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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
und selbst unnatürliche Formen sich wieder auflegen läßt. Wir
werden sehen, wie sich seit der Mitte des Jahrhunderts mit dem
siegreichen Vordringen Spaniens in Politik, Religion und Sitte
ein kalter, ertödtender Hauch über das noch blühende Leben legt,
die Gemüther erschreckt, die bunte Trachtenwelt aber entfärbt und
des leichten Schmuckes entkleidet. Das Leben wird steif und
starr, stirbt langsam ab oder verpuppt sich wie die Raupe in die
harte Schale, des neuen Frühlings harrend. Dieser kam zwar
mit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in einer Art von
erneuertem Naturalismus, aber sein Gegenstoß war wohl wir-
kungsvoll, vermochte jedoch nicht ganz die Menschheit wieder in
die verlorne Bahn zurückzureißen. Was diesen Naturalismus
auf den Gipfel hob, der dreißigjährige Krieg, stürzte ihn auch
wieder, und aufs Neue fesselt Erstarrung, Verknöcherung die
todesmüden Geister, selbst als unter Ludwig XIV. und der Herr-
schaft der Staatsperrücke neue pomphafte und anspruchsvoll stolze
Formen sich gebildet haben. Dann kommt im achtzehnten Jahr-
hundert mit Puder und Zopf die Zeit des Winterschlafes, bis
der Sturm der Revolution, gleich der Aequinoctionalzeit vor dem
Frühling den Puderschnee verweht und die Bande des Zopfes
zerreißt.

Wir werden aber noch von einer andern Seite, freilich nur
andeutungsweise, die Geschichte des Costüms zu betrachten ha-
ben. Bis hierher haben wir gesehen, wie das ganze Mittelalter
hindurch die Kleidung unter den Völkern der abendländischen
Christenheit keineswegs bedeutende Verschiedenheiten an sich
trug, sondern gleichmäßig dem allgemeinen Gange der Cultur
gefolgt ist. Demgemäß hat sie uns zu derselben Zeit immer den
gleichen Charakter gezeigt, wie sich auch bereits directe Einflüsse
der Mode von hierher und dorther und selbst von Deutschland
nach andern Ländern hin nachweisen ließen. Dennoch hatte ein
jedes Volk, wie es nach Ursprung und Geschichte besonders ge-
artet war, und wie die Momente der Cultur und die großen
Weltereignisse unter verschiedenen Bedingungen an dasselbe her-
antraten, der jedeswaligen Tracht und Mode innerhalb gewisser

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
und ſelbſt unnatürliche Formen ſich wieder auflegen läßt. Wir
werden ſehen, wie ſich ſeit der Mitte des Jahrhunderts mit dem
ſiegreichen Vordringen Spaniens in Politik, Religion und Sitte
ein kalter, ertödtender Hauch über das noch blühende Leben legt,
die Gemüther erſchreckt, die bunte Trachtenwelt aber entfärbt und
des leichten Schmuckes entkleidet. Das Leben wird ſteif und
ſtarr, ſtirbt langſam ab oder verpuppt ſich wie die Raupe in die
harte Schale, des neuen Frühlings harrend. Dieſer kam zwar
mit dem Beginn des ſiebzehnten Jahrhunderts in einer Art von
erneuertem Naturalismus, aber ſein Gegenſtoß war wohl wir-
kungsvoll, vermochte jedoch nicht ganz die Menſchheit wieder in
die verlorne Bahn zurückzureißen. Was dieſen Naturalismus
auf den Gipfel hob, der dreißigjährige Krieg, ſtürzte ihn auch
wieder, und aufs Neue feſſelt Erſtarrung, Verknöcherung die
todesmüden Geiſter, ſelbſt als unter Ludwig XIV. und der Herr-
ſchaft der Staatsperrücke neue pomphafte und anſpruchsvoll ſtolze
Formen ſich gebildet haben. Dann kommt im achtzehnten Jahr-
hundert mit Puder und Zopf die Zeit des Winterſchlafes, bis
der Sturm der Revolution, gleich der Aequinoctionalzeit vor dem
Frühling den Puderſchnee verweht und die Bande des Zopfes
zerreißt.

