mäße Entwicklung aufs deutlichste nachweisen läßt. Wenn mit der kürzeren Haartracht des Königs Franz die sogenannte Kolbe gemeint ist, die wir sogleich werden kennen lernen, so war dieselbe gegen das Jahr 1520 -- und nicht später als anderswo -- be- reits allgemein in Deutschland, wenn aber das ganz kurz ver- schnittene Haar, wie es die Spanier trugen, so wurde diese Form erst einige Jahrzehnte später durch die eintretende Reaction zur herrschenden Mode.
An den Köpfen selbst, wie sie uns die in dieser Zeit so be- liebten Holzschnittillustrationen von Jahr zu Jahr in unzähliger Menge darbieten, können wir aufs genaueste verfolgen, wie Schritt um Schritt das Haar den Charakter der Eitelkeit ablegt und einer festen, männlich geziemenden Form zustrebt. Die Locken schlichten sich wieder, und wie das Hemd und später auch das Wamms aufwärts rücken, verkürzt sich das Haar und erhält regelmäßigen Schnitt; der Bart, voll, aber in anständiger Kürze gehalten, tritt in seine Würde und sein Recht als Zeichen der Männlichkeit ein, indem sich langsam die öffentliche Meinung dahin umkehrt, daß ihr nun das glatte, bartlose Gesicht für wei- bisch gilt. Um das Jahr 1520 etwa ist in Gestalt der sogenann- ten Kolbe die Hauptform vollendet. Das vordere Haar wird nicht gescheitelt, sondern über die Stirn heruntergekämmt und von Schläfe zu Schläfe in einer graden Linie auf der halben Höhe der Stirn verschnitten; hinten ist es ebenfalls in grader Linie von einem Ohr zum andern hart unter denselben abge- schnitten. "Das Haar soll nicht übers Vorhaupt hangen, auch nicht auf den Schultern umherfliegen", so schreibt es des Eras- mus "Goldenes Büchlein von der Höflichkeit der Knaben" vor. Anfangs erblicken wir diese Kolbe noch häufig ohne die Beglei- tung des Bartes, im Laufe der zwanziger Jahre aber stellt er sich regelmäßig ein und nun in ganz bestimmter, fester Gestalt: es ist ein kräftiger Vollbart, unter dem Kinn in grader, breiter Fläche stumpf abgeschnitten. Solche Gesichter machen durchaus den Eindruck einer ausgeprägten, charaktervollen Männlichkeit, die im stolzen Bewußtsein eigner Kraft und gestählt von der Schwere
III. Die Neuzeit.
mäße Entwicklung aufs deutlichſte nachweiſen läßt. Wenn mit der kürzeren Haartracht des Königs Franz die ſogenannte Kolbe gemeint iſt, die wir ſogleich werden kennen lernen, ſo war dieſelbe gegen das Jahr 1520 — und nicht ſpäter als anderswo — be- reits allgemein in Deutſchland, wenn aber das ganz kurz ver- ſchnittene Haar, wie es die Spanier trugen, ſo wurde dieſe Form erſt einige Jahrzehnte ſpäter durch die eintretende Reaction zur herrſchenden Mode.
