dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte dieser Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung und Zwang einzuführen.
Am interessantesten in diesem Sinne ist die Ausbildung der Kopftracht, die sich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig entgegengesetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Gestalt verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und rückte langsam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Nest geschlungen wurde, während die Seitenlocken sich verkürzten zu dünnen, regel- rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar sich wulstig in die Höhe bauschte. Mit leichtem Schmuck versehen, ist das die Art, wie sie dem Uebergangscostüm bis etwa 1670 angehört; wir können sie auf allen Thronen und überall in der modischen Gesellschaft erblicken.
Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben zu frisiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens- und Gesellschaftsformen sich versteifen, mögen auch die Sitten lockrer werden. Immer mehr drängt die Frisur nach oben, und auf der nächsten Stufe legt sie sich mit kleinen, künstlich herge- stellten Löckchen in absichtlicher, scheinbarer Verwirrung -- der Uebergangsform der Perrücke entsprechend -- um den Kopf. Nun tritt die Neigung zum Grandiosen auf, aber statt gleich den Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfrisur in die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der Männerwelt Verzicht geleistet werden konnte, wurde nach Mög- lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri- gen Stoffen so erhalten; allein, obwohl man nicht selten fremde Haare hineinflocht, so genügte das doch nicht: man brachte bunte Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un- geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen, welches das Haarnest im Nacken umfaßte; von diesem aus thürmte sich ein complicirtes Drahtgestell empor mit klarem weißen Stoff überspannt und buntfarbigen Bandschleifen dazwischen, terrassenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer
III. Die Neuzeit.
dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte dieſer Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung und Zwang einzuführen.
Am intereſſanteſten in dieſem Sinne iſt die Ausbildung der Kopftracht, die ſich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig entgegengeſetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Geſtalt verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und rückte langſam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Neſt geſchlungen wurde, während die Seitenlocken ſich verkürzten zu dünnen, regel- rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar ſich wulſtig in die Höhe bauſchte. Mit leichtem Schmuck verſehen, iſt das die Art, wie ſie dem Uebergangscoſtüm bis etwa 1670 angehört; wir können ſie auf allen Thronen und überall in der modiſchen Geſellſchaft erblicken.
Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben zu friſiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens- und Geſellſchaftsformen ſich verſteifen, mögen auch die Sitten lockrer werden. Immer mehr drängt die Friſur nach oben, und auf der nächſten Stufe legt ſie ſich mit kleinen, künſtlich herge- ſtellten Löckchen in abſichtlicher, ſcheinbarer Verwirrung — der Uebergangsform der Perrücke entſprechend — um den Kopf. Nun tritt die Neigung zum Grandioſen auf, aber ſtatt gleich den Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfriſur in die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der Männerwelt Verzicht geleiſtet werden konnte, wurde nach Mög- lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri- gen Stoffen ſo erhalten; allein, obwohl man nicht ſelten fremde Haare hineinflocht, ſo genügte das doch nicht: man brachte bunte Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un- geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen, welches das Haarneſt im Nacken umfaßte; von dieſem aus thürmte ſich ein complicirtes Drahtgeſtell empor mit klarem weißen Stoff überſpannt und buntfarbigen Bandſchleifen dazwiſchen, terraſſenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer
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III. Die Neuzeit.
dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte
dieſer Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung
und Zwang einzuführen.
Am intereſſanteſten in dieſem Sinne iſt die Ausbildung der
Kopftracht, die ſich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig
entgegengeſetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Geſtalt
verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und
rückte langſam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten
heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Neſt geſchlungen
wurde, während die Seitenlocken ſich verkürzten zu dünnen, regel-
rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar ſich
wulſtig in die Höhe bauſchte. Mit leichtem Schmuck verſehen,
iſt das die Art, wie ſie dem Uebergangscoſtüm bis etwa 1670
angehört; wir können ſie auf allen Thronen und überall in der
modiſchen Geſellſchaft erblicken.
Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben
zu friſiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens-
und Geſellſchaftsformen ſich verſteifen, mögen auch die Sitten
lockrer werden. Immer mehr drängt die Friſur nach oben, und
auf der nächſten Stufe legt ſie ſich mit kleinen, künſtlich herge-
ſtellten Löckchen in abſichtlicher, ſcheinbarer Verwirrung — der
Uebergangsform der Perrücke entſprechend — um den Kopf.
Nun tritt die Neigung zum Grandioſen auf, aber ſtatt gleich den
Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfriſur in
die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der
Männerwelt Verzicht geleiſtet werden konnte, wurde nach Mög-
lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri-
gen Stoffen ſo erhalten; allein, obwohl man nicht ſelten fremde
Haare hineinflocht, ſo genügte das doch nicht: man brachte bunte
Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un-
geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen,
welches das Haarneſt im Nacken umfaßte; von dieſem aus thürmte
ſich ein complicirtes Drahtgeſtell empor mit klarem weißen
Stoff überſpannt und buntfarbigen Bandſchleifen dazwiſchen,
terraſſenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/256>, abgerufen am 28.07.2024.
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