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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
ten. Während unter dem Terrorismus der Puder ein Todesver-
brechen gewesen war, kehrte er nach dem Sturz Robespierre's
noch eine kurze Weile zurück; allein es war nur ein flüchtiges
Schneegestöber im Frühling. Im Gegentheil liebte man jetzt
den schwarzen Kopf und suchte diese Farbe, wo sie fehlte, künst-
lich hervorzubringen. Eine Zeit lang hatten die Stutzer noch
den falschen Zopf wie eine dünne Ruthe an den Kragen gehängt;
dann ließen sie auch diesen weg, und nun herrschte der Titus-
kopf
allein, ein wild um den Kopf und über die Stirn herein-
gewirrtes kurzes Haar, oder ein längeres, welches ebensowild
nach hinten geworfen und im Nacken in einen kleinen finger-
langen Zopf gebunden war. Letzteres trug bekanntlich Napoleon
als General Bonaparte. Das eine wie das andere machte auf
Toilette keinen Anspruch; in ächt sansculottischem Geist schien
es weder Kamm noch Pomade zu erfordern.

Und grade zu derselben Zeit ging mit dem Haarwuchs eine
Neuerung vor sich, welche eine Zierde männlichen Stutzerthums
dem kommenden Geschlecht und selbst noch der Gegenwart wer-
den sollte. Zum erstenmal wieder erscheint der Bart mit eini-
ger Berechtigung, nachdem ein volles Jahrhundert hindurch ihn
die platte, schwächliche Eleganz des Zopfes verbannt gehalten
hat. Daß er grade in dieser Zeit vom langen Schlafe aufer-
stand, wird man natürlich finden, wenn man sich der Reforma-
tionsperiode erinnert, wo ihn der Freiheitsdrang der Zeit eben-
falls wieder hervortrieb. Aber als ob er nicht recht gedeihlichen
Boden finden könne, giebt er sich erst als Backenbart in beschränk-
ter Weise kund, in der Art, die man "Favorit" nennt. Es ist dabei
bemerkenswerth, daß man auch falsche Backenbärte trug, wie
1798 von Hamburg geschrieben wird, Backenhaare auf das
feinste Pergament geleimt, welches man in die Schläfen klebte:
es ist nur eine von den vielen Modefalschheiten dieser Zeit.

Von der Busenkrause oder dem Jabot halten die Pariser
der Revolution nicht viel: es ist ihnen in seiner Feinheit zu
royalistisch, nicht plebejisch genug. Sie knöpfen die Weste bis
zum Halse völlig zu, aber zu Extravaganzen geneigt, verdicken

III. Die Neuzeit.
ten. Während unter dem Terrorismus der Puder ein Todesver-
brechen geweſen war, kehrte er nach dem Sturz Robespierre’s
noch eine kurze Weile zurück; allein es war nur ein flüchtiges
Schneegeſtöber im Frühling. Im Gegentheil liebte man jetzt
den ſchwarzen Kopf und ſuchte dieſe Farbe, wo ſie fehlte, künſt-
lich hervorzubringen. Eine Zeit lang hatten die Stutzer noch
den falſchen Zopf wie eine dünne Ruthe an den Kragen gehängt;
dann ließen ſie auch dieſen weg, und nun herrſchte der Titus-
kopf
allein, ein wild um den Kopf und über die Stirn herein-
gewirrtes kurzes Haar, oder ein längeres, welches ebenſowild
nach hinten geworfen und im Nacken in einen kleinen finger-
langen Zopf gebunden war. Letzteres trug bekanntlich Napoleon
als General Bonaparte. Das eine wie das andere machte auf
Toilette keinen Anſpruch; in ächt ſansculottiſchem Geiſt ſchien
es weder Kamm noch Pomade zu erfordern.

