und sonst durch künstliche Mittel die verrätherischen Zeichen ver- borgen und die flüchtigen Reize erheuchelt hatte, wurde in seiner Blöße aufgedeckt. Die eitle Zeit vermochte sich noch nicht dar- über hinwegzusetzen, und so dachte man nicht weiter an den Ernst, den man beabsichtigt hatte, sondern erinnerte sich der Sache nur noch als eines heitern Maskenscherzes.
Wir sehen, es blieb der Revolution noch ein hinlänglicher Zopf übrig, von welchem sie die Welt zu befreien hatte. Wir wollen uns denselben noch einmal in einem Gesammtbilde der männlichen und weiblichen Erscheinung vor die Erinnerung bringen. Der vornehme Herr trägt bei Galakleidung den französischen Rock, der nur vorn in frackähnlichem Schnitt mit den Schößen weit aus einander steht; der stehende Kragen, die Säume vorn herab, die großen Taschen, die dem Frack abgehen, und die Umschläge an den Händen sind reich mit Gold und Sil- ber bestickt. Auch die lange, weiße oder hellbunte Schoßweste ist mit denselben oder ähnlichen Mustern bestickt; zwei Uhrgehänge -- denn wer es konnte, trug zwei Uhren -- fallen darunter her- aus. Das Beinkleid geht eng bis unter das Knie herab und hat hier ebenfalls Stickerei und Schnalle. Zur Gala gehören die weißen Zwickelstrümpfe, schwarze Schuhe mit großen silbernen Schnallen und noch immer mit rothen Absätzen. Aus der Weste tritt der Busenstreif heraus, und um das weiße Halstuch legen sich -- damals zuerst -- die kleinen dreiseitigen Hemdkragen ganz in der Form der heutigen Vatermörder. Das Haar hat sich unter dem Vorgang der Damen allmählig von der Vergette zur Igelform umgestaltet, doch ist es noch unausweichlich mit Puder überstreut; an den Seiten hängen die Lockenrollen, und im Nacken sitzt der Zopf und die breite haarbeutelartige Bandschleife. Der dreieckige Hut unter dem Arm und an der Seite der Degen mit brillantirtem Stahlgriff vollenden das Musterbild. Etwas anders sah die Erscheinung in der Demi-Parure, im Neglige aus, in dem Zustande, den man damals en chenille nannte, während dieser "Raupe" gegenüber der Mann en grande parure als Schmetterling zu betrachten ist.
III. Die Neuzeit.
und ſonſt durch künſtliche Mittel die verrätheriſchen Zeichen ver- borgen und die flüchtigen Reize erheuchelt hatte, wurde in ſeiner Blöße aufgedeckt. Die eitle Zeit vermochte ſich noch nicht dar- über hinwegzuſetzen, und ſo dachte man nicht weiter an den Ernſt, den man beabſichtigt hatte, ſondern erinnerte ſich der Sache nur noch als eines heitern Maskenſcherzes.
