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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
Im Jahr 1655 ernannte er auf einmal 48 Hofperrüquiers, und
im nächsten Jahr errichtete er eine Innung derselben, 200 an
Zahl, für die Stadt Paris und ihre Vorstädte. Das war ein
Staatsstreich, mit welchem er auf einen Schlag Frankreich die
unbedingte Herrschaft in der ganzen modischen Welt sicherte.

In Deutschland haben bis zu dieser Zeit, also bald nach der
Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, alle ehrbaren Leute wenn
auch langes, doch ihr eigenes Haar getragen; nur das bedürf-
nißvolle Alter und namentlich die stutzerhafte Jugend, deren
Augen auf Frankreich gerichtet waren, hatten vorbedeutende
Ausnahmen gemacht. Diese sind es, welche schon vor dem Ende
des Kriegs von den strafenden Worten der Altfränkischen getrof-
fen werden. Wenn wir in Anselm van Hulle's ausgezeichnetem
Werk die Portraitköpfe der deutschen Friedensgesandten mustern,
so werden wir ihnen ansehen, daß sie sämmtlich ihr eigenes Haar
tragen. Das Edict Ludwigs XIV. bezeichnet auch für Deutsch-
land den Umschwung, denn die Fürsten desselben folgten eiligst
seinem Beispiel. Bald trugen die sämmtlichen Höfe bis zum La-
quaien herab die Perrücke. Von hier verbreitete sie sich über die
ganze modische Welt vom Edelmann zum vornehmen Bürger,
zum Gelehrten und Studenten, ja in nicht seltenen Fällen bis
zum Handwerksmann. Das war geschehen, ehe noch zwei Jahr-
zehnte verflossen. Nur allein die Geistlichkeit, welche vor der
Hand auch die einzige und heftige Opposition bildete, machte noch
kurze Zeit eine Ausnahme.

Es ist der Geistlichkeit in Bezug auf die Mode immer so
gegangen und geht ihr noch heutiges Tages so, daß sie sich in
beständigem und seltsamem Streit mit derselben befindet, in
welchem sie allemal unterliegt. Anfangs widersetzt sie sich mit
der Energie, die ihr eigenthümlich ist, dem Hereindringen des
Neuen, nimmt es aber selbst an, sobald es allgemeine Tracht ge-
worden und den Geruch der Stutzerhaftigkeit verloren hat. Wenn
nun die ewig wechselnde Mode wieder über diese Form hinweg-
schreitet, so hält die Geistlichkeit daran mit derselben Zähigkeit
und Ausdauer fest, mit welcher sie dieselbe früher verdammte.

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4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
Im Jahr 1655 ernannte er auf einmal 48 Hofperrüquiers, und
im nächſten Jahr errichtete er eine Innung derſelben, 200 an
Zahl, für die Stadt Paris und ihre Vorſtädte. Das war ein
Staatsſtreich, mit welchem er auf einen Schlag Frankreich die
unbedingte Herrſchaft in der ganzen modiſchen Welt ſicherte.

In Deutſchland haben bis zu dieſer Zeit, alſo bald nach der
Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts, alle ehrbaren Leute wenn
auch langes, doch ihr eigenes Haar getragen; nur das bedürf-
nißvolle Alter und namentlich die ſtutzerhafte Jugend, deren
Augen auf Frankreich gerichtet waren, hatten vorbedeutende
Ausnahmen gemacht. Dieſe ſind es, welche ſchon vor dem Ende
des Kriegs von den ſtrafenden Worten der Altfränkiſchen getrof-
fen werden. Wenn wir in Anſelm van Hulle’s ausgezeichnetem
Werk die Portraitköpfe der deutſchen Friedensgeſandten muſtern,
ſo werden wir ihnen anſehen, daß ſie ſämmtlich ihr eigenes Haar
tragen. Das Edict Ludwigs XIV. bezeichnet auch für Deutſch-
land den Umſchwung, denn die Fürſten deſſelben folgten eiligſt
ſeinem Beiſpiel. Bald trugen die ſämmtlichen Höfe bis zum La-
quaien herab die Perrücke. Von hier verbreitete ſie ſich über die
ganze modiſche Welt vom Edelmann zum vornehmen Bürger,
zum Gelehrten und Studenten, ja in nicht ſeltenen Fällen bis
zum Handwerksmann. Das war geſchehen, ehe noch zwei Jahr-
zehnte verfloſſen. Nur allein die Geiſtlichkeit, welche vor der
Hand auch die einzige und heftige Oppoſition bildete, machte noch
kurze Zeit eine Ausnahme.

