treibt hier das Hemd in Anfangs unscheinbarer feiner und zier- licher Krause heraus. Solches geschah schon gegen die Mitte des Jahrhunderts.
Im Verhältniß zur Weise des Mannes und besonders des Landsknechts überzieht die Zerschlitzung die Frauenkleidung nur in geringem Maße, sodaß sie mehr wie eine leichte Zierde, wie ein angeflogener bunter Schmetterling erscheint. Nur die Aermel werden bedeutender davon ergriffen und verändert. Wenn auch der Längenaufschnitt, den wir am Ende des vorigen Jahrhun- derts so häufig trafen, verschwindet, so bleiben doch die Quer- schnitte um Ellbogen und Schultern mit dem heraustretenden Hemd wohl längere Zeit, doch werden sie später durch aufgenähte leichte, faltige Puffen ersetzt. In den Zwischenräumen liegt der Aermel eng an, doch ist er vielfach in verschiedenen Mustern mit leichten, kleinen Einschnitten und unterlegtem farbigen Stoff versehen. Dann aber erweitert sich der ganze Aermel und die Schlitzung überzieht ihn nach allen Richtungen, sodaß er oft an die weiten Aermel des Landsknechts erinnert, oft aber auch wie mit einer Reihe Volants umzogen erscheint. Im Uebrigen haben die Schlitze stets winzige, bescheidene Gestalt: so verbreiten sie sich um die Schultern, über das Bruststück und den Rücken und na- mentlich auch, stellvertretend für den Besatz, in mehreren Reihen um den unteren Saum des Kleides.
So lange die Decolletirung dauerte, hatte auch der Koller noch seine eigentliche Bedeutung. Wir kennen ihn schon aus dem funfzehnten Jahrhundert. In seiner Form blieb er sich so ziemlich gleich, sodaß er wie ein Kragen von hinten um den Hals gelegt und, vorn mit seinen beiden Seiten durch eine Heftel oder sonst wie zusammengehalten, Hals, Schultern, Nacken und die offene Brust verhüllte. Da sein Zweck war, außer dem Schutze des Teints auch vor Erkältung zu wahren, so war er gewöhnlich von wärmerem Stoff z. B. von Sammet oder mit Pelz gefüt- tert. Doch hielt die Nützlichkeit nicht ab, ihn möglichst kostbar zu machen, mit reichem Besatz von Borten, mit Schmuck und Perlen und feiner Stickerei, der eigenen Arbeit geübter Damen-
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
treibt hier das Hemd in Anfangs unſcheinbarer feiner und zier- licher Krauſe heraus. Solches geſchah ſchon gegen die Mitte des Jahrhunderts.
Im Verhältniß zur Weiſe des Mannes und beſonders des Landsknechts überzieht die Zerſchlitzung die Frauenkleidung nur in geringem Maße, ſodaß ſie mehr wie eine leichte Zierde, wie ein angeflogener bunter Schmetterling erſcheint. Nur die Aermel werden bedeutender davon ergriffen und verändert. Wenn auch der Längenaufſchnitt, den wir am Ende des vorigen Jahrhun- derts ſo häufig trafen, verſchwindet, ſo bleiben doch die Quer- ſchnitte um Ellbogen und Schultern mit dem heraustretenden Hemd wohl längere Zeit, doch werden ſie ſpäter durch aufgenähte leichte, faltige Puffen erſetzt. In den Zwiſchenräumen liegt der Aermel eng an, doch iſt er vielfach in verſchiedenen Muſtern mit leichten, kleinen Einſchnitten und unterlegtem farbigen Stoff verſehen. Dann aber erweitert ſich der ganze Aermel und die Schlitzung überzieht ihn nach allen Richtungen, ſodaß er oft an die weiten Aermel des Landsknechts erinnert, oft aber auch wie mit einer Reihe Volants umzogen erſcheint. Im Uebrigen haben die Schlitze ſtets winzige, beſcheidene Geſtalt: ſo verbreiten ſie ſich um die Schultern, über das Bruſtſtück und den Rücken und na- mentlich auch, ſtellvertretend für den Beſatz, in mehreren Reihen um den unteren Saum des Kleides.
