Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. so in der Fürstin Zimmer und an des Fürsten Tafel gekommensei; dennoch liegt Wahrheit darin. Viele, die an der Bewegung theilnahmen, ließen den Puder beiseit, zauseten den Zopf aus- einander und gingen in langem, wild durchwirrtem Haar einher. Derartige Portraits, namentlich von Künstlern, treffen wir sehr häufig an. Oft scheint es uns, als ob wir eine vollständige An- ticipation der französischen Revolutionstrachten vor uns hätten; denn auch das Hemd öffnet sich, wie von Kaufmann erzählt wird, und Frack, Weste und Beinkleid werden locker, weit und schlottrig. Aber dieses wilde Costüm blieb nur die Auszeichnung der Goethe war es, der ihm den ersten Triumph errang. Als 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. ſo in der Fürſtin Zimmer und an des Fürſten Tafel gekommenſei; dennoch liegt Wahrheit darin. Viele, die an der Bewegung theilnahmen, ließen den Puder beiſeit, zauſeten den Zopf aus- einander und gingen in langem, wild durchwirrtem Haar einher. Derartige Portraits, namentlich von Künſtlern, treffen wir ſehr häufig an. Oft ſcheint es uns, als ob wir eine vollſtändige An- ticipation der franzöſiſchen Revolutionstrachten vor uns hätten; denn auch das Hemd öffnet ſich, wie von Kaufmann erzählt wird, und Frack, Weſte und Beinkleid werden locker, weit und ſchlottrig. Aber dieſes wilde Coſtüm blieb nur die Auszeichnung der Goethe war es, der ihm den erſten Triumph errang. Als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0309" n="297"/><fw place="top" type="header">5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.</fw><lb/> ſo in der Fürſtin Zimmer und an des Fürſten Tafel gekommen<lb/> ſei; dennoch liegt Wahrheit darin. Viele, die an der Bewegung<lb/> theilnahmen, ließen den Puder beiſeit, zauſeten den Zopf aus-<lb/> einander und gingen in langem, wild durchwirrtem Haar einher.<lb/> Derartige Portraits, namentlich von Künſtlern, treffen wir ſehr<lb/> häufig an. Oft ſcheint es uns, als ob wir eine vollſtändige An-<lb/> ticipation der franzöſiſchen Revolutionstrachten vor uns hätten;<lb/> denn auch das Hemd öffnet ſich, wie von Kaufmann erzählt<lb/> wird, und Frack, Weſte und Beinkleid werden locker, weit und<lb/> ſchlottrig.</p><lb/> <p>Aber dieſes wilde Coſtüm blieb nur die Auszeichnung der<lb/> extravaganteſten Genies; die große Menge der Schön- und Frei-<lb/> geiſter, welche damals eine bedeutende und einflußreiche Claſſe<lb/> der Geſellſchaft ausmachten, trugen ſich zwar als die vom Zeit-<lb/> geiſt Emancipirten in beſonderer und in einer den Augen der<lb/> damaligen Welt immerhin ſehr auffallenden Weiſe, doch keines-<lb/> wegs in phantaſtiſch oder unanſtändig übertriebenen Formen.<lb/> Ihre bedeutungsvollſten Kennzeichen waren der runde <hi rendition="#g">Cylinder-<lb/> hut</hi> und der <hi rendition="#g">Stiefel</hi>, wozu allenfalls noch der Stock ſtatt des<lb/> Degens kam; doch muß man hinzufügen, daß auch der <hi rendition="#g">ein-<lb/> fache Frack</hi>, unbordirt und von ungeblümtem Stoff, im Ge-<lb/> genſatz zu dem reichgeſchmückten Staatsrock, den nur eine ſehr<lb/> geringe Umſchneidung der Schöße frackähnlich machte, als ein<lb/> Zeichen der Emancipation von Sitte und Herkommen galt. Noch<lb/> war der Frack nicht ſalonfähig geworden, viel weniger hoffähig.<lb/> Aber bald ſollte er dieſe Eroberung machen, in deren Beſitz er<lb/> ſich noch heute mit abſoluter Macht behauptet.</p><lb/> <p>Goethe war es, der ihm den erſten Triumph errang. Als<lb/> er im Jahr 1775 nach Weimar kam, ſiegesſicher wie ein herr-<lb/> ſchender Gott, trug er die „Werthermontirung“, und augenblick-<lb/> lich legte dieſelbe der Herzog und der ganze Hof an. Es war<lb/> das die Kleidung, in welcher Werther ſich erſchoſſen hatte: blauer<lb/> Frack mit Meſſingknöpfen, gelbe Weſte, Lederbeinkleider und<lb/> Stulpenſtiefel. Es war aber das mit dem runden Hut eben die<lb/> Tracht der emancipirten Geiſter. Alle diejenigen nun, die mit<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [297/0309]
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſo in der Fürſtin Zimmer und an des Fürſten Tafel gekommen
ſei; dennoch liegt Wahrheit darin. Viele, die an der Bewegung
theilnahmen, ließen den Puder beiſeit, zauſeten den Zopf aus-
einander und gingen in langem, wild durchwirrtem Haar einher.
Derartige Portraits, namentlich von Künſtlern, treffen wir ſehr
häufig an. Oft ſcheint es uns, als ob wir eine vollſtändige An-
ticipation der franzöſiſchen Revolutionstrachten vor uns hätten;
denn auch das Hemd öffnet ſich, wie von Kaufmann erzählt
wird, und Frack, Weſte und Beinkleid werden locker, weit und
ſchlottrig.
Aber dieſes wilde Coſtüm blieb nur die Auszeichnung der
extravaganteſten Genies; die große Menge der Schön- und Frei-
geiſter, welche damals eine bedeutende und einflußreiche Claſſe
der Geſellſchaft ausmachten, trugen ſich zwar als die vom Zeit-
geiſt Emancipirten in beſonderer und in einer den Augen der
damaligen Welt immerhin ſehr auffallenden Weiſe, doch keines-
wegs in phantaſtiſch oder unanſtändig übertriebenen Formen.
Ihre bedeutungsvollſten Kennzeichen waren der runde Cylinder-
hut und der Stiefel, wozu allenfalls noch der Stock ſtatt des
Degens kam; doch muß man hinzufügen, daß auch der ein-
fache Frack, unbordirt und von ungeblümtem Stoff, im Ge-
genſatz zu dem reichgeſchmückten Staatsrock, den nur eine ſehr
geringe Umſchneidung der Schöße frackähnlich machte, als ein
Zeichen der Emancipation von Sitte und Herkommen galt. Noch
war der Frack nicht ſalonfähig geworden, viel weniger hoffähig.
Aber bald ſollte er dieſe Eroberung machen, in deren Beſitz er
ſich noch heute mit abſoluter Macht behauptet.
Goethe war es, der ihm den erſten Triumph errang. Als
er im Jahr 1775 nach Weimar kam, ſiegesſicher wie ein herr-
ſchender Gott, trug er die „Werthermontirung“, und augenblick-
lich legte dieſelbe der Herzog und der ganze Hof an. Es war
das die Kleidung, in welcher Werther ſich erſchoſſen hatte: blauer
Frack mit Meſſingknöpfen, gelbe Weſte, Lederbeinkleider und
Stulpenſtiefel. Es war aber das mit dem runden Hut eben die
Tracht der emancipirten Geiſter. Alle diejenigen nun, die mit
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