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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Flinderhaube, eine stattliche Erweiterung des kleinen Gold-
oder Silberhäubchens, das Muschelbund und viele andere.
Fast jede Stadt hat andere Namen, die wir aus Chroniken und
Luxusordnungen kennen lernen. Selbst den hohen spanischen
Männerhut tragen noch Nürnberger Damen im Sommer über
der Flinderhaube.

Auf diese Zustände der bürgerlichen Classen paßt die Be-
schreibung, welche Rachel in der schon erwähnten Jungfern-
anatomie giebt.

"Das Haar muß zimperlich zu beiden Seiten hangen,
Damit man nicht zu sehr sieht ihre silbern Wangen;
Ein andre das Gesicht mit Floren hat bedeckt,
Und ihrer Schönheit Pracht darunter hat versteckt.
"Ein andre läuft daher in ihrer Buschelmützen;
Ein andre schauet man in weißem Schleier sitzen;
Ein andre trägt die Mütz der Männer aufgesetzt,
Ein andre vielmals auch an Hauben sich ergetzt."

Diese verschiedenen Kopftrachten, denen sich in gleicher
Weise originell gestaltete Jacken, Leibchen und Mäntel zugesel-
len, galten allgemein als deutsche und nationale und mit localer
Beschränkung waren sie es auch in der That. Dennoch finden
sie bei den Gesetzgebern nicht allzugroße Begünstigung, und es
dürfte der seltnere Fall sein, daß eine Kleiderordnung sich gegen
die fremden, d. h. französischen Moden richtet. Der Grund liegt
einfach darin, daß diese deutschen Trachten viel kostbarer waren
als die französische; mit der Marder- und Flinderhaube z. B.
konnte die leichte Fontange keinen Vergleich eingehen. Und nach
dem Elend des dreißigjährigen Kriegs, der den Leichtsinn und
die Verschwendung nur gefördert hatte, sahen es die Gesetze
wirklich mehr auf die Beschränkung des Luxus ab als auf den
Unterschied der Classen, den die mit absoluter Herrschaft auf-
tretende französische Mode ohnehin im Aeußern mehr und mehr
verwischte. Das ist auch die Ursache, warum die Kleiderord-
nungen, deren in dieser Periode noch eine ziemliche Anzahl vor-

III. Die Neuzeit.
Flinderhaube, eine ſtattliche Erweiterung des kleinen Gold-
oder Silberhäubchens, das Muſchelbund und viele andere.
Faſt jede Stadt hat andere Namen, die wir aus Chroniken und
Luxusordnungen kennen lernen. Selbſt den hohen ſpaniſchen
Männerhut tragen noch Nürnberger Damen im Sommer über
der Flinderhaube.

Auf dieſe Zuſtände der bürgerlichen Claſſen paßt die Be-
ſchreibung, welche Rachel in der ſchon erwähnten Jungfern-
anatomie giebt.

„Das Haar muß zimperlich zu beiden Seiten hangen,
Damit man nicht zu ſehr ſieht ihre ſilbern Wangen;
Ein andre das Geſicht mit Floren hat bedeckt,
Und ihrer Schönheit Pracht darunter hat verſteckt.
„Ein andre läuft daher in ihrer Buſchelmützen;
Ein andre ſchauet man in weißem Schleier ſitzen;
Ein andre trägt die Mütz der Männer aufgeſetzt,
Ein andre vielmals auch an Hauben ſich ergetzt.“

Dieſe verſchiedenen Kopftrachten, denen ſich in gleicher
Weiſe originell geſtaltete Jacken, Leibchen und Mäntel zugeſel-
len, galten allgemein als deutſche und nationale und mit localer
Beſchränkung waren ſie es auch in der That. Dennoch finden
ſie bei den Geſetzgebern nicht allzugroße Begünſtigung, und es
dürfte der ſeltnere Fall ſein, daß eine Kleiderordnung ſich gegen
die fremden, d. h. franzöſiſchen Moden richtet. Der Grund liegt
einfach darin, daß dieſe deutſchen Trachten viel koſtbarer waren
als die franzöſiſche; mit der Marder- und Flinderhaube z. B.
konnte die leichte Fontange keinen Vergleich eingehen. Und nach
dem Elend des dreißigjährigen Kriegs, der den Leichtſinn und
die Verſchwendung nur gefördert hatte, ſahen es die Geſetze
wirklich mehr auf die Beſchränkung des Luxus ab als auf den
Unterſchied der Claſſen, den die mit abſoluter Herrſchaft auf-
tretende franzöſiſche Mode ohnehin im Aeußern mehr und mehr
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[260/0272] III. Die Neuzeit. Flinderhaube, eine ſtattliche Erweiterung des kleinen Gold- oder Silberhäubchens, das Muſchelbund und viele andere. Faſt jede Stadt hat andere Namen, die wir aus Chroniken und Luxusordnungen kennen lernen. Selbſt den hohen ſpaniſchen Männerhut tragen noch Nürnberger Damen im Sommer über der Flinderhaube. Auf dieſe Zuſtände der bürgerlichen Claſſen paßt die Be- ſchreibung, welche Rachel in der ſchon erwähnten Jungfern- anatomie giebt. „Das Haar muß zimperlich zu beiden Seiten hangen, Damit man nicht zu ſehr ſieht ihre ſilbern Wangen; Ein andre das Geſicht mit Floren hat bedeckt, Und ihrer Schönheit Pracht darunter hat verſteckt. „Ein andre läuft daher in ihrer Buſchelmützen; Ein andre ſchauet man in weißem Schleier ſitzen; Ein andre trägt die Mütz der Männer aufgeſetzt, Ein andre vielmals auch an Hauben ſich ergetzt.“ Dieſe verſchiedenen Kopftrachten, denen ſich in gleicher Weiſe originell geſtaltete Jacken, Leibchen und Mäntel zugeſel- len, galten allgemein als deutſche und nationale und mit localer Beſchränkung waren ſie es auch in der That. Dennoch finden ſie bei den Geſetzgebern nicht allzugroße Begünſtigung, und es dürfte der ſeltnere Fall ſein, daß eine Kleiderordnung ſich gegen die fremden, d. h. franzöſiſchen Moden richtet. Der Grund liegt einfach darin, daß dieſe deutſchen Trachten viel koſtbarer waren als die franzöſiſche; mit der Marder- und Flinderhaube z. B. konnte die leichte Fontange keinen Vergleich eingehen. Und nach dem Elend des dreißigjährigen Kriegs, der den Leichtſinn und die Verſchwendung nur gefördert hatte, ſahen es die Geſetze wirklich mehr auf die Beſchränkung des Luxus ab als auf den Unterſchied der Claſſen, den die mit abſoluter Herrſchaft auf- tretende franzöſiſche Mode ohnehin im Aeußern mehr und mehr verwiſchte. Das iſt auch die Urſache, warum die Kleiderord- nungen, deren in dieſer Periode noch eine ziemliche Anzahl vor-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/272>, abgerufen am 26.11.2024.