An den Köpfen ſelbſt, wie ſie uns die in dieſer Zeit ſo be- liebten Holzſchnittilluſtrationen von Jahr zu Jahr in unzähliger Menge darbieten, können wir aufs genaueſte verfolgen, wie Schritt um Schritt das Haar den Charakter der Eitelkeit ablegt und einer feſten, männlich geziemenden Form zuſtrebt. Die Locken ſchlichten ſich wieder, und wie das Hemd und ſpäter auch das Wamms aufwärts rücken, verkürzt ſich das Haar und erhält regelmäßigen Schnitt; der Bart, voll, aber in anſtändiger Kürze gehalten, tritt in ſeine Würde und ſein Recht als Zeichen der Männlichkeit ein, indem ſich langſam die öffentliche Meinung dahin umkehrt, daß ihr nun das glatte, bartloſe Geſicht für wei- biſch gilt. Um das Jahr 1520 etwa iſt in Geſtalt der ſogenann- ten Kolbe die Hauptform vollendet. Das vordere Haar wird nicht geſcheitelt, ſondern über die Stirn heruntergekämmt und von Schläfe zu Schläfe in einer graden Linie auf der halben Höhe der Stirn verſchnitten; hinten iſt es ebenfalls in grader Linie von einem Ohr zum andern hart unter denſelben abge- ſchnitten. „Das Haar ſoll nicht übers Vorhaupt hangen, auch nicht auf den Schultern umherfliegen“, ſo ſchreibt es des Eras- mus „Goldenes Büchlein von der Höflichkeit der Knaben“ vor. Anfangs erblicken wir dieſe Kolbe noch häufig ohne die Beglei- tung des Bartes, im Laufe der zwanziger Jahre aber ſtellt er ſich regelmäßig ein und nun in ganz beſtimmter, feſter Geſtalt: es iſt ein kräftiger Vollbart, unter dem Kinn in grader, breiter Fläche ſtumpf abgeſchnitten. Solche Geſichter machen durchaus den Eindruck einer ausgeprägten, charaktervollen Männlichkeit, die im ſtolzen Bewußtſein eigner Kraft und geſtählt von der Schwere
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III. Die Neuzeit.
mäße Entwicklung aufs deutlichſte nachweiſen läßt. Wenn mit
der kürzeren Haartracht des Königs Franz die ſogenannte Kolbe
gemeint iſt, die wir ſogleich werden kennen lernen, ſo war dieſelbe
gegen das Jahr 1520 — und nicht ſpäter als anderswo — be-
reits allgemein in Deutſchland, wenn aber das ganz kurz ver-
ſchnittene Haar, wie es die Spanier trugen, ſo wurde dieſe Form
erſt einige Jahrzehnte ſpäter durch die eintretende Reaction zur
herrſchenden Mode.
An den Köpfen ſelbſt, wie ſie uns die in dieſer Zeit ſo be-
liebten Holzſchnittilluſtrationen von Jahr zu Jahr in unzähliger
Menge darbieten, können wir aufs genaueſte verfolgen, wie
Schritt um Schritt das Haar den Charakter der Eitelkeit ablegt
und einer feſten, männlich geziemenden Form zuſtrebt. Die
Locken ſchlichten ſich wieder, und wie das Hemd und ſpäter auch
das Wamms aufwärts rücken, verkürzt ſich das Haar und erhält
regelmäßigen Schnitt; der Bart, voll, aber in anſtändiger Kürze
gehalten, tritt in ſeine Würde und ſein Recht als Zeichen der
Männlichkeit ein, indem ſich langſam die öffentliche Meinung
dahin umkehrt, daß ihr nun das glatte, bartloſe Geſicht für wei-
biſch gilt. Um das Jahr 1520 etwa iſt in Geſtalt der ſogenann-
ten Kolbe die Hauptform vollendet. Das vordere Haar wird
nicht geſcheitelt, ſondern über die Stirn heruntergekämmt und
von Schläfe zu Schläfe in einer graden Linie auf der halben
Höhe der Stirn verſchnitten; hinten iſt es ebenfalls in grader
Linie von einem Ohr zum andern hart unter denſelben abge-
ſchnitten. „Das Haar ſoll nicht übers Vorhaupt hangen, auch
nicht auf den Schultern umherfliegen“, ſo ſchreibt es des Eras-
mus „Goldenes Büchlein von der Höflichkeit der Knaben“ vor.
Anfangs erblicken wir dieſe Kolbe noch häufig ohne die Beglei-
tung des Bartes, im Laufe der zwanziger Jahre aber ſtellt er ſich
regelmäßig ein und nun in ganz beſtimmter, feſter Geſtalt: es
iſt ein kräftiger Vollbart, unter dem Kinn in grader, breiter Fläche
ſtumpf abgeſchnitten. Solche Geſichter machen durchaus den
Eindruck einer ausgeprägten, charaktervollen Männlichkeit, die
im ſtolzen Bewußtſein eigner Kraft und geſtählt von der Schwere
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/34>, abgerufen am 08.07.2024.
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