Wir ſehen, es blieb der Revolution noch ein hinlänglicher Zopf übrig, von welchem ſie die Welt zu befreien hatte. Wir wollen uns denſelben noch einmal in einem Geſammtbilde der männlichen und weiblichen Erſcheinung vor die Erinnerung bringen. Der vornehme Herr trägt bei Galakleidung den franzöſiſchen Rock, der nur vorn in frackähnlichem Schnitt mit den Schößen weit aus einander ſteht; der ſtehende Kragen, die Säume vorn herab, die großen Taſchen, die dem Frack abgehen, und die Umſchläge an den Händen ſind reich mit Gold und Sil- ber beſtickt. Auch die lange, weiße oder hellbunte Schoßweſte iſt mit denſelben oder ähnlichen Muſtern beſtickt; zwei Uhrgehänge — denn wer es konnte, trug zwei Uhren — fallen darunter her- aus. Das Beinkleid geht eng bis unter das Knie herab und hat hier ebenfalls Stickerei und Schnalle. Zur Gala gehören die weißen Zwickelſtrümpfe, ſchwarze Schuhe mit großen ſilbernen Schnallen und noch immer mit rothen Abſätzen. Aus der Weſte tritt der Buſenſtreif heraus, und um das weiße Halstuch legen ſich — damals zuerſt — die kleinen dreiſeitigen Hemdkragen ganz in der Form der heutigen Vatermörder. Das Haar hat ſich unter dem Vorgang der Damen allmählig von der Vergette zur Igelform umgeſtaltet, doch iſt es noch unausweichlich mit Puder überſtreut; an den Seiten hängen die Lockenrollen, und im Nacken ſitzt der Zopf und die breite haarbeutelartige Bandſchleife. Der dreieckige Hut unter dem Arm und an der Seite der Degen mit brillantirtem Stahlgriff vollenden das Muſterbild. Etwas anders ſah die Erſcheinung in der Demi-Parure, im Negligé aus, in dem Zuſtande, den man damals en chenille nannte, während dieſer „Raupe“ gegenüber der Mann en grande parure als Schmetterling zu betrachten iſt.
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III. Die Neuzeit.
und ſonſt durch künſtliche Mittel die verrätheriſchen Zeichen ver-
borgen und die flüchtigen Reize erheuchelt hatte, wurde in ſeiner
Blöße aufgedeckt. Die eitle Zeit vermochte ſich noch nicht dar-
über hinwegzuſetzen, und ſo dachte man nicht weiter an den Ernſt,
den man beabſichtigt hatte, ſondern erinnerte ſich der Sache nur
noch als eines heitern Maskenſcherzes.
Wir ſehen, es blieb der Revolution noch ein hinlänglicher
Zopf übrig, von welchem ſie die Welt zu befreien hatte. Wir
wollen uns denſelben noch einmal in einem Geſammtbilde der
männlichen und weiblichen Erſcheinung vor die Erinnerung
bringen. Der vornehme Herr trägt bei Galakleidung den
franzöſiſchen Rock, der nur vorn in frackähnlichem Schnitt mit
den Schößen weit aus einander ſteht; der ſtehende Kragen, die
Säume vorn herab, die großen Taſchen, die dem Frack abgehen,
und die Umſchläge an den Händen ſind reich mit Gold und Sil-
ber beſtickt. Auch die lange, weiße oder hellbunte Schoßweſte iſt
mit denſelben oder ähnlichen Muſtern beſtickt; zwei Uhrgehänge
— denn wer es konnte, trug zwei Uhren — fallen darunter her-
aus. Das Beinkleid geht eng bis unter das Knie herab und hat
hier ebenfalls Stickerei und Schnalle. Zur Gala gehören die
weißen Zwickelſtrümpfe, ſchwarze Schuhe mit großen ſilbernen
Schnallen und noch immer mit rothen Abſätzen. Aus der Weſte
tritt der Buſenſtreif heraus, und um das weiße Halstuch legen
ſich — damals zuerſt — die kleinen dreiſeitigen Hemdkragen
ganz in der Form der heutigen Vatermörder. Das Haar hat ſich
unter dem Vorgang der Damen allmählig von der Vergette zur
Igelform umgeſtaltet, doch iſt es noch unausweichlich mit Puder
überſtreut; an den Seiten hängen die Lockenrollen, und im Nacken
ſitzt der Zopf und die breite haarbeutelartige Bandſchleife. Der
dreieckige Hut unter dem Arm und an der Seite der Degen mit
brillantirtem Stahlgriff vollenden das Muſterbild. Etwas anders
ſah die Erſcheinung in der Demi-Parure, im Negligé aus, in
dem Zuſtande, den man damals en chenille nannte, während
dieſer „Raupe“ gegenüber der Mann en grande parure als
Schmetterling zu betrachten iſt.
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/314>, abgerufen am 27.07.2024.
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