Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. Grenzen einen ihm eigenthümlichen Charakter aufgedrückt. Esist daher ebensowohl möglich für ein jedes Costüm nach dem all- gemeinen Charakter die Zeit seiner wirklichen Existenz zu bestim- men, wie an den Besonderheiten Land und Volk, dem es ange- hört, zu unterscheiden. Diese Gleichheit und Verschiedenheit der Kleidung zugleich theilen alle Classen der Gesellschaft, sodaß z. B. die niedern Stände Deutschlands von denen Frankreichs und Englands in der Tracht nicht mehr abweichen als die höhe- ren dieser Länder. Und in noch viel geringerem Maße unter- scheiden sich in jedem Lande für sich die Bewohner der einzel- nen Provinzen oder Gegenden von einander, sodaß von einer eigentlichen Volkstracht im ganzen Mittelalter nicht die Rede sein kann. Das ändert sich aber im sechszehnten Jahrhundert, indem III. Die Neuzeit. Grenzen einen ihm eigenthümlichen Charakter aufgedrückt. Esiſt daher ebenſowohl möglich für ein jedes Coſtüm nach dem all- gemeinen Charakter die Zeit ſeiner wirklichen Exiſtenz zu beſtim- men, wie an den Beſonderheiten Land und Volk, dem es ange- hört, zu unterſcheiden. Dieſe Gleichheit und Verſchiedenheit der Kleidung zugleich theilen alle Claſſen der Geſellſchaft, ſodaß z. B. die niedern Stände Deutſchlands von denen Frankreichs und Englands in der Tracht nicht mehr abweichen als die höhe- ren dieſer Länder. Und in noch viel geringerem Maße unter- ſcheiden ſich in jedem Lande für ſich die Bewohner der einzel- nen Provinzen oder Gegenden von einander, ſodaß von einer eigentlichen Volkstracht im ganzen Mittelalter nicht die Rede ſein kann. Das ändert ſich aber im ſechszehnten Jahrhundert, indem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0026" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> Grenzen einen ihm eigenthümlichen Charakter aufgedrückt. Es<lb/> iſt daher ebenſowohl möglich für ein jedes Coſtüm nach dem all-<lb/> gemeinen Charakter die Zeit ſeiner wirklichen Exiſtenz zu beſtim-<lb/> men, wie an den Beſonderheiten Land und Volk, dem es ange-<lb/> hört, zu unterſcheiden. Dieſe Gleichheit und Verſchiedenheit der<lb/> Kleidung zugleich theilen alle Claſſen der Geſellſchaft, ſodaß<lb/> z. B. die niedern Stände Deutſchlands von denen Frankreichs<lb/> und Englands in der Tracht nicht mehr abweichen als die höhe-<lb/> ren dieſer Länder. Und in noch viel geringerem Maße unter-<lb/> ſcheiden ſich in jedem Lande für ſich die Bewohner der einzel-<lb/> nen Provinzen oder Gegenden von einander, ſodaß von einer<lb/> eigentlichen Volkstracht im ganzen Mittelalter nicht die Rede<lb/> ſein kann.</p><lb/> <p>Das ändert ſich aber im ſechszehnten Jahrhundert, indem<lb/> einerſeits die nationalen Unterſchiede verſchwinden, dagegen die<lb/> provinziellen und localen ſich zur feſten Volkstracht ausbilden.<lb/> Anfangs ſchien es, als ob bei dem grundverſchiedenen Ausgange,<lb/> welchen die großen Bewegungen in den einzelnen Ländern nah-<lb/> men, ſich wirklich nationale, die ganzen Völker kennbar ſcheidende<lb/> Trachtenformen herausbilden ſollten, allein wir ſehen bald, wie<lb/> diejenigen eines einzigen Volks als Mode die unbedingte Herr-<lb/> ſchaft übernehmen und die civiliſirte Welt des chriſtlichen Abend-<lb/> landes ſich autokratiſch unterwerfen. Das hatte zwei Urſachen.