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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
dern starb langsam, sehr langsam ab, was sich in der allmähligen
Abnahme des Grandiosen ausspricht. Nicht ohne inneren Zu-
sammenhang hielt besonders der Gelehrtenstand mit Zähigkeit an
ihr fest, denn sie war so recht das Symbol jener aufgeblasenen
Pedanterie, die damals in höchster Blüthe stand, jener Fülle der
Polyhistorie, die sich nur ordnungslos über den Gegenstand
"verbreitete", nicht aber ihn in seiner Tiefe und Wesenheit er-
faßte.

Das Zusammenbinden der herabfallenden Haarmassen oder
auch das Zusammenschlagen in einen Knoten, welcher auf der
Schulter auflag -- von beiden geben die Portraits zahlreiche
Beispiele -- tritt gleichzeitig mit dem oben erwähnten Sinken
und Verflachen des Scheitels ein. Bald nahm man die franzö-
sische Sitte an, band den Zopf der Perrücke mit einer zierlichen
Schleife oder steckte ihn zugleich in den mit der Zeit kleiner ge-
wordenen Haarbeutel, eine Sitte, welche gegen die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts in der civilen Welt ziemlich allgemein
wurde. Die noch übrig gebliebenen Locken der Perrücke wurden
steifer und geordneter, und ungefähr von den Schultern an --
bis soweit gingen sie damals noch herunter -- schichteten sie sich
in regelmäßigen horizontalen Rollen über einander bis gegen die
Höhe des Kopfes hinauf, welche eine platte Fläche geworden
war. Das war die Form um das Jahr 1750. Die weitere Er-
starrung giebt sich darin zu erkennen, daß die Lockenrollen von
den Schultern aufwärts zurückweichen und endlich, als Gesell-
schafter von Zopf oder Haarbeutel, nur eine oder zwei über dem
Ohre sitzen bleiben; sie heißen in der zierlichen Ausdrucksweise
jener Zeit ailes de pigeon, Taubenflügel. Aber da wo die Per-
rücke das Gesicht umgrenzt, wurde das Haar in einen runden
Wulst zurückgestrichen, daß es in sanft gebogener, aber scharfer
Linie das Gesicht schneeweiß umrahmte; denn nunmehr war der
Puder unausweichliche Regel geworden. Diese Linie hieß die
Vergette; sie in vollendeter Schönheit herzustellen, war die
höchste Aufgabe des Friseurs jener Zeit. Gering war sie nicht,
und die Bequemlichkeit hatte ebenfalls nichts gewonnen. Denn

III. Die Neuzeit.
dern ſtarb langſam, ſehr langſam ab, was ſich in der allmähligen
Abnahme des Grandioſen ausſpricht. Nicht ohne inneren Zu-
ſammenhang hielt beſonders der Gelehrtenſtand mit Zähigkeit an
ihr feſt, denn ſie war ſo recht das Symbol jener aufgeblaſenen
Pedanterie, die damals in höchſter Blüthe ſtand, jener Fülle der
Polyhiſtorie, die ſich nur ordnungslos über den Gegenſtand
„verbreitete“, nicht aber ihn in ſeiner Tiefe und Weſenheit er-
faßte.

