Entwicklung schreitet sie genau der männlichen parallel, sodaß wir Schritt für Schritt dieselben Stufen und nicht bloß Aehn- lichkeit, sondern oft vollkommene Identität erkennen können. Das ist z. B. mit der Bedeckung des Kopfes der Fall, deren Gleichheit bei Männern und Frauen wir schon oben bei der Ent- wicklung der männlichen Kopftracht erwähnt haben.
Wir verließen im letzten Capitel des vorigen Buches den Kopf der Frau gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts fast gebeugt oder verhüllt unter einer großen Menge verschieden- artiger Hauben, die ehrbar oder elegant sein sollten, aber die weibliche Figur mit den colossalsten und ungeheuerlichsten Formen entstellten; das Haar, in Flechten aufgebunden, war ganz von ihnen verdeckt oder noch durch eine besondere kostbare Haube un- sichtbar gemacht. Da gab es turbanartige mächtige Wülste oder ellenhohe kegelförmige, spitze Aufsätze mit langen wehenden Schleiern, oder weiße feine Tücher über ein breites Drahtgestell in colossaler Größe um den Kopf gespannt, so daß mit Hülfe der Kinnbinde nur ein Theil des Gesichts sichtbar blieb. Alle diese und andere Formen verschwinden, schrumpfen zusammen und machen endlich der einen Form Platz, dem Barett mit der Haar- haube. Jene ungeheure weiße Haube z. B., mit welcher sich ehrsame Frauen das Ansehen von Würde und Anständigkeit geben wollen, wenn sie auch oft bis gegen den Gürtel hinab de- colletirt sind, aus welcher aber auch ebenso oft ein jugendliches Gesicht und lebhaft begehrende Augen hervorsehen, -- wir können von Stufe zu Stufe beobachten, wie sie zusammensinkt und sich kleiner um den Kopf legt, bis sie am Ende auch von den ältesten Köpfen der wohlhabenden Stände verschwindet. Im Jahre 1500 tragen sie junge Frauen auf bekannten Handzeich- nungen Dürer's schon in sehr verkleinerter Gestalt, ältere aber noch um 1520 auf Portraitmedaillen und unzähligen Votivbildern. Dienstmägde oder Frauen der untersten Stände hüllen ihren Kopf noch länger darein, doch in einer Gestalt, die ähnlich einem umgebundenen Tuche schon mehr und mehr von dem veränderten Geschmack der Zeit ergriffen zu sein scheint. Später werden wir
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 5
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Entwicklung ſchreitet ſie genau der männlichen parallel, ſodaß wir Schritt für Schritt dieſelben Stufen und nicht bloß Aehn- lichkeit, ſondern oft vollkommene Identität erkennen können. Das iſt z. B. mit der Bedeckung des Kopfes der Fall, deren Gleichheit bei Männern und Frauen wir ſchon oben bei der Ent- wicklung der männlichen Kopftracht erwähnt haben.
