4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
liche trug nicht bloß das lange Haar, sondern selbst die Per- rücke.
In Deutschland hatte man sich die Sache etwas kühler an- gesehen und nicht soviel Lärm geschlagen. Obwohl schwäbischen Geistlichen durch Synodalreceß noch im Jahr 1665 und 1668 die "stratiotisch-langen Haare" verboten wurden, gilt doch als Regel für die protestantische Geistlichkeit fast die ganze zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts hindurch ein langes, gelock- tes, doch wenig cultivirtes Eigenhaar und dazu ein feiner Schnurrbart.
Kaum aber hat das lange Haar auf den geistlichen Häup- tern den Sieg davon getragen, so bereitet die Perrücke neue Con- flicte. Von wenig Bedeutung war der Widerstand, den die Pre- diger dieser Mode überhaupt entgegenstellten; er fand gar keine Beachtung, und sie gaben ihn daher bald auf. Etwas anderes war es mit der Frage, ob ein Geistlicher die Perrücke und zwar auch bei geistlichen Handlungen tragen dürfe. Natürlich fanden sich sofort eine große Anzahl, welche gar zu gern der Mode ge- huldigt und sich ebenfalls den gelehrten, hochansehnlichen An- strich gegeben hätten, doch erreichten die Gegner wenigstens das, daß sie ein paar Jahrzehnte die Sache zurückhielten, bis der Reiz der Neuheit längst verschwunden war. Während für den Laien das Jahr 1670 als der Zeitpunkt angenommen werden muß, wo die Perrücke ein nothwendiges Anstandsstück wurde, um- flatterte sie die geweihten Häupter erst zwischen 1690 und 1700 mit ihrer Lockenfülle. Die Puritaner freilich und in Deutschland die Pietisten wollten noch lange oder überhaupt gar nichts davon wissen, und Männer wie Spener und Francke haben nie die Perrücke getragen. Doch sie blieben Ausnahmen und standen in der Opposition gegen ihre Amtsgenossen. Solche Leute bedeck- ten, wenn ihnen das Gebrechen des Alters nahe trat, das Haupt mit dem kleinen runden Sammetkäppchen, Soli Deo genannt, weil sie es nie abnahmen außer vor Gott und somit ihm allein die Ehre gaben.
Es ist wunderbar, wie rasch die Perrücke sich in dieser neuen
4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
liche trug nicht bloß das lange Haar, ſondern ſelbſt die Per- rücke.
In Deutſchland hatte man ſich die Sache etwas kühler an- geſehen und nicht ſoviel Lärm geſchlagen. Obwohl ſchwäbiſchen Geiſtlichen durch Synodalreceß noch im Jahr 1665 und 1668 die „ſtratiotiſch-langen Haare“ verboten wurden, gilt doch als Regel für die proteſtantiſche Geiſtlichkeit faſt die ganze zweite Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts hindurch ein langes, gelock- tes, doch wenig cultivirtes Eigenhaar und dazu ein feiner Schnurrbart.
Kaum aber hat das lange Haar auf den geiſtlichen Häup- tern den Sieg davon getragen, ſo bereitet die Perrücke neue Con- flicte. Von wenig Bedeutung war der Widerſtand, den die Pre- diger dieſer Mode überhaupt entgegenſtellten; er fand gar keine Beachtung, und ſie gaben ihn daher bald auf. Etwas anderes war es mit der Frage, ob ein Geiſtlicher die Perrücke und zwar auch bei geiſtlichen Handlungen tragen dürfe. Natürlich fanden ſich ſofort eine große Anzahl, welche gar zu gern der Mode ge- huldigt und ſich ebenfalls den gelehrten, hochanſehnlichen An- ſtrich gegeben hätten, doch erreichten die Gegner wenigſtens das, daß ſie ein paar Jahrzehnte die Sache zurückhielten, bis der Reiz der Neuheit längſt verſchwunden war. Während für den Laien das Jahr 1670 als der Zeitpunkt angenommen werden muß, wo die Perrücke ein nothwendiges Anſtandsſtück wurde, um- flatterte ſie die geweihten Häupter erſt zwiſchen 1690 und 1700 mit ihrer Lockenfülle. Die Puritaner freilich und in Deutſchland die Pietiſten wollten noch lange oder überhaupt gar nichts davon wiſſen, und Männer wie Spener und Francke haben nie die Perrücke getragen. Doch ſie blieben Ausnahmen und ſtanden in der Oppoſition gegen ihre Amtsgenoſſen. Solche Leute bedeck- ten, wenn ihnen das Gebrechen des Alters nahe trat, das Haupt mit dem kleinen runden Sammetkäppchen, Soli Deo genannt, weil ſie es nie abnahmen außer vor Gott und ſomit ihm allein die Ehre gaben.
Es iſt wunderbar, wie raſch die Perrücke ſich in dieſer neuen
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4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
liche trug nicht bloß das lange Haar, ſondern ſelbſt die Per-
rücke.
In Deutſchland hatte man ſich die Sache etwas kühler an-
geſehen und nicht ſoviel Lärm geſchlagen. Obwohl ſchwäbiſchen
Geiſtlichen durch Synodalreceß noch im Jahr 1665 und 1668
die „ſtratiotiſch-langen Haare“ verboten wurden, gilt doch als
Regel für die proteſtantiſche Geiſtlichkeit faſt die ganze zweite
Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts hindurch ein langes, gelock-
tes, doch wenig cultivirtes Eigenhaar und dazu ein feiner
Schnurrbart.
Kaum aber hat das lange Haar auf den geiſtlichen Häup-
tern den Sieg davon getragen, ſo bereitet die Perrücke neue Con-
flicte. Von wenig Bedeutung war der Widerſtand, den die Pre-
diger dieſer Mode überhaupt entgegenſtellten; er fand gar keine
Beachtung, und ſie gaben ihn daher bald auf. Etwas anderes
war es mit der Frage, ob ein Geiſtlicher die Perrücke und zwar
auch bei geiſtlichen Handlungen tragen dürfe. Natürlich fanden
ſich ſofort eine große Anzahl, welche gar zu gern der Mode ge-
huldigt und ſich ebenfalls den gelehrten, hochanſehnlichen An-
ſtrich gegeben hätten, doch erreichten die Gegner wenigſtens das,
daß ſie ein paar Jahrzehnte die Sache zurückhielten, bis der Reiz
der Neuheit längſt verſchwunden war. Während für den Laien
das Jahr 1670 als der Zeitpunkt angenommen werden muß,
wo die Perrücke ein nothwendiges Anſtandsſtück wurde, um-
flatterte ſie die geweihten Häupter erſt zwiſchen 1690 und 1700
mit ihrer Lockenfülle. Die Puritaner freilich und in Deutſchland
die Pietiſten wollten noch lange oder überhaupt gar nichts davon
wiſſen, und Männer wie Spener und Francke haben nie die
Perrücke getragen. Doch ſie blieben Ausnahmen und ſtanden in
der Oppoſition gegen ihre Amtsgenoſſen. Solche Leute bedeck-
ten, wenn ihnen das Gebrechen des Alters nahe trat, das Haupt
mit dem kleinen runden Sammetkäppchen, Soli Deo genannt,
weil ſie es nie abnahmen außer vor Gott und ſomit ihm allein
die Ehre gaben.
Es iſt wunderbar, wie raſch die Perrücke ſich in dieſer neuen
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/241>, abgerufen am 08.07.2024.
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