Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.2. Die Reaction und die spanische Tracht. sieben Tugenden und die sieben Todsünden. Ein neuer Gegen-stand dieser Zeit ist die büßende Magdalena, während das funfzehnte Jahrhundert in ihr nur die reiche schöne Dame, die Freundin des Herrn, sieht. Neu ist Hercules am Scheidewege und wenigstens die Auffassung auf einem Kupferstich von Jo- hann Sadeler, auf welchem eine Buhlerin mit dem Spiel der Laute einen Jüngling an sich zu locken sucht, den ein Weiser von der Verführerin zurückhält. Wenn einer der früheren Meister, wie etwa Hans Sebald Beham, diesen Gegenstand behandelt hätte, so würde er frischweg den Weisen weggelassen haben; in dieser moralisirenden Zeit darf die Tugend dabei nicht fehlen. Vor allen am bezeichnendsten sind die wirklich ekelhaften Höllen- bilder des älteren Breughel, (die Peter von der Heiden in einem ganzen Cyclus gestochen hat,) in den ungeheuerlichsten Gestal- ten und den entsetzlichsten Dingen Ausgeburten einer moralisch todtkranken Phantasie, die uns nur mit ästhetischem Grauen er- füllen, aber vielleicht wohl im Stande waren, einer bußferti- gen und wundergläubigen Zeit die Hölle fürchterlich genug zu machen. Wo die Bußfertigkeit beginnt, hört die Naivetät auf; mit 6*
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. ſieben Tugenden und die ſieben Todſünden. Ein neuer Gegen-ſtand dieſer Zeit iſt die büßende Magdalena, während das funfzehnte Jahrhundert in ihr nur die reiche ſchöne Dame, die Freundin des Herrn, ſieht. Neu iſt Hercules am Scheidewege und wenigſtens die Auffaſſung auf einem Kupferſtich von Jo- hann Sadeler, auf welchem eine Buhlerin mit dem Spiel der Laute einen Jüngling an ſich zu locken ſucht, den ein Weiſer von der Verführerin zurückhält. Wenn einer der früheren Meiſter, wie etwa Hans Sebald Beham, dieſen Gegenſtand behandelt hätte, ſo würde er friſchweg den Weiſen weggelaſſen haben; in dieſer moraliſirenden Zeit darf die Tugend dabei nicht fehlen. Vor allen am bezeichnendſten ſind die wirklich ekelhaften Höllen- bilder des älteren Breughel, (die Peter von der Heiden in einem ganzen Cyclus geſtochen hat,) in den ungeheuerlichſten Geſtal- ten und den entſetzlichſten Dingen Ausgeburten einer moraliſch todtkranken Phantaſie, die uns nur mit äſthetiſchem Grauen er- füllen, aber vielleicht wohl im Stande waren, einer bußferti- gen und wundergläubigen Zeit die Hölle fürchterlich genug zu machen. Wo die Bußfertigkeit beginnt, hört die Naivetät auf; mit 6*
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2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſieben Tugenden und die ſieben Todſünden. Ein neuer Gegen-
ſtand dieſer Zeit iſt die büßende Magdalena, während das
funfzehnte Jahrhundert in ihr nur die reiche ſchöne Dame, die
Freundin des Herrn, ſieht. Neu iſt Hercules am Scheidewege
und wenigſtens die Auffaſſung auf einem Kupferſtich von Jo-
hann Sadeler, auf welchem eine Buhlerin mit dem Spiel der
Laute einen Jüngling an ſich zu locken ſucht, den ein Weiſer von
der Verführerin zurückhält. Wenn einer der früheren Meiſter,
wie etwa Hans Sebald Beham, dieſen Gegenſtand behandelt
hätte, ſo würde er friſchweg den Weiſen weggelaſſen haben; in
dieſer moraliſirenden Zeit darf die Tugend dabei nicht fehlen.
Vor allen am bezeichnendſten ſind die wirklich ekelhaften Höllen-
bilder des älteren Breughel, (die Peter von der Heiden in einem
ganzen Cyclus geſtochen hat,) in den ungeheuerlichſten Geſtal-
ten und den entſetzlichſten Dingen Ausgeburten einer moraliſch
todtkranken Phantaſie, die uns nur mit äſthetiſchem Grauen er-
füllen, aber vielleicht wohl im Stande waren, einer bußferti-
gen und wundergläubigen Zeit die Hölle fürchterlich genug zu
machen.
Wo die Bußfertigkeit beginnt, hört die Naivetät auf; mit
dem Schuldbewußtſein verliert ſich die Unbefangenheit des Ge-
müths, die Freiheit im Handeln und Denken, der Tact, der auch
unbewußt das Rechte, wie im Reiche der Kunſt das Schöne trifft.
Die Naivetät iſt das verlorene Paradies für die Kunſt dieſer
Periode; ſie fühlt den Verluſt, aber an der allgemeinen Schuld
theilnehmend, vermag ſie nicht wieder hineinzudringen. Im
Streben nach der Natur, in welcher ſich die große Periode Dü-
rers und ſeiner Schule ſo ſchrankenlos erging, verfehlt ſie in allen
Dingen das rechte Maß und das wahre Leben, die ſie in der
eigenen Gegenwart nicht finden konnte. So bleibt ſie bald —
und das ſind die ſchwächeren Talente — im Ausdruck weit hin-
ter der Wirklichkeit zurück, bald übertreibt ſie die Empfindung
zur Sentimentalität, den Affect zum Affectirten, ſie übertreibt
die Stellungen, die Bewegungen, das ganze dramatiſche Leben
bis zur gewaltſamen Verzerrung, oder zwängt ſie ein in das ver-
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