"Da heißts: der Henker hol doch unsrer Frauen Pracht, Dieweil sie das Fischbein so theuer hat gemacht. Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß gesaget, Daß sich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget" ....
Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges Tages die Erscheinung wahrnehmen, daß das Fischbein in Folge der Crinoline im Preise steigt.
Anfangs profilirte sich der Reifrock, wie er unten einen Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreise, sodaß also die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Gestalt einer Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu bescheiden: theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er sich an den Seiten über den Hüften, sodaß Arme und Ellbogen bequem darauf ruhen konnten, wie das schon oben in den Versen ange- deutet war. Da nun seine Ausdehnung so gewaltig wurde, daß er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palast- säle passiren konnte, sa erfanden die Damen ein Mittel, die schwierigen engen Passagen zu defiliren. Die hintere und vor- dere Seite wurden flacher zusammengedrückt, wodurch freilich die Gestalt en face noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn die Dame nun eine Schwenkung machte, so konnte sie mit eini- ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die Canäle passiren. Komisch war es nun, einen Herrn sich da- neben geberden zu sehen, der sie etwa zu führen hatte. Ohnehin vertrat er mit engem Frack, Kniehose und Strümpfen die mög- lichste Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblasenen Weite. Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geschehen, da er sich nicht soweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten. Zur Seite stehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte schräg voraus, und so faßte er zurückgebogen ihre Fingerspitzen zierlichst mit den seinigen.
Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete sich durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab, bis auf's Land zur Frau Pfarrerin nebst Töchtern, und selbst die
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
„Da heißts: der Henker hol doch unſrer Frauen Pracht, Dieweil ſie das Fiſchbein ſo theuer hat gemacht. Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß geſaget, Daß ſich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ ....
Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges Tages die Erſcheinung wahrnehmen, daß das Fiſchbein in Folge der Crinoline im Preiſe ſteigt.
Anfangs profilirte ſich der Reifrock, wie er unten einen Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreiſe, ſodaß alſo die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Geſtalt einer Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu beſcheiden: theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er ſich an den Seiten über den Hüften, ſodaß Arme und Ellbogen bequem darauf ruhen konnten, wie das ſchon oben in den Verſen ange- deutet war. Da nun ſeine Ausdehnung ſo gewaltig wurde, daß er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palaſt- ſäle paſſiren konnte, ſa erfanden die Damen ein Mittel, die ſchwierigen engen Paſſagen zu defiliren. Die hintere und vor- dere Seite wurden flacher zuſammengedrückt, wodurch freilich die Geſtalt en face noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn die Dame nun eine Schwenkung machte, ſo konnte ſie mit eini- ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die Canäle paſſiren. Komiſch war es nun, einen Herrn ſich da- neben geberden zu ſehen, der ſie etwa zu führen hatte. Ohnehin vertrat er mit engem Frack, Kniehoſe und Strümpfen die mög- lichſte Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblaſenen Weite. Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geſchehen, da er ſich nicht ſoweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten. Zur Seite ſtehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte ſchräg voraus, und ſo faßte er zurückgebogen ihre Fingerſpitzen zierlichſt mit den ſeinigen.
Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete ſich durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab, bis auf’s Land zur Frau Pfarrerin nebſt Töchtern, und ſelbſt die
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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
„Da heißts: der Henker hol doch unſrer Frauen Pracht,
Dieweil ſie das Fiſchbein ſo theuer hat gemacht.
Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß geſaget,
Daß ſich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ ....
Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges
Tages die Erſcheinung wahrnehmen, daß das Fiſchbein in Folge
der Crinoline im Preiſe ſteigt.
Anfangs profilirte ſich der Reifrock, wie er unten einen
Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreiſe, ſodaß alſo
die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Geſtalt einer
Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu beſcheiden:
theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er ſich an
den Seiten über den Hüften, ſodaß Arme und Ellbogen bequem
darauf ruhen konnten, wie das ſchon oben in den Verſen ange-
deutet war. Da nun ſeine Ausdehnung ſo gewaltig wurde, daß
er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palaſt-
ſäle paſſiren konnte, ſa erfanden die Damen ein Mittel, die
ſchwierigen engen Paſſagen zu defiliren. Die hintere und vor-
dere Seite wurden flacher zuſammengedrückt, wodurch freilich die
Geſtalt en face noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn
die Dame nun eine Schwenkung machte, ſo konnte ſie mit eini-
ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die
Canäle paſſiren. Komiſch war es nun, einen Herrn ſich da-
neben geberden zu ſehen, der ſie etwa zu führen hatte. Ohnehin
vertrat er mit engem Frack, Kniehoſe und Strümpfen die mög-
lichſte Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblaſenen Weite.
Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geſchehen, da
er ſich nicht ſoweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten.
Zur Seite ſtehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen
vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte ſchräg voraus,
und ſo faßte er zurückgebogen ihre Fingerſpitzen zierlichſt mit den
ſeinigen.
Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete ſich
durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab,
bis auf’s Land zur Frau Pfarrerin nebſt Töchtern, und ſelbſt die
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/299>, abgerufen am 08.07.2024.
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