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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Puder nothwendig verbunden war, ohne alle Spur von Haube,
aber die der bürgerlichen Kreise, und selbst jugendliche Gesichter,
legten wohl ein kleines, leichtes Spitzenhäubchen darüber.

So dauerte diese Kopftracht, welche das schönste Haar auf
möglichst kleinen Raum zusammen zu drängen suchte, die dreißi-
ger und vierziger Jahre hindurch bis in den Anfang der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Da können wir beobach-
ten, wie das Frauenhaar auf's neue sich erhebt und in raschestem
Anlauf sich zu den wunderbarsten und colossalsten Ungestalten
emporthürmt, während das männliche in Haarbeutel oder Zopf
regungslos unter seiner Schneedecke verharrt, und nur die Ver-
gette sich a la chinois über der Stirn zum "spitz gewölbten Toupe"
emporzurichten sucht.

Anfangs war die Aufrichtung der Damenfrisur eben nur
eine Nachahmung der Vergette oder überhaupt der männlichen
Haartracht: von Stirn und Schläfen aufgestrichen, legt sich das
Haar um einen runden Wulst, Lockenrollen liegen über den
Ohren, und im Nacken ist es dem Haarbeutel ähnlich zum Chignon
zusammengefaßt. Allein das lange Haar der Frauen begünstigte
die excessive Mode; dem Manne, der eben erst im Begriff stand,
sein eigenes Haar wieder zu gewinnen, waren von der Natur
selbst Schranken gesetzt, die Frau kannte dergleichen nicht mehr.
Noch um das Jahr 1770 bis gegen 1775 zeigte sich diese Richtung
in verhältnißmäßig bescheidener Weise; aber wieder fünf Jahre
später ist das Maß in einer Art überschritten, daß das Gesicht
im Vergleich zur gethürmten Frisur verschwindend klein erscheint.
Cubisch genommen, dürfte die Behauptung nicht übertrieben
sein, daß die Frisur oft den zwölffachen Raum des Kopfes ein-
nahm und ihn mit seiner drei- und vierfachen Länge in der Höhe
überragte. Die Form dieser Frisuren ist im Allgemeinen die,
daß die Haare mit Pomade für jede willkürliche Windung nach-
giebig und haltbar gemacht und mit Puder überstreut, aus Stirn
und Schläfen über wulstige Kissen nach oben gestrichen und mit
Nadeln auf denselben befestigt werden; an den Seiten aber senken
sich in größerer oder geringerer Anzahl horizontale Lockenrollen

III. Die Neuzeit.
Puder nothwendig verbunden war, ohne alle Spur von Haube,
aber die der bürgerlichen Kreiſe, und ſelbſt jugendliche Geſichter,
legten wohl ein kleines, leichtes Spitzenhäubchen darüber.

So dauerte dieſe Kopftracht, welche das ſchönſte Haar auf
möglichſt kleinen Raum zuſammen zu drängen ſuchte, die dreißi-
ger und vierziger Jahre hindurch bis in den Anfang der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Da können wir beobach-
ten, wie das Frauenhaar auf’s neue ſich erhebt und in raſcheſtem
Anlauf ſich zu den wunderbarſten und coloſſalſten Ungeſtalten
emporthürmt, während das männliche in Haarbeutel oder Zopf
regungslos unter ſeiner Schneedecke verharrt, und nur die Ver-
gette ſich à la chinois über der Stirn zum „ſpitz gewölbten Toupé
emporzurichten ſucht.

