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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.

Aber grade als die Revolutionswogen sich bereits gelegt
hatten und die Bewegung unter dem Consulat in feste Ufer ein-
lief, da trat das griechische Costüm in weit bestimmterem Cha-
rakter hervor. Nicht ohne Einfluß darauf ist die Nacktheit, welche
seit der Scheide des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts
auf einige Jahre hin alles bisher Dagewesene übertraf. Schon
1799 erschienen Pariser Damen, solche freilich, welche sich auf
der Höhe der Revolution bewegten, in seidenen, fleischfarbenen
Tricotpantalons mit Lilazwickeln und Kniebändern und darüber
mit einer Chemise oder einem ächten Hemde, das bloß durch ein
Paar schmale frisirte Bänder auf den nackten Schultern hing
und die ganze Oberhälfte des Leibes völlig entblößt zeigte; der
ganze wie aus Luft gewebte Anzug wog kaum 16 Loth. Das
mag das Extrem sein, aber die Menge der modischen Parise-
rinnen ist in diesem und den nächsten Jahren nicht weit davon
entfernt. Die Kleider, die einzigen, von dünnem, sanft fließen-
dem Stoff, den die Aerzte umsonst bekämpften, lassen Brust und
Arme völlig frei; dem Hemde oder vielmehr der Tunica gleich
geschnitten, sind sie unter der Brust faltig zusammen gefaßt und
fließen den Körper herab, indem sie wie an den griechischen Sta-
tuen die Hauptformen hervortreten lassen; mit kleiner Schleppe
legen sie sich auf den Boden. Häufig lag über dieser Tunica
noch ein dünnes, durchsichtiges Florgewand als Stellvertreter
der Flügel des griechischen Chiton, an Gestalt ziemlich der Tu-
nica gleich, aber nur bis auf die Hüften reichend, oder statt
dessen ein frei nach der Laune umgeworfener Shawl.

Man kann diese der griechischen sich anschließende Kleidung
in ihrer freien und leichten Weise, die freilich eine außerordent-
liche Anzahl von Verschiedenheiten und Capricen zuließ, bis zur
Zeit des französischen Kaiserreichs verfolgen. Da tritt mit dem
Kaiserhofe wieder gewissermaßen ein Regulator der Moden auf,
welcher der Freiheit und Willkür Schranken setzt und so im
Sinne einer Reaction umgestaltend wirkt, wenn er sich auch an
das Vorhandene anschließt.

Dieselbe Geschichte in Beziehung auf das a la Grecque

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.

Aber grade als die Revolutionswogen ſich bereits gelegt
hatten und die Bewegung unter dem Conſulat in feſte Ufer ein-
lief, da trat das griechiſche Coſtüm in weit beſtimmterem Cha-
rakter hervor. Nicht ohne Einfluß darauf iſt die Nacktheit, welche
ſeit der Scheide des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts
auf einige Jahre hin alles bisher Dageweſene übertraf. Schon
1799 erſchienen Pariſer Damen, ſolche freilich, welche ſich auf
der Höhe der Revolution bewegten, in ſeidenen, fleiſchfarbenen
Tricotpantalons mit Lilazwickeln und Kniebändern und darüber
mit einer Chemiſe oder einem ächten Hemde, das bloß durch ein
Paar ſchmale friſirte Bänder auf den nackten Schultern hing
und die ganze Oberhälfte des Leibes völlig entblößt zeigte; der
ganze wie aus Luft gewebte Anzug wog kaum 16 Loth. Das
mag das Extrem ſein, aber die Menge der modiſchen Pariſe-
rinnen iſt in dieſem und den nächſten Jahren nicht weit davon
entfernt. Die Kleider, die einzigen, von dünnem, ſanft fließen-
dem Stoff, den die Aerzte umſonſt bekämpften, laſſen Bruſt und
Arme völlig frei; dem Hemde oder vielmehr der Tunica gleich
geſchnitten, ſind ſie unter der Bruſt faltig zuſammen gefaßt und
fließen den Körper herab, indem ſie wie an den griechiſchen Sta-
tuen die Hauptformen hervortreten laſſen; mit kleiner Schleppe
legen ſie ſich auf den Boden. Häufig lag über dieſer Tunica
noch ein dünnes, durchſichtiges Florgewand als Stellvertreter
der Flügel des griechiſchen Chiton, an Geſtalt ziemlich der Tu-
nica gleich, aber nur bis auf die Hüften reichend, oder ſtatt
deſſen ein frei nach der Laune umgeworfener Shawl.