Und grade zu derſelben Zeit ging mit dem Haarwuchs eine
Neuerung vor ſich, welche eine Zierde männlichen Stutzerthums
dem kommenden Geſchlecht und ſelbſt noch der Gegenwart wer-
den ſollte. Zum erſtenmal wieder erſcheint der Bart mit eini-
ger Berechtigung, nachdem ein volles Jahrhundert hindurch ihn
die platte, ſchwächliche Eleganz des Zopfes verbannt gehalten
hat. Daß er grade in dieſer Zeit vom langen Schlafe aufer-
ſtand, wird man natürlich finden, wenn man ſich der Reforma-
tionsperiode erinnert, wo ihn der Freiheitsdrang der Zeit eben-
falls wieder hervortrieb. Aber als ob er nicht recht gedeihlichen
Boden finden könne, giebt er ſich erſt als Backenbart in beſchränk-
ter Weiſe kund, in der Art, die man „Favorit“ nennt. Es iſt dabei
bemerkenswerth, daß man auch falſche Backenbärte trug, wie
1798 von Hamburg geſchrieben wird, Backenhaare auf das
feinſte Pergament geleimt, welches man in die Schläfen klebte:
es iſt nur eine von den vielen Modefalſchheiten dieſer Zeit.

Von der Buſenkrauſe oder dem Jabot halten die Pariſer
der Revolution nicht viel: es iſt ihnen in ſeiner Feinheit zu
royaliſtiſch, nicht plebejiſch genug. Sie knöpfen die Weſte bis
zum Halſe völlig zu, aber zu Extravaganzen geneigt, verdicken

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[314/0326] III. Die Neuzeit. ten. Während unter dem Terrorismus der Puder ein Todesver- brechen geweſen war, kehrte er nach dem Sturz Robespierre’s noch eine kurze Weile zurück; allein es war nur ein flüchtiges Schneegeſtöber im Frühling. Im Gegentheil liebte man jetzt den ſchwarzen Kopf und ſuchte dieſe Farbe, wo ſie fehlte, künſt- lich hervorzubringen. Eine Zeit lang hatten die Stutzer noch den falſchen Zopf wie eine dünne Ruthe an den Kragen gehängt; dann ließen ſie auch dieſen weg, und nun herrſchte der Titus- kopf allein, ein wild um den Kopf und über die Stirn herein- gewirrtes kurzes Haar, oder ein längeres, welches ebenſowild nach hinten geworfen und im Nacken in einen kleinen finger- langen Zopf gebunden war. Letzteres trug bekanntlich Napoleon als General Bonaparte. Das eine wie das andere machte auf Toilette keinen Anſpruch; in ächt ſansculottiſchem Geiſt ſchien es weder Kamm noch Pomade zu erfordern. Und grade zu derſelben Zeit ging mit dem Haarwuchs eine Neuerung vor ſich, welche eine Zierde männlichen Stutzerthums dem kommenden Geſchlecht und ſelbſt noch der Gegenwart wer- den ſollte. Zum erſtenmal wieder erſcheint der Bart mit eini- ger Berechtigung, nachdem ein volles Jahrhundert hindurch ihn die platte, ſchwächliche Eleganz des Zopfes verbannt gehalten hat. Daß er grade in dieſer Zeit vom langen Schlafe aufer- ſtand, wird man natürlich finden, wenn man ſich der Reforma- tionsperiode erinnert, wo ihn der Freiheitsdrang der Zeit eben- falls wieder hervortrieb. Aber als ob er nicht recht gedeihlichen Boden finden könne, giebt er ſich erſt als Backenbart in beſchränk- ter Weiſe kund, in der Art, die man „Favorit“ nennt. Es iſt dabei bemerkenswerth, daß man auch falſche Backenbärte trug, wie 1798 von Hamburg geſchrieben wird, Backenhaare auf das feinſte Pergament geleimt, welches man in die Schläfen klebte: es iſt nur eine von den vielen Modefalſchheiten dieſer Zeit. Von der Buſenkrauſe oder dem Jabot halten die Pariſer der Revolution nicht viel: es iſt ihnen in ſeiner Feinheit zu royaliſtiſch, nicht plebejiſch genug. Sie knöpfen die Weſte bis zum Halſe völlig zu, aber zu Extravaganzen geneigt, verdicken

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/326>, abgerufen am 24.11.2024.