Anfangs war die Aufrichtung der Damenfriſur eben nur
eine Nachahmung der Vergette oder überhaupt der männlichen
Haartracht: von Stirn und Schläfen aufgeſtrichen, legt ſich das
Haar um einen runden Wulſt, Lockenrollen liegen über den
Ohren, und im Nacken iſt es dem Haarbeutel ähnlich zum Chignon
zuſammengefaßt. Allein das lange Haar der Frauen begünſtigte
die exceſſive Mode; dem Manne, der eben erſt im Begriff ſtand,
ſein eigenes Haar wieder zu gewinnen, waren von der Natur
ſelbſt Schranken geſetzt, die Frau kannte dergleichen nicht mehr.
Noch um das Jahr 1770 bis gegen 1775 zeigte ſich dieſe Richtung
in verhältnißmäßig beſcheidener Weiſe; aber wieder fünf Jahre
ſpäter iſt das Maß in einer Art überſchritten, daß das Geſicht
im Vergleich zur gethürmten Friſur verſchwindend klein erſcheint.
Cubiſch genommen, dürfte die Behauptung nicht übertrieben
ſein, daß die Friſur oft den zwölffachen Raum des Kopfes ein-
nahm und ihn mit ſeiner drei- und vierfachen Länge in der Höhe
überragte. Die Form dieſer Friſuren iſt im Allgemeinen die,
daß die Haare mit Pomade für jede willkürliche Windung nach-
giebig und haltbar gemacht und mit Puder überſtreut, aus Stirn
und Schläfen über wulſtige Kiſſen nach oben geſtrichen und mit
Nadeln auf denſelben befeſtigt werden; an den Seiten aber ſenken
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[278/0290] III. Die Neuzeit. Puder nothwendig verbunden war, ohne alle Spur von Haube, aber die der bürgerlichen Kreiſe, und ſelbſt jugendliche Geſichter, legten wohl ein kleines, leichtes Spitzenhäubchen darüber. So dauerte dieſe Kopftracht, welche das ſchönſte Haar auf möglichſt kleinen Raum zuſammen zu drängen ſuchte, die dreißi- ger und vierziger Jahre hindurch bis in den Anfang der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Da können wir beobach- ten, wie das Frauenhaar auf’s neue ſich erhebt und in raſcheſtem Anlauf ſich zu den wunderbarſten und coloſſalſten Ungeſtalten emporthürmt, während das männliche in Haarbeutel oder Zopf regungslos unter ſeiner Schneedecke verharrt, und nur die Ver- gette ſich à la chinois über der Stirn zum „ſpitz gewölbten Toupé“ emporzurichten ſucht. Anfangs war die Aufrichtung der Damenfriſur eben nur eine Nachahmung der Vergette oder überhaupt der männlichen Haartracht: von Stirn und Schläfen aufgeſtrichen, legt ſich das Haar um einen runden Wulſt, Lockenrollen liegen über den Ohren, und im Nacken iſt es dem Haarbeutel ähnlich zum Chignon zuſammengefaßt. Allein das lange Haar der Frauen begünſtigte die exceſſive Mode; dem Manne, der eben erſt im Begriff ſtand, ſein eigenes Haar wieder zu gewinnen, waren von der Natur ſelbſt Schranken geſetzt, die Frau kannte dergleichen nicht mehr. Noch um das Jahr 1770 bis gegen 1775 zeigte ſich dieſe Richtung in verhältnißmäßig beſcheidener Weiſe; aber wieder fünf Jahre ſpäter iſt das Maß in einer Art überſchritten, daß das Geſicht im Vergleich zur gethürmten Friſur verſchwindend klein erſcheint. Cubiſch genommen, dürfte die Behauptung nicht übertrieben ſein, daß die Friſur oft den zwölffachen Raum des Kopfes ein- nahm und ihn mit ſeiner drei- und vierfachen Länge in der Höhe überragte. Die Form dieſer Friſuren iſt im Allgemeinen die, daß die Haare mit Pomade für jede willkürliche Windung nach- giebig und haltbar gemacht und mit Puder überſtreut, aus Stirn und Schläfen über wulſtige Kiſſen nach oben geſtrichen und mit Nadeln auf denſelben befeſtigt werden; an den Seiten aber ſenken ſich in größerer oder geringerer Anzahl horizontale Lockenrollen

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/290>, abgerufen am 25.11.2024.