derer Cameele empfangen hät- ten, daß sie sich in rechter Demuth zur Erden beugen, und mit der
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thanen ſeyn, wann ſie mit ihrem Gehorſam gegen ihre Obern denen Schaafen imitirten. Ob nun zwar Tacitus, und die Roͤmiſche Monarchie, uͤber ſolche des Hirten hertzhaffte Antwort ſich nicht wenig verwunderten, wolten ſie den- noch, er ſolte nicht weiter von Staats-Sachen raiſoniren. Der Hirte aber kehrte ſich an nichts, ſondern ſprach zu der Roͤmiſchen Monarchie:Groß- maͤchtigſte Koͤnigin! Ich bin, wie meinemVirgiliogar wohl bewuſt, ein Mantuaniſcher Hirte, und wolte es denen grauen Haaren, ſo ihr auf meinem Haupte, und an meinem Bart ſehet, vor eine groſſe Schan- de halten, wann ich mein Handwerck nicht recht ausgelernet haͤtte; ſage demnach, daß in denen vielen Jahren, ſo ich die Schaafe huͤte, ich gar eben erfahren, wie die Macht und der Reichthum eines Schaͤ- fers nicht, wie mancher ſich einbildet, darinnen beſtehe, wann er viele Millionen Schaafe hat, ſondern vielmehr darinnen, daß er deren nur ſo viele habe, als er mit ſeinen Augen uͤberſehen, und mit ſeinem Hir- ten-Stabe regieren kan, und die ſeine Pfeiffe hoͤren, und derſelben folgen koͤnnen. Die Urſache deſſen iſt offenbar. Denn bey gar zu we- nig Schaafen bleiben die Hirten allezeit arme Bettler und treibet ſie die Armuth dahin, die Schaafe allzuhart zu melcken, und ihnen die Wolle gar aus der Haut abzuſcheren. Bey der mittelmaͤßigen Zahl, darinnen die hoͤchſte vollkommenheit beſtehet, befinden ſich die Schaͤ- fer am allerbeſten; dahingegen bey der allzugroſſen Menge dieſe Un- gelegenheit entſtehet, daß ein eintziger Schaͤfer derſelben nicht wohl abwarten, noch ſie der Gebuͤhr nach verſehen kan. Dannenhero wer- den die armen Schaafe, wegen ihrer groſſen Anzahl, und der Un- achtſamkeit des Schaͤffers, vors erſte mager; nachhero aber muͤſſen ſie vor Hunger und Kummer gar verſchmachten und verderben. Dieſer Schade ruͤhret daher, weil die Berge allzuvoll, und an ſtatt, daß in denenſelben gute Ordnung ſolte gehalten werden, alles uͤber und druͤber gehet; auf welche Weiſe das unter uns Schaͤffern gebraͤuchliche Sprich- wort wahr zu ſeyn ſcheinet, daß nemlich wenig Schaafe einem Schaͤfer zur Haushaltung nicht viel nutzen; eine mittelmaͤßige Heerde aber beſſer ſeye; gar zu viel hingegen lauter unordnung, ja mehr Schaden als Nu- tzen verurſachen. Alſo ſolten ſich alle Potentaten, Fuͤrſten und Re- giments-Perſonen gluͤckſeelig achten, wann ſie von dem unſterblichen GOtt die Natur und Eigenſchafft derer Cameele empfangen haͤt- ten, daß ſie ſich in rechter Demuth zur Erden beugen, und mit der
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des Hirten hertzhaffte Antwort ſich nicht wenig verwunderten, wolten ſie den-
noch, er ſolte nicht weiter von Staats-Sachen raiſoniren. Der Hirte aber
kehrte ſich an nichts, ſondern ſprach zu der Roͤmiſchen Monarchie: Groß-
maͤchtigſte Koͤnigin! Ich bin, wie meinem Virgilio gar wohl bewuſt,
ein Mantuaniſcher Hirte, und wolte es denen grauen Haaren, ſo ihr
auf meinem Haupte, und an meinem Bart ſehet, vor eine groſſe Schan-
de halten, wann ich mein Handwerck nicht recht ausgelernet haͤtte;
ſage demnach, daß in denen vielen Jahren, ſo ich die Schaafe huͤte,
ich gar eben erfahren, wie die Macht und der Reichthum eines Schaͤ-
fers nicht, wie mancher ſich einbildet, darinnen beſtehe, wann er viele
Millionen Schaafe hat, ſondern vielmehr darinnen, daß er deren nur
ſo viele habe, als er mit ſeinen Augen uͤberſehen, und mit ſeinem Hir-
ten-Stabe regieren kan, und die ſeine Pfeiffe hoͤren, und derſelben
folgen koͤnnen. Die Urſache deſſen iſt offenbar. Denn bey gar zu we-
nig Schaafen bleiben die Hirten allezeit arme Bettler und treibet ſie
die Armuth dahin, die Schaafe allzuhart zu melcken, und ihnen die
Wolle gar aus der Haut abzuſcheren. Bey der mittelmaͤßigen Zahl,
darinnen die hoͤchſte vollkommenheit beſtehet, befinden ſich die Schaͤ-
fer am allerbeſten; dahingegen bey der allzugroſſen Menge dieſe Un-
gelegenheit entſtehet, daß ein eintziger Schaͤfer derſelben nicht wohl
abwarten, noch ſie der Gebuͤhr nach verſehen kan. Dannenhero wer-
den die armen Schaafe, wegen ihrer groſſen Anzahl, und der Un-
achtſamkeit des Schaͤffers, vors erſte mager; nachhero aber muͤſſen ſie
vor Hunger und Kummer gar verſchmachten und verderben. Dieſer
Schade ruͤhret daher, weil die Berge allzuvoll, und an ſtatt, daß in
denenſelben gute Ordnung ſolte gehalten werden, alles uͤber und druͤber
gehet; auf welche Weiſe das unter uns Schaͤffern gebraͤuchliche Sprich-
wort wahr zu ſeyn ſcheinet, daß nemlich wenig Schaafe einem Schaͤfer
zur Haushaltung nicht viel nutzen; eine mittelmaͤßige Heerde aber beſſer
ſeye; gar zu viel hingegen lauter unordnung, ja mehr Schaden als Nu-
tzen verurſachen. Alſo ſolten ſich alle Potentaten, Fuͤrſten und Re-
giments-Perſonen gluͤckſeelig achten, wann ſie von dem unſterblichen
GOtt die Natur und Eigenſchafft derer Cameele empfangen haͤt-
ten, daß ſie ſich in rechter Demuth zur Erden beugen, und mit der
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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/189>, abgerufen am 16.02.2025.
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