einen großartigen Charakter aufzudrücken vermochten. Insofern aber grade mit ihnen sich die Zeit auf falschem Wege befunden hatte, liegt in diesem Verfall auch eine leise Neigung zum Bes- seren, freilich ebenso auch eine zunehmende Versteifung in Formen und Formeln, denen das Leben entweicht.
Wir haben schon in der Geschichte der Perrücke gesehen, wie dies Symbol der aufgeblasenen, von Eitelkeit strotzenden Herrlichkeit bald nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts zu immer kleinerer und bescheidnerer Form zusammensinkt, wie immer dicker der Puder sich darüber legt und mit seinem Schnee an die Kälte des Winters und die Schwäche des Greisenalters erinnert. Ebenso könnten wir, wenn wir uns tiefer in die Cul- turzustände einlassen wollten, das geistige Leben in Schwächlich- keit dahin siechen sehen. Enger und enger zieht sich das Bürger- thum in die Spießbürgerlichkeit, in die kleinsten, völlig abge- schlossenen Kreise der Familien und Freundschaften zurück und läßt die Dinge da draußen gehen, wie sie wollen. Es ist frei- lich nicht Schade darum, wenn aus der Poesie der colossale Bombast und Schwulst eines Lohenstein und seiner Nachfolger vertrieben wird, wenn die schamlose Sinnlichkeit in Worten sich züchtiger anläßt, wenn die Ungeheuerlichkeiten und Absurditäten aus der Oper und dem Volksdrama und die Späße Hanswursts und das wüthige Rasen der Komödianten von der Bühne ver- jagt werden; aber es ist kaum ein Gewinn zu achten, wenn nun leere Nüchternheit, fast die reine Prosa oder höchstens schön- klingende Gemeinplätze an die Stelle treten und die sogenann- ten aristotelischen drei Einheiten jegliche Freiheit nehmen. Auch hierfür holte man die Muster aus Frankreich.
Es ist wahr, auch die großartigen Prachtbauten aus der Periode Ludwigs XIV. waren mit einem bombastisch sinnlosen Schwulst der Ornamente überladen worden; aber es hatte sich doch Kraft und Kühnheit geäußert in dem hohen, tiefe Schatten werfenden Relief, in den hervorspringenden Profilen, in den sich brechenden und bäumenden Linien: jetzt schwindet das alles zu- sammen, die Profile ziehen sich ein, die Ornamente werden flach
III. Die Neuzeit.
einen großartigen Charakter aufzudrücken vermochten. Inſofern aber grade mit ihnen ſich die Zeit auf falſchem Wege befunden hatte, liegt in dieſem Verfall auch eine leiſe Neigung zum Beſ- ſeren, freilich ebenſo auch eine zunehmende Verſteifung in Formen und Formeln, denen das Leben entweicht.
Wir haben ſchon in der Geſchichte der Perrücke geſehen, wie dies Symbol der aufgeblaſenen, von Eitelkeit ſtrotzenden Herrlichkeit bald nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts zu immer kleinerer und beſcheidnerer Form zuſammenſinkt, wie immer dicker der Puder ſich darüber legt und mit ſeinem Schnee an die Kälte des Winters und die Schwäche des Greiſenalters erinnert. Ebenſo könnten wir, wenn wir uns tiefer in die Cul- turzuſtände einlaſſen wollten, das geiſtige Leben in Schwächlich- keit dahin ſiechen ſehen. Enger und enger zieht ſich das Bürger- thum in die Spießbürgerlichkeit, in die kleinſten, völlig abge- ſchloſſenen Kreiſe der Familien und Freundſchaften zurück und läßt die Dinge da draußen gehen, wie ſie wollen. Es iſt frei- lich nicht Schade darum, wenn aus der Poeſie der coloſſale Bombaſt und Schwulſt eines Lohenſtein und ſeiner Nachfolger vertrieben wird, wenn die ſchamloſe Sinnlichkeit in Worten ſich züchtiger anläßt, wenn die Ungeheuerlichkeiten und Abſurditäten aus der Oper und dem Volksdrama und die Späße Hanswurſts und das wüthige Raſen der Komödianten von der Bühne ver- jagt werden; aber es iſt kaum ein Gewinn zu achten, wenn nun leere Nüchternheit, faſt die reine Proſa oder höchſtens ſchön- klingende Gemeinplätze an die Stelle treten und die ſogenann- ten ariſtoteliſchen drei Einheiten jegliche Freiheit nehmen. Auch hierfür holte man die Muſter aus Frankreich.
