Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. Es liegt das nicht bloß an ihnen, sondern sie wird darin von derVolksmeinung unterstützt, welche das Alte und Veraltete gern für das Ehrwürdige nimmt und seine Seelsorger in solchem Aeußeren zu sehen gewohnt ist. Wir haben ein Beispiel davon an der spanischen Krause gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem langen und mit dem falschen Haar. Im Jahr 1642, also in einer Zeit, als nicht bloß die ge- III. Die Neuzeit. Es liegt das nicht bloß an ihnen, ſondern ſie wird darin von derVolksmeinung unterſtützt, welche das Alte und Veraltete gern für das Ehrwürdige nimmt und ſeine Seelſorger in ſolchem Aeußeren zu ſehen gewohnt iſt. Wir haben ein Beiſpiel davon an der ſpaniſchen Krauſe gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem langen und mit dem falſchen Haar. Im Jahr 1642, alſo in einer Zeit, als nicht bloß die ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0240" n="228"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> Es liegt das nicht bloß an ihnen, ſondern ſie wird darin von der<lb/> Volksmeinung unterſtützt, welche das Alte und Veraltete gern<lb/> für das Ehrwürdige nimmt und ſeine Seelſorger in ſolchem<lb/> Aeußeren zu ſehen gewohnt iſt. Wir haben ein Beiſpiel davon<lb/> an der ſpaniſchen Krauſe gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem<lb/> langen und mit dem falſchen Haar.</p><lb/> <p>Im Jahr 1642, alſo in einer Zeit, als nicht bloß die ge-<lb/> ſammte Laienwelt langes Haar trug, ſondern in Paris die Per-<lb/> rücke ſchon die meiſten vornehmen Häupter bedeckte, erhob ſich<lb/> in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geiſt-<lb/> lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi-<lb/> derſetzte ſich, geſtützt auf die pauliniſchen Worte in 1. Kor. <hi rendition="#aq">XI,</hi><lb/> 15: „Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre<lb/> iſt, ſo er lange Haare zeuget?“ Ein Geiſtlicher, Namens Gott-<lb/> fried Uden, ſchrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus<lb/> Poimenander in holländiſcher Sprache ein Buch: „Abſalon oder<lb/> von den Haaren“, worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten<lb/> andere bei, und unter ihnen Borſt, ein Prediger zu Dortrecht,<lb/> mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem<lb/> erſten Korintherbrief. Auch die theologiſche Facultät zu Utrecht<lb/> billigte ihre Anſicht. Verſchiedene Gegner, welche die langen<lb/> Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen<lb/> zu ſchreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den<lb/> holländiſchen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um<lb/> dieſe wichtige Frage zu entſcheiden. Noch fielen ſie ſämmtlich zu<lb/> Gunſten der alten Tracht aus, und es wurde beſchloſſen, nicht<lb/> bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforſchen,<lb/> die „Langhaarigen“, ſondern auch ihre geiſtlichen Anhänger und<lb/> und Träger, von der chriſtlichen Gemeinde auszuſchließen. In-<lb/> deß war der Eifer umſonſt und die Mühe wider den Strom zu<lb/> ſchwimmen eine vergebliche. Als ſich die heißen Köpfe ein wenig<lb/> beruhigt hatten, ſchrieb der berühmte Salmaſius einen Dialog<lb/> über dieſen Gegenſtand und bewies, daß die Beſchaffenheit des<lb/> Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver-<lb/> floſſen nur wenige Jahrzehnte, und der holländiſche Geiſt-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [228/0240]
III. Die Neuzeit.
Es liegt das nicht bloß an ihnen, ſondern ſie wird darin von der
Volksmeinung unterſtützt, welche das Alte und Veraltete gern
für das Ehrwürdige nimmt und ſeine Seelſorger in ſolchem
Aeußeren zu ſehen gewohnt iſt. Wir haben ein Beiſpiel davon
an der ſpaniſchen Krauſe gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem
langen und mit dem falſchen Haar.
Im Jahr 1642, alſo in einer Zeit, als nicht bloß die ge-
ſammte Laienwelt langes Haar trug, ſondern in Paris die Per-
rücke ſchon die meiſten vornehmen Häupter bedeckte, erhob ſich
in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geiſt-
lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi-
derſetzte ſich, geſtützt auf die pauliniſchen Worte in 1. Kor. XI,
15: „Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre
iſt, ſo er lange Haare zeuget?“ Ein Geiſtlicher, Namens Gott-
fried Uden, ſchrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus
Poimenander in holländiſcher Sprache ein Buch: „Abſalon oder
von den Haaren“, worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten
andere bei, und unter ihnen Borſt, ein Prediger zu Dortrecht,
mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem
erſten Korintherbrief. Auch die theologiſche Facultät zu Utrecht
billigte ihre Anſicht. Verſchiedene Gegner, welche die langen
Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen
zu ſchreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den
holländiſchen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um
dieſe wichtige Frage zu entſcheiden. Noch fielen ſie ſämmtlich zu
Gunſten der alten Tracht aus, und es wurde beſchloſſen, nicht
bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforſchen,
die „Langhaarigen“, ſondern auch ihre geiſtlichen Anhänger und
und Träger, von der chriſtlichen Gemeinde auszuſchließen. In-
deß war der Eifer umſonſt und die Mühe wider den Strom zu
ſchwimmen eine vergebliche. Als ſich die heißen Köpfe ein wenig
beruhigt hatten, ſchrieb der berühmte Salmaſius einen Dialog
über dieſen Gegenſtand und bewies, daß die Beſchaffenheit des
Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver-
floſſen nur wenige Jahrzehnte, und der holländiſche Geiſt-
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