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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
serer Schönen des Tages soweit gediehen, daß sie von oben herab
einer schönen Wilden fast ganz gleichen, und nunmehr nach Ein-
führung der langen fleischfarbenen Pantalons und nach Abschaf-
fung der Hemden ihnen schlechterdings nichts mehr fehlt als das
elegante Tigerfell oder der leichte Federschurz um die Lenden,
um das Costüm a la sauvage mitten in Deutschland, wo ja
das Klima dieser Tracht so günstig ist, zu vollenden. Denken
Sie sich nun vollends das non plus ultra alles Lächerlichen:
alte Weiber von fast funfzig Jahren in dieser Tracht -- und ich
kann es Ihnen beschwören, ich habe welche so gesehen." Ver-
setzen wir uns zehn Jahre weiter zurück, so befinden wir uns
noch mitten in der Blüthe der Reifröcke, der Culs und Bouffan-
ten, und nun diese körperliche Unmittelbarkeit, ein Afterbild des
Griechenthums! Um aber nicht zu meinen, daß solche Erschei-
nungen nur vereinzelt seien, wollen wir noch die folgende Stelle
eines Frankfurter Briefes vom 15. December 1802 mittheilen:
"Erwarten Sie keine Pelz- und Wintermoden von mir. Unsere
Damen sind wenigstens auf dem einen Punkt der Kälte alle
unverwundbar, alle in die Griechheit wie Achilles in den Styx
getaucht."

Nicht weniger machten alsbald die Frisuren der deutschen
Damen auf das Griechenthum Ansprüche. Sie verfolgten in
ihrer Nachahmung genau denselben Gang wie die französischen,
nur daß englische Umbildungen hier und da die Menge der For-
men noch bunter machten. Die hohen Hauben sanken, das Haar
wurde rauh und struppig, den Incroyables ähnlich, frisirt, der
Chignon abgeschnitten, und nun stritten sich der starr auf-
strebende, besenartige Tituskopf und die antiken Coiffüren mit
allen möglichen Perrücken von Schwarz, Braun, Blond und
selbst Orange um die Herrschaft. Daneben spielt denn auch der
befiederte Turban seine Rolle, und als ob man sich der strup-
pigen Pudelköpfe schämte, bedeckte man sie wieder mit den Hau-
ben und Hüten, die dann in directer Linie bis auf die heutigen
Formen herabgestiegen sind.

Aber eben da griechische Formen und Nacktheit in freilich

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſerer Schönen des Tages ſoweit gediehen, daß ſie von oben herab
einer ſchönen Wilden faſt ganz gleichen, und nunmehr nach Ein-
führung der langen fleiſchfarbenen Pantalons und nach Abſchaf-
fung der Hemden ihnen ſchlechterdings nichts mehr fehlt als das
elegante Tigerfell oder der leichte Federſchurz um die Lenden,
um das Coſtüm à la sauvage mitten in Deutſchland, wo ja
das Klima dieſer Tracht ſo günſtig iſt, zu vollenden. Denken
Sie ſich nun vollends das non plus ultra alles Lächerlichen:
alte Weiber von faſt funfzig Jahren in dieſer Tracht — und ich
kann es Ihnen beſchwören, ich habe welche ſo geſehen.“ Ver-
ſetzen wir uns zehn Jahre weiter zurück, ſo befinden wir uns
noch mitten in der Blüthe der Reifröcke, der Culs und Bouffan-
ten, und nun dieſe körperliche Unmittelbarkeit, ein Afterbild des
Griechenthums! Um aber nicht zu meinen, daß ſolche Erſchei-
nungen nur vereinzelt ſeien, wollen wir noch die folgende Stelle
eines Frankfurter Briefes vom 15. December 1802 mittheilen:
„Erwarten Sie keine Pelz- und Wintermoden von mir. Unſere
Damen ſind wenigſtens auf dem einen Punkt der Kälte alle
unverwundbar, alle in die Griechheit wie Achilles in den Styx
getaucht.“

Nicht weniger machten alsbald die Friſuren der deutſchen
Damen auf das Griechenthum Anſprüche. Sie verfolgten in
ihrer Nachahmung genau denſelben Gang wie die franzöſiſchen,
nur daß engliſche Umbildungen hier und da die Menge der For-
men noch bunter machten. Die hohen Hauben ſanken, das Haar
wurde rauh und ſtruppig, den Incroyables ähnlich, friſirt, der
Chignon abgeſchnitten, und nun ſtritten ſich der ſtarr auf-
ſtrebende, beſenartige Tituskopf und die antiken Coiffüren mit
allen möglichen Perrücken von Schwarz, Braun, Blond und
ſelbſt Orange um die Herrſchaft. Daneben ſpielt denn auch der
befiederte Turban ſeine Rolle, und als ob man ſich der ſtrup-
pigen Pudelköpfe ſchämte, bedeckte man ſie wieder mit den Hau-
ben und Hüten, die dann in directer Linie bis auf die heutigen
Formen herabgeſtiegen ſind.

Aber eben da griechiſche Formen und Nacktheit in freilich

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[323/0335] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. ſerer Schönen des Tages ſoweit gediehen, daß ſie von oben herab einer ſchönen Wilden faſt ganz gleichen, und nunmehr nach Ein- führung der langen fleiſchfarbenen Pantalons und nach Abſchaf- fung der Hemden ihnen ſchlechterdings nichts mehr fehlt als das elegante Tigerfell oder der leichte Federſchurz um die Lenden, um das Coſtüm à la sauvage mitten in Deutſchland, wo ja das Klima dieſer Tracht ſo günſtig iſt, zu vollenden. Denken Sie ſich nun vollends das non plus ultra alles Lächerlichen: alte Weiber von faſt funfzig Jahren in dieſer Tracht — und ich kann es Ihnen beſchwören, ich habe welche ſo geſehen.“ Ver- ſetzen wir uns zehn Jahre weiter zurück, ſo befinden wir uns noch mitten in der Blüthe der Reifröcke, der Culs und Bouffan- ten, und nun dieſe körperliche Unmittelbarkeit, ein Afterbild des Griechenthums! Um aber nicht zu meinen, daß ſolche Erſchei- nungen nur vereinzelt ſeien, wollen wir noch die folgende Stelle eines Frankfurter Briefes vom 15. December 1802 mittheilen: „Erwarten Sie keine Pelz- und Wintermoden von mir. Unſere Damen ſind wenigſtens auf dem einen Punkt der Kälte alle unverwundbar, alle in die Griechheit wie Achilles in den Styx getaucht.“ Nicht weniger machten alsbald die Friſuren der deutſchen Damen auf das Griechenthum Anſprüche. Sie verfolgten in ihrer Nachahmung genau denſelben Gang wie die franzöſiſchen, nur daß engliſche Umbildungen hier und da die Menge der For- men noch bunter machten. Die hohen Hauben ſanken, das Haar wurde rauh und ſtruppig, den Incroyables ähnlich, friſirt, der Chignon abgeſchnitten, und nun ſtritten ſich der ſtarr auf- ſtrebende, beſenartige Tituskopf und die antiken Coiffüren mit allen möglichen Perrücken von Schwarz, Braun, Blond und ſelbſt Orange um die Herrſchaft. Daneben ſpielt denn auch der befiederte Turban ſeine Rolle, und als ob man ſich der ſtrup- pigen Pudelköpfe ſchämte, bedeckte man ſie wieder mit den Hau- ben und Hüten, die dann in directer Linie bis auf die heutigen Formen herabgeſtiegen ſind. Aber eben da griechiſche Formen und Nacktheit in freilich 21*

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/335>, abgerufen am 24.11.2024.