Das Zuſammenbinden der herabfallenden Haarmaſſen oder
auch das Zuſammenſchlagen in einen Knoten, welcher auf der
Schulter auflag — von beiden geben die Portraits zahlreiche
Beiſpiele — tritt gleichzeitig mit dem oben erwähnten Sinken
und Verflachen des Scheitels ein. Bald nahm man die franzö-
ſiſche Sitte an, band den Zopf der Perrücke mit einer zierlichen
Schleife oder ſteckte ihn zugleich in den mit der Zeit kleiner ge-
wordenen Haarbeutel, eine Sitte, welche gegen die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts in der civilen Welt ziemlich allgemein
wurde. Die noch übrig gebliebenen Locken der Perrücke wurden
ſteifer und geordneter, und ungefähr von den Schultern an —
bis ſoweit gingen ſie damals noch herunter — ſchichteten ſie ſich
in regelmäßigen horizontalen Rollen über einander bis gegen die
Höhe des Kopfes hinauf, welche eine platte Fläche geworden
war. Das war die Form um das Jahr 1750. Die weitere Er-
ſtarrung giebt ſich darin zu erkennen, daß die Lockenrollen von
den Schultern aufwärts zurückweichen und endlich, als Geſell-
ſchafter von Zopf oder Haarbeutel, nur eine oder zwei über dem
Ohre ſitzen bleiben; ſie heißen in der zierlichen Ausdrucksweiſe
jener Zeit ailes de pigeon, Taubenflügel. Aber da wo die Per-
rücke das Geſicht umgrenzt, wurde das Haar in einen runden
Wulſt zurückgeſtrichen, daß es in ſanft gebogener, aber ſcharfer
Linie das Geſicht ſchneeweiß umrahmte; denn nunmehr war der
Puder unausweichliche Regel geworden. Dieſe Linie hieß die
Vergette; ſie in vollendeter Schönheit herzuſtellen, war die
höchſte Aufgabe des Friſeurs jener Zeit. Gering war ſie nicht,
und die Bequemlichkeit hatte ebenfalls nichts gewonnen. Denn

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[236/0248] III. Die Neuzeit. dern ſtarb langſam, ſehr langſam ab, was ſich in der allmähligen Abnahme des Grandioſen ausſpricht. Nicht ohne inneren Zu- ſammenhang hielt beſonders der Gelehrtenſtand mit Zähigkeit an ihr feſt, denn ſie war ſo recht das Symbol jener aufgeblaſenen Pedanterie, die damals in höchſter Blüthe ſtand, jener Fülle der Polyhiſtorie, die ſich nur ordnungslos über den Gegenſtand „verbreitete“, nicht aber ihn in ſeiner Tiefe und Weſenheit er- faßte. Das Zuſammenbinden der herabfallenden Haarmaſſen oder auch das Zuſammenſchlagen in einen Knoten, welcher auf der Schulter auflag — von beiden geben die Portraits zahlreiche Beiſpiele — tritt gleichzeitig mit dem oben erwähnten Sinken und Verflachen des Scheitels ein. Bald nahm man die franzö- ſiſche Sitte an, band den Zopf der Perrücke mit einer zierlichen Schleife oder ſteckte ihn zugleich in den mit der Zeit kleiner ge- wordenen Haarbeutel, eine Sitte, welche gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der civilen Welt ziemlich allgemein wurde. Die noch übrig gebliebenen Locken der Perrücke wurden ſteifer und geordneter, und ungefähr von den Schultern an — bis ſoweit gingen ſie damals noch herunter — ſchichteten ſie ſich in regelmäßigen horizontalen Rollen über einander bis gegen die Höhe des Kopfes hinauf, welche eine platte Fläche geworden war. Das war die Form um das Jahr 1750. Die weitere Er- ſtarrung giebt ſich darin zu erkennen, daß die Lockenrollen von den Schultern aufwärts zurückweichen und endlich, als Geſell- ſchafter von Zopf oder Haarbeutel, nur eine oder zwei über dem Ohre ſitzen bleiben; ſie heißen in der zierlichen Ausdrucksweiſe jener Zeit ailes de pigeon, Taubenflügel. Aber da wo die Per- rücke das Geſicht umgrenzt, wurde das Haar in einen runden Wulſt zurückgeſtrichen, daß es in ſanft gebogener, aber ſcharfer Linie das Geſicht ſchneeweiß umrahmte; denn nunmehr war der Puder unausweichliche Regel geworden. Dieſe Linie hieß die Vergette; ſie in vollendeter Schönheit herzuſtellen, war die höchſte Aufgabe des Friſeurs jener Zeit. Gering war ſie nicht, und die Bequemlichkeit hatte ebenfalls nichts gewonnen. Denn

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/248>, abgerufen am 24.11.2024.