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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
die vorstehende überragte. Madame de Fontanges war es, die
schöne aber geistlose Maitresse Ludwigs XIV. (gestorben 1681),
welche als Taufpathin dieser Haube dient, weil sie einst auf der
Jagd zum Schutz gegen die Sonne den Kopf in ähnlicher Weise
mit Laub überbaut hatte. In Amaranthes Frauenzimmerlexikon
(1715) ist die Beschreibung folgende: "Fontange oder Aufsatz
ist ein von weißen Spitzen oder Flor über einen absonderlich
dazu gebogenen und umwundenen Draht in die Höhe gethürmte
und faltenweise über einander gesteckte Haube, zwei-, drei-, oder
vierfach hinter einander aufgezogen, um die Ohren herum abge-
schlagen, gefältelt und mit geknüpften Bandschleifen von aller-
hand Couleur sowohl von vorn als hinten gezieret und beflecket.
Die gehörigen Theile dazu, woraus die Fontange geknüpft und
zusammengestecket wird, sind der Haubendraht, die Commode,
das Nest von Draht, der Teller darüber, die Pavillote und das
Band." In vollendeter Form erhob sich dieses Gebäude wenig-
stens anderthalb Kopflängen über dem Scheitel.

Mit reißender Schnelligkeit verbreitete sich die Fontange
gleich der Perrücke durch die Länder, ergriff von allen weiblichen
Köpfen Besitz, die nur irgend darauf Anspruch machten mit der
Mode zu gehen, und behauptete sich in dieser Eroberung über
ein Menschenalter.

"Wat schall ick van der dullen Dracht, van den Fontangen seggen,
Denu de Jungfern alltomahl ahn Underscheed anleggen?
Man legt dat Hahr up Isern Drat mit sünderlicken Flyt,
Man neiht dat Band up Isern up: O rechte Isern Tydt,
Man mackt se uther wysen hoch und hett de Maht verlahren,
Man bout hier Pyramiden up. O recht hochbeende Jahren!"

So schreibt man aus Hamburg. Aber rascher noch als die Per-
rücke erreichte die Fontange ihr Ende, als seit dem Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts das Groteske und selbst Großartige,
wie es die Glanzperiode Ludwigs XIV. gehabt hatte, mit diesem
König selber und unter der bußfertigen Frömmelei der Maintenon
dahinschwand. Schon vor dem Jahr 1710 giebt es Damen der

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
die vorſtehende überragte. Madame de Fontanges war es, die
ſchöne aber geiſtloſe Maitreſſe Ludwigs XIV. (geſtorben 1681),
welche als Taufpathin dieſer Haube dient, weil ſie einſt auf der
Jagd zum Schutz gegen die Sonne den Kopf in ähnlicher Weiſe
mit Laub überbaut hatte. In Amaranthes Frauenzimmerlexikon
(1715) iſt die Beſchreibung folgende: „Fontange oder Aufſatz
iſt ein von weißen Spitzen oder Flor über einen abſonderlich
dazu gebogenen und umwundenen Draht in die Höhe gethürmte
und faltenweiſe über einander geſteckte Haube, zwei-, drei-, oder
vierfach hinter einander aufgezogen, um die Ohren herum abge-
ſchlagen, gefältelt und mit geknüpften Bandſchleifen von aller-
hand Couleur ſowohl von vorn als hinten gezieret und beflecket.
Die gehörigen Theile dazu, woraus die Fontange geknüpft und
zuſammengeſtecket wird, ſind der Haubendraht, die Commode,
das Neſt von Draht, der Teller darüber, die Pavillote und das
Band.“ In vollendeter Form erhob ſich dieſes Gebäude wenig-
ſtens anderthalb Kopflängen über dem Scheitel.

Mit reißender Schnelligkeit verbreitete ſich die Fontange
gleich der Perrücke durch die Länder, ergriff von allen weiblichen
Köpfen Beſitz, die nur irgend darauf Anſpruch machten mit der
Mode zu gehen, und behauptete ſich in dieſer Eroberung über
ein Menſchenalter.

„Wat ſchall ick van der dullen Dracht, van den Fontangen ſeggen,
Denu de Jungfern alltomahl ahn Underſcheed anleggen?
Man legt dat Hahr up Iſern Drat mit ſünderlicken Flyt,
Man neiht dat Band up Iſern up: O rechte Iſern Tydt,
Man mackt ſe uther wyſen hoch und hett de Maht verlahren,
Man bout hier Pyramiden up. O recht hochbeende Jahren!“

So ſchreibt man aus Hamburg. Aber raſcher noch als die Per-
rücke erreichte die Fontange ihr Ende, als ſeit dem Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts das Groteske und ſelbſt Großartige,
wie es die Glanzperiode Ludwigs XIV. gehabt hatte, mit dieſem
König ſelber und unter der bußfertigen Frömmelei der Maintenon
dahinſchwand. Schon vor dem Jahr 1710 giebt es Damen der

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[245/0257] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. die vorſtehende überragte. Madame de Fontanges war es, die ſchöne aber geiſtloſe Maitreſſe Ludwigs XIV. (geſtorben 1681), welche als Taufpathin dieſer Haube dient, weil ſie einſt auf der Jagd zum Schutz gegen die Sonne den Kopf in ähnlicher Weiſe mit Laub überbaut hatte. In Amaranthes Frauenzimmerlexikon (1715) iſt die Beſchreibung folgende: „Fontange oder Aufſatz iſt ein von weißen Spitzen oder Flor über einen abſonderlich dazu gebogenen und umwundenen Draht in die Höhe gethürmte und faltenweiſe über einander geſteckte Haube, zwei-, drei-, oder vierfach hinter einander aufgezogen, um die Ohren herum abge- ſchlagen, gefältelt und mit geknüpften Bandſchleifen von aller- hand Couleur ſowohl von vorn als hinten gezieret und beflecket. Die gehörigen Theile dazu, woraus die Fontange geknüpft und zuſammengeſtecket wird, ſind der Haubendraht, die Commode, das Neſt von Draht, der Teller darüber, die Pavillote und das Band.“ In vollendeter Form erhob ſich dieſes Gebäude wenig- ſtens anderthalb Kopflängen über dem Scheitel. Mit reißender Schnelligkeit verbreitete ſich die Fontange gleich der Perrücke durch die Länder, ergriff von allen weiblichen Köpfen Beſitz, die nur irgend darauf Anſpruch machten mit der Mode zu gehen, und behauptete ſich in dieſer Eroberung über ein Menſchenalter. „Wat ſchall ick van der dullen Dracht, van den Fontangen ſeggen, Denu de Jungfern alltomahl ahn Underſcheed anleggen? Man legt dat Hahr up Iſern Drat mit ſünderlicken Flyt, Man neiht dat Band up Iſern up: O rechte Iſern Tydt, Man mackt ſe uther wyſen hoch und hett de Maht verlahren, Man bout hier Pyramiden up. O recht hochbeende Jahren!“ So ſchreibt man aus Hamburg. Aber raſcher noch als die Per- rücke erreichte die Fontange ihr Ende, als ſeit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts das Groteske und ſelbſt Großartige, wie es die Glanzperiode Ludwigs XIV. gehabt hatte, mit dieſem König ſelber und unter der bußfertigen Frömmelei der Maintenon dahinſchwand. Schon vor dem Jahr 1710 giebt es Damen der

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/257>, abgerufen am 24.11.2024.