Es iſt der Geiſtlichkeit in Bezug auf die Mode immer ſo
gegangen und geht ihr noch heutiges Tages ſo, daß ſie ſich in
beſtändigem und ſeltſamem Streit mit derſelben befindet, in
welchem ſie allemal unterliegt. Anfangs widerſetzt ſie ſich mit
der Energie, die ihr eigenthümlich iſt, dem Hereindringen des
Neuen, nimmt es aber ſelbſt an, ſobald es allgemeine Tracht ge-
worden und den Geruch der Stutzerhaftigkeit verloren hat. Wenn
nun die ewig wechſelnde Mode wieder über dieſe Form hinweg-
ſchreitet, ſo hält die Geiſtlichkeit daran mit derſelben Zähigkeit
und Ausdauer feſt, mit welcher ſie dieſelbe früher verdammte.

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[227/0239] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. Im Jahr 1655 ernannte er auf einmal 48 Hofperrüquiers, und im nächſten Jahr errichtete er eine Innung derſelben, 200 an Zahl, für die Stadt Paris und ihre Vorſtädte. Das war ein Staatsſtreich, mit welchem er auf einen Schlag Frankreich die unbedingte Herrſchaft in der ganzen modiſchen Welt ſicherte. In Deutſchland haben bis zu dieſer Zeit, alſo bald nach der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts, alle ehrbaren Leute wenn auch langes, doch ihr eigenes Haar getragen; nur das bedürf- nißvolle Alter und namentlich die ſtutzerhafte Jugend, deren Augen auf Frankreich gerichtet waren, hatten vorbedeutende Ausnahmen gemacht. Dieſe ſind es, welche ſchon vor dem Ende des Kriegs von den ſtrafenden Worten der Altfränkiſchen getrof- fen werden. Wenn wir in Anſelm van Hulle’s ausgezeichnetem Werk die Portraitköpfe der deutſchen Friedensgeſandten muſtern, ſo werden wir ihnen anſehen, daß ſie ſämmtlich ihr eigenes Haar tragen. Das Edict Ludwigs XIV. bezeichnet auch für Deutſch- land den Umſchwung, denn die Fürſten deſſelben folgten eiligſt ſeinem Beiſpiel. Bald trugen die ſämmtlichen Höfe bis zum La- quaien herab die Perrücke. Von hier verbreitete ſie ſich über die ganze modiſche Welt vom Edelmann zum vornehmen Bürger, zum Gelehrten und Studenten, ja in nicht ſeltenen Fällen bis zum Handwerksmann. Das war geſchehen, ehe noch zwei Jahr- zehnte verfloſſen. Nur allein die Geiſtlichkeit, welche vor der Hand auch die einzige und heftige Oppoſition bildete, machte noch kurze Zeit eine Ausnahme. Es iſt der Geiſtlichkeit in Bezug auf die Mode immer ſo gegangen und geht ihr noch heutiges Tages ſo, daß ſie ſich in beſtändigem und ſeltſamem Streit mit derſelben befindet, in welchem ſie allemal unterliegt. Anfangs widerſetzt ſie ſich mit der Energie, die ihr eigenthümlich iſt, dem Hereindringen des Neuen, nimmt es aber ſelbſt an, ſobald es allgemeine Tracht ge- worden und den Geruch der Stutzerhaftigkeit verloren hat. Wenn nun die ewig wechſelnde Mode wieder über dieſe Form hinweg- ſchreitet, ſo hält die Geiſtlichkeit daran mit derſelben Zähigkeit und Ausdauer feſt, mit welcher ſie dieſelbe früher verdammte. 15*

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/239>, abgerufen am 27.11.2024.