<lb/> Einmal verlöſcht unter der allgemeinen Erſtarrung bei dem Aus-<lb/> ſterben mittelalterlicher unbefangener Lebensluſt und Fröhlichkeit<lb/> die im Volk liegende Triebkraft zu neuer Trachtenbildung, und<lb/> zweitens wurde durch die immer näheren und innigeren Wechſel-<lb/> beziehungen der Völker, ſowie durch die Verſchmelzung der Stände<lb/> die Bildung mehr und mehr ausgeglichen und erhielt einen uni-<lb/> verſaliſtiſchen Charakter: wie ſie in der That eine gleiche wurde,<lb/> mußte ſie auch ein gleiches Kleid tragen. Wir ſehen daher in<lb/> der ganzen gebildeten Welt, ſoweit ſie der Mode folgt, ſeit der<lb/> Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts die nationalen Unterſchiede<lb/> verſchwinden, bis Ludwig <hi rendition="#aq">XIV.</hi>, der Schöpfer des franzöſiſchen<lb/> Hofweſens und des franzöſiſchen Abſolutismus, auf Jahrhun-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0026]
III. Die Neuzeit.
Grenzen einen ihm eigenthümlichen Charakter aufgedrückt. Es
iſt daher ebenſowohl möglich für ein jedes Coſtüm nach dem all-
gemeinen Charakter die Zeit ſeiner wirklichen Exiſtenz zu beſtim-
men, wie an den Beſonderheiten Land und Volk, dem es ange-
hört, zu unterſcheiden. Dieſe Gleichheit und Verſchiedenheit der
Kleidung zugleich theilen alle Claſſen der Geſellſchaft, ſodaß
z. B. die niedern Stände Deutſchlands von denen Frankreichs
und Englands in der Tracht nicht mehr abweichen als die höhe-
ren dieſer Länder. Und in noch viel geringerem Maße unter-
ſcheiden ſich in jedem Lande für ſich die Bewohner der einzel-
nen Provinzen oder Gegenden von einander, ſodaß von einer
eigentlichen Volkstracht im ganzen Mittelalter nicht die Rede
ſein kann.
Das ändert ſich aber im ſechszehnten Jahrhundert, indem
einerſeits die nationalen Unterſchiede verſchwinden, dagegen die
provinziellen und localen ſich zur feſten Volkstracht ausbilden.
Anfangs ſchien es, als ob bei dem grundverſchiedenen Ausgange,
welchen die großen Bewegungen in den einzelnen Ländern nah-
men, ſich wirklich nationale, die ganzen Völker kennbar ſcheidende
Trachtenformen herausbilden ſollten, allein wir ſehen bald, wie
diejenigen eines einzigen Volks als Mode die unbedingte Herr-
ſchaft übernehmen und die civiliſirte Welt des chriſtlichen Abend-
landes ſich autokratiſch unterwerfen. Das hatte zwei Urſachen.
Einmal verlöſcht unter der allgemeinen Erſtarrung bei dem Aus-
ſterben mittelalterlicher unbefangener Lebensluſt und Fröhlichkeit
die im Volk liegende Triebkraft zu neuer Trachtenbildung, und
zweitens wurde durch die immer näheren und innigeren Wechſel-
beziehungen der Völker, ſowie durch die Verſchmelzung der Stände
die Bildung mehr und mehr ausgeglichen und erhielt einen uni-
verſaliſtiſchen Charakter: wie ſie in der That eine gleiche wurde,
mußte ſie auch ein gleiches Kleid tragen. Wir ſehen daher in
der ganzen gebildeten Welt, ſoweit ſie der Mode folgt, ſeit der
Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts die nationalen Unterſchiede
verſchwinden, bis Ludwig XIV., der Schöpfer des franzöſiſchen
Hofweſens und des franzöſiſchen Abſolutismus, auf Jahrhun-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |