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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Metamorphosen bemerkbar. Früh fliegt Orphise in ihrem durch-
schimmernden Nymphenrock nach Passy. Sie ist als Göttin en
anneau de Saturne
coiffirt. Blitzschnell verschwindet ihr beflü-
gelter Phaeton durch die staunende Menge. Um drei Uhr schim-
mert sie in tausend neuen Reizen bei der Promenade auf den
Boulevards. Ihre Perrücke a la Berenice zieht alle Augen auf
sich. Abends strahlt aus ihrem schwarzen Haare a la Diane ein
halber Mond voll Brillanten." Sie würde freilich nicht die Ge-
duld haben, täglich drei solche Frisuren am Eigenhaar herstellen
zu lassen. Man schreibt übrigens von Hamburg und andern
deutschen Städten ganz dasselbe; die Damenperrücken standen
hier in gleicher Mode.

Ein um so größeres Ansehn hatten die Friseure: sie nann-
ten sich selbst Akademiker, und die Dame sagte: mon Acade-
micien.
Aehnlich war es mit den Schneidern. Da sie die Kör-
per zu drapiren und nicht zu bekleiden hatten, so betrachteten sie
sich als Künstler und wollten dafür angesehen werden; sie nann-
ten sich in diesem Sinne Costumiers. Heute sind sie weniger
stolz: sie setzen ihren Ruhm darin, Kaufleute zu sein, mar-
chands tailleurs.

Weit weniger Interesse bietet im Grunde die revolutionäre
Entwicklung des männlichen Costüms. Nachdem die rothe
phrygische Mütze wieder abgelegt und der Sansculottismus als
Grille ausgelacht worden, dachte niemand daran, auch die
männliche Tracht gleich der weiblichen zu antikisiren. Unbeküm-
mert um solche absichtliche und gemachte Neuerungen geht sie
ihres Weges weiter. Das Frackcostüm mit dem runden Hut
hatte schon unter dem Terrorismus in Frankreich die Alleinherr-
schaft angetreten; es fehlten nur die Stiefel, welche zwar über-
all zu Recht waren, jedoch bis zur Kaiserzeit hin Strümpfe und
Schuhe nicht völlig zu verdrängen vermochten. Der wüste Geist
der Revolution nahm nun mit diesem Costüm selbst seine Um-
wandlungen vor. Der runde Hut, an Kopf und Rand größer
und schlaffer werdend, mußte sich allerlei groteske Unformen ge-
fallen lassen, und unter ihm entsprach das Haar diesen Gestal-

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Metamorphoſen bemerkbar. Früh fliegt Orphiſe in ihrem durch-
ſchimmernden Nymphenrock nach Paſſy. Sie iſt als Göttin en
anneau de Saturne
coiffirt. Blitzſchnell verſchwindet ihr beflü-
gelter Phaeton durch die ſtaunende Menge. Um drei Uhr ſchim-
mert ſie in tauſend neuen Reizen bei der Promenade auf den
Boulevards. Ihre Perrücke à la Berenice zieht alle Augen auf
ſich. Abends ſtrahlt aus ihrem ſchwarzen Haare à la Diane ein
halber Mond voll Brillanten.“ Sie würde freilich nicht die Ge-
duld haben, täglich drei ſolche Friſuren am Eigenhaar herſtellen
zu laſſen. Man ſchreibt übrigens von Hamburg und andern
deutſchen Städten ganz daſſelbe; die Damenperrücken ſtanden
hier in gleicher Mode.

Ein um ſo größeres Anſehn hatten die Friſeure: ſie nann-
ten ſich ſelbſt Akademiker, und die Dame ſagte: mon Acadé-
micien.
Aehnlich war es mit den Schneidern. Da ſie die Kör-
per zu drapiren und nicht zu bekleiden hatten, ſo betrachteten ſie
ſich als Künſtler und wollten dafür angeſehen werden; ſie nann-
ten ſich in dieſem Sinne Costumiers. Heute ſind ſie weniger
ſtolz: ſie ſetzen ihren Ruhm darin, Kaufleute zu ſein, mar-
chands tailleurs.

