Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. und letzten Eroberung festsetzte. Zwischen 1680 und 1690 don-nern noch die Predigten gegen sie; 1692 hatte der Dresdner Landtag nach langer Debatte festgestellt, daß die Geistlichen mit gutem Gewissen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger Aufwand und mehr Anstand, und zwei Jahre darauf beantwor- tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin, daß es ebensowenig sündlich sei, sich der Haare der Thiere zur Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das eigene Haar schon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete es sich, daß ein junger Candidat seine schönen schwarzen Haare abschneiden und sich eine Perrücke machen lassen mußte, weil ein Consistorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da- mit. Nun konnte die Geistlichkeit von der Perrücke nicht wieder loskommen. Sie hielt dieselbe das ganze achtzehnte Jahrhundert fest, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution schien sie verwehen zu können. Mit noch größerem Widerstand hatte die katholische Geist- III. Die Neuzeit. und letzten Eroberung feſtſetzte. Zwiſchen 1680 und 1690 don-nern noch die Predigten gegen ſie; 1692 hatte der Dresdner Landtag nach langer Debatte feſtgeſtellt, daß die Geiſtlichen mit gutem Gewiſſen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger Aufwand und mehr Anſtand, und zwei Jahre darauf beantwor- tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin, daß es ebenſowenig ſündlich ſei, ſich der Haare der Thiere zur Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das eigene Haar ſchon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete es ſich, daß ein junger Candidat ſeine ſchönen ſchwarzen Haare abſchneiden und ſich eine Perrücke machen laſſen mußte, weil ein Conſiſtorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da- mit. Nun konnte die Geiſtlichkeit von der Perrücke nicht wieder loskommen. Sie hielt dieſelbe das ganze achtzehnte Jahrhundert feſt, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution ſchien ſie verwehen zu können. Mit noch größerem Widerſtand hatte die katholiſche Geiſt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0242" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> und letzten Eroberung feſtſetzte. Zwiſchen 1680 und 1690 don-<lb/> nern noch die Predigten gegen ſie; 1692 hatte der Dresdner<lb/> Landtag nach langer Debatte feſtgeſtellt, daß die Geiſtlichen mit<lb/> gutem Gewiſſen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger<lb/> Aufwand und mehr Anſtand, und zwei Jahre darauf beantwor-<lb/> tete zu Leipzig <hi rendition="#aq">M.</hi> Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin,<lb/> daß es ebenſowenig ſündlich ſei, ſich der Haare der Thiere zur<lb/> Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der<lb/> Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das<lb/> eigene Haar ſchon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete<lb/> es ſich, daß ein junger Candidat ſeine ſchönen ſchwarzen Haare<lb/> abſchneiden und ſich eine Perrücke machen laſſen mußte, weil ein<lb/> Conſiſtorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da-<lb/> mit. Nun konnte die Geiſtlichkeit von der Perrücke nicht wieder<lb/> loskommen. Sie hielt dieſelbe das ganze achtzehnte Jahrhundert<lb/> feſt, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn<lb/> die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit<lb/> gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution ſchien<lb/> ſie verwehen zu können.</p><lb/> <p>Mit noch größerem Widerſtand hatte die katholiſche Geiſt-<lb/> lichkeit zu ringen. Daß Pariſer Abb<hi rendition="#aq">é</hi>s, die bekanntlich damals<lb/> zu den Galanten gehörten, ſchon früh ſelbſt vorangingen, wiſſen<lb/> wir bereits. Die Päpſte aber waren lange dagegen. Im Jahr<lb/> 1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in ſolcher Be-<lb/> deutung auf, daß die Prieſter darin das Meßopfer darbringen<lb/> wollten. Der Biſchof wollte die Streitfrage nicht ſelbſt ent-<lb/> ſcheiden und wandte ſich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln,<lb/> welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Prieſter in der<lb/> Perrücke Meſſe zu leſen zu den Reſervaten des Papſtes gehöre.<lb/> Der Biſchof verſprach daher alles zu thun, um dieſe Sitte in<lb/> ſeiner Diöceſe nicht aufkommen zu laſſen. Im Jahr 1693 unter-<lb/> ſagte ein päpſtlicher Erlaß den Prieſtern und Geiſtlichen das<lb/> Tragen der Perrücke gänzlich. Daſſelbe that Clemens <hi rendition="#aq">XI.</hi> 1703,<lb/> indeß ſtieß er ſchon auf ſolchen Widerſtand, daß er ſein Verbot<lb/> auf die Meßprieſter und Ordensgeiſtlichen beſchränkte. Aber<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [230/0242]
III. Die Neuzeit.
und letzten Eroberung feſtſetzte. Zwiſchen 1680 und 1690 don-
nern noch die Predigten gegen ſie; 1692 hatte der Dresdner
Landtag nach langer Debatte feſtgeſtellt, daß die Geiſtlichen mit
gutem Gewiſſen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger
Aufwand und mehr Anſtand, und zwei Jahre darauf beantwor-
tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin,
daß es ebenſowenig ſündlich ſei, ſich der Haare der Thiere zur
Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der
Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das
eigene Haar ſchon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete
es ſich, daß ein junger Candidat ſeine ſchönen ſchwarzen Haare
abſchneiden und ſich eine Perrücke machen laſſen mußte, weil ein
Conſiſtorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da-
mit. Nun konnte die Geiſtlichkeit von der Perrücke nicht wieder
loskommen. Sie hielt dieſelbe das ganze achtzehnte Jahrhundert
feſt, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn
die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit
gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution ſchien
ſie verwehen zu können.
Mit noch größerem Widerſtand hatte die katholiſche Geiſt-
lichkeit zu ringen. Daß Pariſer Abbés, die bekanntlich damals
zu den Galanten gehörten, ſchon früh ſelbſt vorangingen, wiſſen
wir bereits. Die Päpſte aber waren lange dagegen. Im Jahr
1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in ſolcher Be-
deutung auf, daß die Prieſter darin das Meßopfer darbringen
wollten. Der Biſchof wollte die Streitfrage nicht ſelbſt ent-
ſcheiden und wandte ſich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln,
welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Prieſter in der
Perrücke Meſſe zu leſen zu den Reſervaten des Papſtes gehöre.
Der Biſchof verſprach daher alles zu thun, um dieſe Sitte in
ſeiner Diöceſe nicht aufkommen zu laſſen. Im Jahr 1693 unter-
ſagte ein päpſtlicher Erlaß den Prieſtern und Geiſtlichen das
Tragen der Perrücke gänzlich. Daſſelbe that Clemens XI. 1703,
indeß ſtieß er ſchon auf ſolchen Widerſtand, daß er ſein Verbot
auf die Meßprieſter und Ordensgeiſtlichen beſchränkte. Aber
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |