der uns wahre Musterbilder städtisch-vornehmer Eleganz giebt, treffen wir ihn mehrfach an. --
Da die ganze Periode der reformatorischen Bewegungen den Mann in den Grundfesten seiner geistigen und bürgerlichen Existenz erschüttert und in neue Bahnen wirft, da der Ernst der Zeit auf ihm lastet und alle seine Kräfte in Thätigkeit ruft, so trägt auch die äußere Erscheinung dieser Menschenwelt einen vor- zugsweise männlichen Charakter. Wie im zwölften und drei- zehnten Jahrhundert in der Entwicklung der Trachten die Frau voranging und weiblich edler Geschmack den Weg zeigte und die Formen angab, nach denen sich auch die männliche Kleidung rich- tete, so ist jetzt der umgekehrte Fall eingetreten: der Mann ist der Führer, welcher selbständig und erfinderisch im Gebiet der Mode einherschreitet, und die Frau folgt und wandelt ihr Aeuße- res nach dem Vorbild und im Geiste des Mannes. Es ist nicht zu ihrem Nachtheil, denn wenn ihr auch etwas von der aben- teuerlichen Lust und Eitelkeit des Landsknechts anfliegt, so ringt sie sich doch aus der narrenhaften Verschrobenheit und Bizarrerie, aus den unnatürlichen Zwangsformen des funfzehnten Jahrhun- derts heraus zu freier, stolzer, fast männlicher Haltung, zu voller, malerischer Schönheit ohne Zwang und Unnatur. Es liegt etwas Nobles, Imponirendes in den weiblichen Erscheinungen dieser Zeit, wie sie uns die Kunst, getreu die Natur copirend, vorführt. Frei von aller Sentimentalität -- die derb gesunde Zeit kannte sie nicht -- stehen sie im Gegensatz zu den Frauen des dreizehnten Jahrhunderts, welche die schwanke Haltung und die fast empfindsame Neigung des Kopfes charakterisirt. Begün- stigt von der Kleidung, bewegen sie sich so frei wie natürlich und so anmuthig wie würdevoll. Aber das dauerte gleich der männlichen Herrlichkeit nur kurze Zeit, denn wie rasch die allge- meine Bewegung sie emporgerissen hatte zu völliger Umwand- lung, ebenso rasch erfolgte der nothwendige Rückschlag.
Die Frauenkleidung strebte ebenso nach Freiheit und nach Natürlichkeit und andrerseits nach Einheit und Charakter im Gegensatz zur Zerfahrenheit der früheren Zeit. In ihrer
III. Die Neuzeit.
der uns wahre Muſterbilder ſtädtiſch-vornehmer Eleganz giebt, treffen wir ihn mehrfach an. —
Da die ganze Periode der reformatoriſchen Bewegungen den Mann in den Grundfeſten ſeiner geiſtigen und bürgerlichen Exiſtenz erſchüttert und in neue Bahnen wirft, da der Ernſt der Zeit auf ihm laſtet und alle ſeine Kräfte in Thätigkeit ruft, ſo trägt auch die äußere Erſcheinung dieſer Menſchenwelt einen vor- zugsweiſe männlichen Charakter. Wie im zwölften und drei- zehnten Jahrhundert in der Entwicklung der Trachten die Frau voranging und weiblich edler Geſchmack den Weg zeigte und die Formen angab, nach denen ſich auch die männliche Kleidung rich- tete, ſo iſt jetzt der umgekehrte Fall eingetreten: der Mann iſt der Führer, welcher ſelbſtändig und erfinderiſch im Gebiet der Mode einherſchreitet, und die Frau folgt und wandelt ihr Aeuße- res nach dem Vorbild und im Geiſte des Mannes. Es iſt nicht zu ihrem Nachtheil, denn wenn ihr auch etwas von der aben- teuerlichen Luſt und Eitelkeit des Landsknechts anfliegt, ſo ringt ſie ſich doch aus der narrenhaften Verſchrobenheit und Bizarrerie, aus den unnatürlichen Zwangsformen des funfzehnten Jahrhun- derts heraus zu freier, ſtolzer, faſt männlicher Haltung, zu voller, maleriſcher Schönheit ohne Zwang und Unnatur. Es liegt etwas Nobles, Imponirendes in den weiblichen Erſcheinungen dieſer Zeit, wie ſie uns die Kunſt, getreu die Natur copirend, vorführt. Frei von aller Sentimentalität — die derb geſunde Zeit kannte ſie nicht — ſtehen ſie im Gegenſatz zu den Frauen des dreizehnten Jahrhunderts, welche die ſchwanke Haltung und die faſt empfindſame Neigung des Kopfes charakteriſirt. Begün- ſtigt von der Kleidung, bewegen ſie ſich ſo frei wie natürlich und ſo anmuthig wie würdevoll. Aber das dauerte gleich der männlichen Herrlichkeit nur kurze Zeit, denn wie raſch die allge- meine Bewegung ſie emporgeriſſen hatte zu völliger Umwand- lung, ebenſo raſch erfolgte der nothwendige Rückſchlag.