Man kann dieſe der griechiſchen ſich anſchließende Kleidung
in ihrer freien und leichten Weiſe, die freilich eine außerordent-
liche Anzahl von Verſchiedenheiten und Capricen zuließ, bis zur
Zeit des franzöſiſchen Kaiſerreichs verfolgen. Da tritt mit dem
Kaiſerhofe wieder gewiſſermaßen ein Regulator der Moden auf,
welcher der Freiheit und Willkür Schranken ſetzt und ſo im
Sinne einer Reaction umgeſtaltend wirkt, wenn er ſich auch an
das Vorhandene anſchließt.

Dieſelbe Geſchichte in Beziehung auf das à la Grecque

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[311/0323] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Aber grade als die Revolutionswogen ſich bereits gelegt hatten und die Bewegung unter dem Conſulat in feſte Ufer ein- lief, da trat das griechiſche Coſtüm in weit beſtimmterem Cha- rakter hervor. Nicht ohne Einfluß darauf iſt die Nacktheit, welche ſeit der Scheide des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts auf einige Jahre hin alles bisher Dageweſene übertraf. Schon 1799 erſchienen Pariſer Damen, ſolche freilich, welche ſich auf der Höhe der Revolution bewegten, in ſeidenen, fleiſchfarbenen Tricotpantalons mit Lilazwickeln und Kniebändern und darüber mit einer Chemiſe oder einem ächten Hemde, das bloß durch ein Paar ſchmale friſirte Bänder auf den nackten Schultern hing und die ganze Oberhälfte des Leibes völlig entblößt zeigte; der ganze wie aus Luft gewebte Anzug wog kaum 16 Loth. Das mag das Extrem ſein, aber die Menge der modiſchen Pariſe- rinnen iſt in dieſem und den nächſten Jahren nicht weit davon entfernt. Die Kleider, die einzigen, von dünnem, ſanft fließen- dem Stoff, den die Aerzte umſonſt bekämpften, laſſen Bruſt und Arme völlig frei; dem Hemde oder vielmehr der Tunica gleich geſchnitten, ſind ſie unter der Bruſt faltig zuſammen gefaßt und fließen den Körper herab, indem ſie wie an den griechiſchen Sta- tuen die Hauptformen hervortreten laſſen; mit kleiner Schleppe legen ſie ſich auf den Boden. Häufig lag über dieſer Tunica noch ein dünnes, durchſichtiges Florgewand als Stellvertreter der Flügel des griechiſchen Chiton, an Geſtalt ziemlich der Tu- nica gleich, aber nur bis auf die Hüften reichend, oder ſtatt deſſen ein frei nach der Laune umgeworfener Shawl. Man kann dieſe der griechiſchen ſich anſchließende Kleidung in ihrer freien und leichten Weiſe, die freilich eine außerordent- liche Anzahl von Verſchiedenheiten und Capricen zuließ, bis zur Zeit des franzöſiſchen Kaiſerreichs verfolgen. Da tritt mit dem Kaiſerhofe wieder gewiſſermaßen ein Regulator der Moden auf, welcher der Freiheit und Willkür Schranken ſetzt und ſo im Sinne einer Reaction umgeſtaltend wirkt, wenn er ſich auch an das Vorhandene anſchließt. Dieſelbe Geſchichte in Beziehung auf das à la Grecque

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/323>, abgerufen am 27.07.2024.