Es iſt wahr, auch die großartigen Prachtbauten aus der Periode Ludwigs XIV. waren mit einem bombaſtiſch ſinnloſen Schwulſt der Ornamente überladen worden; aber es hatte ſich doch Kraft und Kühnheit geäußert in dem hohen, tiefe Schatten werfenden Relief, in den hervorſpringenden Profilen, in den ſich brechenden und bäumenden Linien: jetzt ſchwindet das alles zu- ſammen, die Profile ziehen ſich ein, die Ornamente werden flach
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III. Die Neuzeit.
einen großartigen Charakter aufzudrücken vermochten. Inſofern
aber grade mit ihnen ſich die Zeit auf falſchem Wege befunden
hatte, liegt in dieſem Verfall auch eine leiſe Neigung zum Beſ-
ſeren, freilich ebenſo auch eine zunehmende Verſteifung in Formen
und Formeln, denen das Leben entweicht.
Wir haben ſchon in der Geſchichte der Perrücke geſehen,
wie dies Symbol der aufgeblaſenen, von Eitelkeit ſtrotzenden
Herrlichkeit bald nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts zu
immer kleinerer und beſcheidnerer Form zuſammenſinkt, wie
immer dicker der Puder ſich darüber legt und mit ſeinem Schnee
an die Kälte des Winters und die Schwäche des Greiſenalters
erinnert. Ebenſo könnten wir, wenn wir uns tiefer in die Cul-
turzuſtände einlaſſen wollten, das geiſtige Leben in Schwächlich-
keit dahin ſiechen ſehen. Enger und enger zieht ſich das Bürger-
thum in die Spießbürgerlichkeit, in die kleinſten, völlig abge-
ſchloſſenen Kreiſe der Familien und Freundſchaften zurück und
läßt die Dinge da draußen gehen, wie ſie wollen. Es iſt frei-
lich nicht Schade darum, wenn aus der Poeſie der coloſſale
Bombaſt und Schwulſt eines Lohenſtein und ſeiner Nachfolger
vertrieben wird, wenn die ſchamloſe Sinnlichkeit in Worten ſich
züchtiger anläßt, wenn die Ungeheuerlichkeiten und Abſurditäten
aus der Oper und dem Volksdrama und die Späße Hanswurſts
und das wüthige Raſen der Komödianten von der Bühne ver-
jagt werden; aber es iſt kaum ein Gewinn zu achten, wenn nun
leere Nüchternheit, faſt die reine Proſa oder höchſtens ſchön-
klingende Gemeinplätze an die Stelle treten und die ſogenann-
ten ariſtoteliſchen drei Einheiten jegliche Freiheit nehmen. Auch
hierfür holte man die Muſter aus Frankreich.
Es iſt wahr, auch die großartigen Prachtbauten aus der
Periode Ludwigs XIV. waren mit einem bombaſtiſch ſinnloſen
Schwulſt der Ornamente überladen worden; aber es hatte ſich
doch Kraft und Kühnheit geäußert in dem hohen, tiefe Schatten
werfenden Relief, in den hervorſpringenden Profilen, in den ſich
brechenden und bäumenden Linien: jetzt ſchwindet das alles zu-
ſammen, die Profile ziehen ſich ein, die Ornamente werden flach
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/276>, abgerufen am 08.07.2024.
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