Die Frauenkleidung ſtrebte ebenſo nach Freiheit und nach Natürlichkeit und andrerſeits nach Einheit und Charakter im Gegenſatz zur Zerfahrenheit der früheren Zeit. In ihrer
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III. Die Neuzeit.
der uns wahre Muſterbilder ſtädtiſch-vornehmer Eleganz giebt,
treffen wir ihn mehrfach an. —
Da die ganze Periode der reformatoriſchen Bewegungen den
Mann in den Grundfeſten ſeiner geiſtigen und bürgerlichen
Exiſtenz erſchüttert und in neue Bahnen wirft, da der Ernſt der
Zeit auf ihm laſtet und alle ſeine Kräfte in Thätigkeit ruft, ſo
trägt auch die äußere Erſcheinung dieſer Menſchenwelt einen vor-
zugsweiſe männlichen Charakter. Wie im zwölften und drei-
zehnten Jahrhundert in der Entwicklung der Trachten die Frau
voranging und weiblich edler Geſchmack den Weg zeigte und die
Formen angab, nach denen ſich auch die männliche Kleidung rich-
tete, ſo iſt jetzt der umgekehrte Fall eingetreten: der Mann iſt
der Führer, welcher ſelbſtändig und erfinderiſch im Gebiet der
Mode einherſchreitet, und die Frau folgt und wandelt ihr Aeuße-
res nach dem Vorbild und im Geiſte des Mannes. Es iſt nicht
zu ihrem Nachtheil, denn wenn ihr auch etwas von der aben-
teuerlichen Luſt und Eitelkeit des Landsknechts anfliegt, ſo ringt
ſie ſich doch aus der narrenhaften Verſchrobenheit und Bizarrerie,
aus den unnatürlichen Zwangsformen des funfzehnten Jahrhun-
derts heraus zu freier, ſtolzer, faſt männlicher Haltung, zu voller,
maleriſcher Schönheit ohne Zwang und Unnatur. Es liegt
etwas Nobles, Imponirendes in den weiblichen Erſcheinungen
dieſer Zeit, wie ſie uns die Kunſt, getreu die Natur copirend,
vorführt. Frei von aller Sentimentalität — die derb geſunde
Zeit kannte ſie nicht — ſtehen ſie im Gegenſatz zu den Frauen
des dreizehnten Jahrhunderts, welche die ſchwanke Haltung und
die faſt empfindſame Neigung des Kopfes charakteriſirt. Begün-
ſtigt von der Kleidung, bewegen ſie ſich ſo frei wie natürlich
und ſo anmuthig wie würdevoll. Aber das dauerte gleich der
männlichen Herrlichkeit nur kurze Zeit, denn wie raſch die allge-
meine Bewegung ſie emporgeriſſen hatte zu völliger Umwand-
lung, ebenſo raſch erfolgte der nothwendige Rückſchlag.
Die Frauenkleidung ſtrebte ebenſo nach Freiheit und
nach Natürlichkeit und andrerſeits nach Einheit und Charakter
im Gegenſatz zur Zerfahrenheit der früheren Zeit. In ihrer
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/76>, abgerufen am 27.07.2024.
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