Weit weniger Intereſſe bietet im Grunde die revolutionäre
Entwicklung des männlichen Coſtüms. Nachdem die rothe
phrygiſche Mütze wieder abgelegt und der Sansculottismus als
Grille ausgelacht worden, dachte niemand daran, auch die
männliche Tracht gleich der weiblichen zu antikiſiren. Unbeküm-
mert um ſolche abſichtliche und gemachte Neuerungen geht ſie
ihres Weges weiter. Das Frackcoſtüm mit dem runden Hut
hatte ſchon unter dem Terrorismus in Frankreich die Alleinherr-
ſchaft angetreten; es fehlten nur die Stiefel, welche zwar über-
all zu Recht waren, jedoch bis zur Kaiſerzeit hin Strümpfe und
Schuhe nicht völlig zu verdrängen vermochten. Der wüſte Geiſt
der Revolution nahm nun mit dieſem Coſtüm ſelbſt ſeine Um-
wandlungen vor. Der runde Hut, an Kopf und Rand größer
und ſchlaffer werdend, mußte ſich allerlei groteske Unformen ge-
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[313/0325] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Metamorphoſen bemerkbar. Früh fliegt Orphiſe in ihrem durch- ſchimmernden Nymphenrock nach Paſſy. Sie iſt als Göttin en anneau de Saturne coiffirt. Blitzſchnell verſchwindet ihr beflü- gelter Phaeton durch die ſtaunende Menge. Um drei Uhr ſchim- mert ſie in tauſend neuen Reizen bei der Promenade auf den Boulevards. Ihre Perrücke à la Berenice zieht alle Augen auf ſich. Abends ſtrahlt aus ihrem ſchwarzen Haare à la Diane ein halber Mond voll Brillanten.“ Sie würde freilich nicht die Ge- duld haben, täglich drei ſolche Friſuren am Eigenhaar herſtellen zu laſſen. Man ſchreibt übrigens von Hamburg und andern deutſchen Städten ganz daſſelbe; die Damenperrücken ſtanden hier in gleicher Mode. Ein um ſo größeres Anſehn hatten die Friſeure: ſie nann- ten ſich ſelbſt Akademiker, und die Dame ſagte: mon Acadé- micien. Aehnlich war es mit den Schneidern. Da ſie die Kör- per zu drapiren und nicht zu bekleiden hatten, ſo betrachteten ſie ſich als Künſtler und wollten dafür angeſehen werden; ſie nann- ten ſich in dieſem Sinne Costumiers. Heute ſind ſie weniger ſtolz: ſie ſetzen ihren Ruhm darin, Kaufleute zu ſein, mar- chands tailleurs. Weit weniger Intereſſe bietet im Grunde die revolutionäre Entwicklung des männlichen Coſtüms. Nachdem die rothe phrygiſche Mütze wieder abgelegt und der Sansculottismus als Grille ausgelacht worden, dachte niemand daran, auch die männliche Tracht gleich der weiblichen zu antikiſiren. Unbeküm- mert um ſolche abſichtliche und gemachte Neuerungen geht ſie ihres Weges weiter. Das Frackcoſtüm mit dem runden Hut hatte ſchon unter dem Terrorismus in Frankreich die Alleinherr- ſchaft angetreten; es fehlten nur die Stiefel, welche zwar über- all zu Recht waren, jedoch bis zur Kaiſerzeit hin Strümpfe und Schuhe nicht völlig zu verdrängen vermochten. Der wüſte Geiſt der Revolution nahm nun mit dieſem Coſtüm ſelbſt ſeine Um- wandlungen vor. Der runde Hut, an Kopf und Rand größer und ſchlaffer werdend, mußte ſich allerlei groteske Unformen ge- fallen laſſen, und unter ihm entſprach das Haar dieſen Geſtal-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/325>, abgerufen am 24.11.2024.