So lange die Decolletirung dauerte, hatte auch der Koller noch ſeine eigentliche Bedeutung. Wir kennen ihn ſchon aus dem funfzehnten Jahrhundert. In ſeiner Form blieb er ſich ſo ziemlich gleich, ſodaß er wie ein Kragen von hinten um den Hals gelegt und, vorn mit ſeinen beiden Seiten durch eine Heftel oder ſonſt wie zuſammengehalten, Hals, Schultern, Nacken und die offene Bruſt verhüllte. Da ſein Zweck war, außer dem Schutze des Teints auch vor Erkältung zu wahren, ſo war er gewöhnlich von wärmerem Stoff z. B. von Sammet oder mit Pelz gefüt- tert. Doch hielt die Nützlichkeit nicht ab, ihn möglichſt koſtbar zu machen, mit reichem Beſatz von Borten, mit Schmuck und Perlen und feiner Stickerei, der eigenen Arbeit geübter Damen-
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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
treibt hier das Hemd in Anfangs unſcheinbarer feiner und zier-
licher Krauſe heraus. Solches geſchah ſchon gegen die Mitte des
Jahrhunderts.
Im Verhältniß zur Weiſe des Mannes und beſonders des
Landsknechts überzieht die Zerſchlitzung die Frauenkleidung nur
in geringem Maße, ſodaß ſie mehr wie eine leichte Zierde, wie
ein angeflogener bunter Schmetterling erſcheint. Nur die Aermel
werden bedeutender davon ergriffen und verändert. Wenn auch
der Längenaufſchnitt, den wir am Ende des vorigen Jahrhun-
derts ſo häufig trafen, verſchwindet, ſo bleiben doch die Quer-
ſchnitte um Ellbogen und Schultern mit dem heraustretenden
Hemd wohl längere Zeit, doch werden ſie ſpäter durch aufgenähte
leichte, faltige Puffen erſetzt. In den Zwiſchenräumen liegt der
Aermel eng an, doch iſt er vielfach in verſchiedenen Muſtern mit
leichten, kleinen Einſchnitten und unterlegtem farbigen Stoff
verſehen. Dann aber erweitert ſich der ganze Aermel und die
Schlitzung überzieht ihn nach allen Richtungen, ſodaß er oft an
die weiten Aermel des Landsknechts erinnert, oft aber auch wie
mit einer Reihe Volants umzogen erſcheint. Im Uebrigen haben
die Schlitze ſtets winzige, beſcheidene Geſtalt: ſo verbreiten ſie ſich
um die Schultern, über das Bruſtſtück und den Rücken und na-
mentlich auch, ſtellvertretend für den Beſatz, in mehreren Reihen
um den unteren Saum des Kleides.
So lange die Decolletirung dauerte, hatte auch der Koller
noch ſeine eigentliche Bedeutung. Wir kennen ihn ſchon aus
dem funfzehnten Jahrhundert. In ſeiner Form blieb er ſich ſo
ziemlich gleich, ſodaß er wie ein Kragen von hinten um den Hals
gelegt und, vorn mit ſeinen beiden Seiten durch eine Heftel oder
ſonſt wie zuſammengehalten, Hals, Schultern, Nacken und die
offene Bruſt verhüllte. Da ſein Zweck war, außer dem Schutze
des Teints auch vor Erkältung zu wahren, ſo war er gewöhnlich
von wärmerem Stoff z. B. von Sammet oder mit Pelz gefüt-
tert. Doch hielt die Nützlichkeit nicht ab, ihn möglichſt koſtbar
zu machen, mit reichem Beſatz von Borten, mit Schmuck und
Perlen und feiner Stickerei, der eigenen Arbeit geübter Damen-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/85>, abgerufen am 27.07.2024.
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