Wir werden aber noch von einer andern Seite, freilich nur
andeutungsweiſe, die Geſchichte des Coſtüms zu betrachten ha-
ben. Bis hierher haben wir geſehen, wie das ganze Mittelalter
hindurch die Kleidung unter den Völkern der abendländiſchen
Chriſtenheit keineswegs bedeutende Verſchiedenheiten an ſich
trug, ſondern gleichmäßig dem allgemeinen Gange der Cultur
gefolgt iſt. Demgemäß hat ſie uns zu derſelben Zeit immer den
gleichen Charakter gezeigt, wie ſich auch bereits directe Einflüſſe
der Mode von hierher und dorther und ſelbſt von Deutſchland
nach andern Ländern hin nachweiſen ließen. Dennoch hatte ein
jedes Volk, wie es nach Urſprung und Geſchichte beſonders ge-
artet war, und wie die Momente der Cultur und die großen
Weltereigniſſe unter verſchiedenen Bedingungen an daſſelbe her-
antraten, der jedeswaligen Tracht und Mode innerhalb gewiſſer

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[13/0025] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. und ſelbſt unnatürliche Formen ſich wieder auflegen läßt. Wir werden ſehen, wie ſich ſeit der Mitte des Jahrhunderts mit dem ſiegreichen Vordringen Spaniens in Politik, Religion und Sitte ein kalter, ertödtender Hauch über das noch blühende Leben legt, die Gemüther erſchreckt, die bunte Trachtenwelt aber entfärbt und des leichten Schmuckes entkleidet. Das Leben wird ſteif und ſtarr, ſtirbt langſam ab oder verpuppt ſich wie die Raupe in die harte Schale, des neuen Frühlings harrend. Dieſer kam zwar mit dem Beginn des ſiebzehnten Jahrhunderts in einer Art von erneuertem Naturalismus, aber ſein Gegenſtoß war wohl wir- kungsvoll, vermochte jedoch nicht ganz die Menſchheit wieder in die verlorne Bahn zurückzureißen. Was dieſen Naturalismus auf den Gipfel hob, der dreißigjährige Krieg, ſtürzte ihn auch wieder, und aufs Neue feſſelt Erſtarrung, Verknöcherung die todesmüden Geiſter, ſelbſt als unter Ludwig XIV. und der Herr- ſchaft der Staatsperrücke neue pomphafte und anſpruchsvoll ſtolze Formen ſich gebildet haben. Dann kommt im achtzehnten Jahr- hundert mit Puder und Zopf die Zeit des Winterſchlafes, bis der Sturm der Revolution, gleich der Aequinoctionalzeit vor dem Frühling den Puderſchnee verweht und die Bande des Zopfes zerreißt. Wir werden aber noch von einer andern Seite, freilich nur andeutungsweiſe, die Geſchichte des Coſtüms zu betrachten ha- ben. Bis hierher haben wir geſehen, wie das ganze Mittelalter hindurch die Kleidung unter den Völkern der abendländiſchen Chriſtenheit keineswegs bedeutende Verſchiedenheiten an ſich trug, ſondern gleichmäßig dem allgemeinen Gange der Cultur gefolgt iſt. Demgemäß hat ſie uns zu derſelben Zeit immer den gleichen Charakter gezeigt, wie ſich auch bereits directe Einflüſſe der Mode von hierher und dorther und ſelbſt von Deutſchland nach andern Ländern hin nachweiſen ließen. Dennoch hatte ein jedes Volk, wie es nach Urſprung und Geſchichte beſonders ge- artet war, und wie die Momente der Cultur und die großen Weltereigniſſe unter verſchiedenen Bedingungen an daſſelbe her- antraten, der jedeswaligen Tracht und Mode innerhalb gewiſſer

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/25>, abgerufen am 23.11.2024.