Wir verließen im letzten Capitel des vorigen Buches den Kopf der Frau gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts faſt gebeugt oder verhüllt unter einer großen Menge verſchieden- artiger Hauben, die ehrbar oder elegant ſein ſollten, aber die weibliche Figur mit den coloſſalſten und ungeheuerlichſten Formen entſtellten; das Haar, in Flechten aufgebunden, war ganz von ihnen verdeckt oder noch durch eine beſondere koſtbare Haube un- ſichtbar gemacht. Da gab es turbanartige mächtige Wülſte oder ellenhohe kegelförmige, ſpitze Aufſätze mit langen wehenden Schleiern, oder weiße feine Tücher über ein breites Drahtgeſtell in coloſſaler Größe um den Kopf geſpannt, ſo daß mit Hülfe der Kinnbinde nur ein Theil des Geſichts ſichtbar blieb. Alle dieſe und andere Formen verſchwinden, ſchrumpfen zuſammen und machen endlich der einen Form Platz, dem Barett mit der Haar- haube. Jene ungeheure weiße Haube z. B., mit welcher ſich ehrſame Frauen das Anſehen von Würde und Anſtändigkeit geben wollen, wenn ſie auch oft bis gegen den Gürtel hinab de- colletirt ſind, aus welcher aber auch ebenſo oft ein jugendliches Geſicht und lebhaft begehrende Augen hervorſehen, — wir können von Stufe zu Stufe beobachten, wie ſie zuſammenſinkt und ſich kleiner um den Kopf legt, bis ſie am Ende auch von den älteſten Köpfen der wohlhabenden Stände verſchwindet. Im Jahre 1500 tragen ſie junge Frauen auf bekannten Handzeich- nungen Dürer’s ſchon in ſehr verkleinerter Geſtalt, ältere aber noch um 1520 auf Portraitmedaillen und unzähligen Votivbildern. Dienſtmägde oder Frauen der unterſten Stände hüllen ihren Kopf noch länger darein, doch in einer Geſtalt, die ähnlich einem umgebundenen Tuche ſchon mehr und mehr von dem veränderten Geſchmack der Zeit ergriffen zu ſein ſcheint. Später werden wir
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 5
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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Entwicklung ſchreitet ſie genau der männlichen parallel, ſodaß
wir Schritt für Schritt dieſelben Stufen und nicht bloß Aehn-
lichkeit, ſondern oft vollkommene Identität erkennen können.
Das iſt z. B. mit der Bedeckung des Kopfes der Fall, deren
Gleichheit bei Männern und Frauen wir ſchon oben bei der Ent-
wicklung der männlichen Kopftracht erwähnt haben.
Wir verließen im letzten Capitel des vorigen Buches den
Kopf der Frau gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts
faſt gebeugt oder verhüllt unter einer großen Menge verſchieden-
artiger Hauben, die ehrbar oder elegant ſein ſollten, aber die
weibliche Figur mit den coloſſalſten und ungeheuerlichſten Formen
entſtellten; das Haar, in Flechten aufgebunden, war ganz von
ihnen verdeckt oder noch durch eine beſondere koſtbare Haube un-
ſichtbar gemacht. Da gab es turbanartige mächtige Wülſte oder
ellenhohe kegelförmige, ſpitze Aufſätze mit langen wehenden
Schleiern, oder weiße feine Tücher über ein breites Drahtgeſtell
in coloſſaler Größe um den Kopf geſpannt, ſo daß mit Hülfe der
Kinnbinde nur ein Theil des Geſichts ſichtbar blieb. Alle dieſe
und andere Formen verſchwinden, ſchrumpfen zuſammen und
machen endlich der einen Form Platz, dem Barett mit der Haar-
haube. Jene ungeheure weiße Haube z. B., mit welcher ſich
ehrſame Frauen das Anſehen von Würde und Anſtändigkeit
geben wollen, wenn ſie auch oft bis gegen den Gürtel hinab de-
colletirt ſind, aus welcher aber auch ebenſo oft ein jugendliches
Geſicht und lebhaft begehrende Augen hervorſehen, — wir
können von Stufe zu Stufe beobachten, wie ſie zuſammenſinkt
und ſich kleiner um den Kopf legt, bis ſie am Ende auch von
den älteſten Köpfen der wohlhabenden Stände verſchwindet. Im
Jahre 1500 tragen ſie junge Frauen auf bekannten Handzeich-
nungen Dürer’s ſchon in ſehr verkleinerter Geſtalt, ältere aber
noch um 1520 auf Portraitmedaillen und unzähligen Votivbildern.
Dienſtmägde oder Frauen der unterſten Stände hüllen ihren
Kopf noch länger darein, doch in einer Geſtalt, die ähnlich einem
umgebundenen Tuche ſchon mehr und mehr von dem veränderten
Geſchmack der Zeit ergriffen zu ſein ſcheint. Später werden wir
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 5
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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