Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
fernung. Wenn sich zu andern Zeiten beim Tanze die Paare
umschlingen, blieb man damals in gemessener Entfernung
oder berührte sich aufs zarteste mit den Fingerspitzen; der
ganze Tanz war eigentlich nur eine fortgesetzte Verbeugung;
beim Spaziergange, statt Arm in Arm zu gehen, reichte der Herr
den seinigen gebogen dar, und die Dame legte nur die Finger-
spitzen der linken Hand auf seine rechte. Im geselligen Verkehr
war der Wunsch der Dame Gesetz des Herrn; sie zu beleidigen,
war Verbrechen. Solche Unterwürfigkeit konnte auch zur wirkli-
chen werden, denn es ist die Zeit der Maitressenherrschaft. In
allen Zweigen des öffentlichen und privaten Lebens erkennen wir
den Einfluß, das Spiel der Frauenhände: wir finden sie thätig
in der Politik, in der Kunst, in der Wissenschaft selbst, denn die
gelehrten Frauen waren in dieser Zeit nur zu gewöhnlich; im
Hause herrschten sie ohnedies.

Aber diese Verehrung des weiblichen Geschlechts hat auch
ihre Kehrseite. Zu keiner Zeit lauteten die Artigkeiten, die Blu-
men der Galanterie zierlicher und feiner, aber zu keiner Zeit ist
auch in der oppositionellen Litteratur und von der Kanzel herab
gegen "das liebwertheste und galanteste Frauenzimmer" eine grö-
bere und rohere Sprache geführt worden. Davon ist aus einem
Buche, welches für den Kanzelgebrauch sich empfiehlt, die fol-
gende Stelle ein kleines, bescheidenes Beispiel. "Wann nun ein
solches hoffärtiges Rabenaas von ihrem Mann die Einwilligung
erhalten, ihr stinkendes Wustgewölb in einen solchen kostbaren
Zeug zu verhüllen, und einzuwicklen (dann ein in Kleidern pran-
gendes Weib ist nach Aussag des Heiligen Bernardi nichts
anders als stercus involutum, ein eingewickelter Koth), da
muß alsobald der Schneider mit einem Dutzet Gesellen auf der
Werkstatt seine flüchtige Capriolen machen" u. s. w. Die Satire
greift nicht bloß einzelne Thorheiten der Mode und der Sitte an,
sondern das ganze weibliche Geschlecht als solches, ja man stritt
sich in der Litteratur lebhaft darüber, und es scheint fast allen
Ernstes, ob die Frau überhaupt noch zum Menschengeschlecht zu
rechnen sei. Die damals wirklich über alle Begriffe von sich ein-

III. Die Neuzeit.
fernung. Wenn ſich zu andern Zeiten beim Tanze die Paare
umſchlingen, blieb man damals in gemeſſener Entfernung
oder berührte ſich aufs zarteſte mit den Fingerſpitzen; der
ganze Tanz war eigentlich nur eine fortgeſetzte Verbeugung;
beim Spaziergange, ſtatt Arm in Arm zu gehen, reichte der Herr
den ſeinigen gebogen dar, und die Dame legte nur die Finger-
ſpitzen der linken Hand auf ſeine rechte. Im geſelligen Verkehr
war der Wunſch der Dame Geſetz des Herrn; ſie zu beleidigen,
war Verbrechen. Solche Unterwürfigkeit konnte auch zur wirkli-
chen werden, denn es iſt die Zeit der Maitreſſenherrſchaft. In
allen Zweigen des öffentlichen und privaten Lebens erkennen wir
den Einfluß, das Spiel der Frauenhände: wir finden ſie thätig
in der Politik, in der Kunſt, in der Wiſſenſchaft ſelbſt, denn die
gelehrten Frauen waren in dieſer Zeit nur zu gewöhnlich; im
Hauſe herrſchten ſie ohnedies.

Aber dieſe Verehrung des weiblichen Geſchlechts hat auch
ihre Kehrſeite. Zu keiner Zeit lauteten die Artigkeiten, die Blu-
men der Galanterie zierlicher und feiner, aber zu keiner Zeit iſt
auch in der oppoſitionellen Litteratur und von der Kanzel herab
gegen „das liebwertheſte und galanteſte Frauenzimmer“ eine grö-
bere und rohere Sprache geführt worden. Davon iſt aus einem
Buche, welches für den Kanzelgebrauch ſich empfiehlt, die fol-
gende Stelle ein kleines, beſcheidenes Beiſpiel. „Wann nun ein
ſolches hoffärtiges Rabenaas von ihrem Mann die Einwilligung
erhalten, ihr ſtinkendes Wuſtgewölb in einen ſolchen koſtbaren
Zeug zu verhüllen, und einzuwicklen (dann ein in Kleidern pran-
gendes Weib iſt nach Ausſag des Heiligen Bernardi nichts
anders als stercus involutum, ein eingewickelter Koth), da
muß alſobald der Schneider mit einem Dutzet Geſellen auf der
Werkſtatt ſeine flüchtige Capriolen machen“ u. ſ. w. Die Satire
greift nicht bloß einzelne Thorheiten der Mode und der Sitte an,
ſondern das ganze weibliche Geſchlecht als ſolches, ja man ſtritt
ſich in der Litteratur lebhaft darüber, und es ſcheint faſt allen
Ernſtes, ob die Frau überhaupt noch zum Menſchengeſchlecht zu
rechnen ſei. Die damals wirklich über alle Begriffe von ſich ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
fernung. Wenn &#x017F;ich zu andern Zeiten beim Tanze die Paare<lb/>
um&#x017F;chlingen, blieb man damals in geme&#x017F;&#x017F;ener Entfernung<lb/>
oder berührte &#x017F;ich aufs zarte&#x017F;te mit den Finger&#x017F;pitzen; der<lb/>
ganze Tanz war eigentlich nur eine fortge&#x017F;etzte Verbeugung;<lb/>
beim Spaziergange, &#x017F;tatt Arm in Arm zu gehen, reichte der Herr<lb/>
den &#x017F;einigen gebogen dar, und die Dame legte nur die Finger-<lb/>
&#x017F;pitzen der linken Hand auf &#x017F;eine rechte. Im ge&#x017F;elligen Verkehr<lb/>
war der Wun&#x017F;ch der Dame Ge&#x017F;etz des Herrn; &#x017F;ie zu beleidigen,<lb/>
war Verbrechen. Solche Unterwürfigkeit konnte auch zur wirkli-<lb/>
chen werden, denn es i&#x017F;t die Zeit der Maitre&#x017F;&#x017F;enherr&#x017F;chaft. In<lb/>
allen Zweigen des öffentlichen und privaten Lebens erkennen wir<lb/>
den Einfluß, das Spiel der Frauenhände: wir finden &#x017F;ie thätig<lb/>
in der Politik, in der Kun&#x017F;t, in der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;elb&#x017F;t, denn die<lb/>
gelehrten Frauen waren in die&#x017F;er Zeit nur zu gewöhnlich; im<lb/>
Hau&#x017F;e herr&#x017F;chten &#x017F;ie ohnedies.</p><lb/>
          <p>Aber die&#x017F;e Verehrung des weiblichen Ge&#x017F;chlechts hat auch<lb/>
ihre Kehr&#x017F;eite. Zu keiner Zeit lauteten die Artigkeiten, die Blu-<lb/>
men der Galanterie zierlicher und feiner, aber zu keiner Zeit i&#x017F;t<lb/>
auch in der oppo&#x017F;itionellen Litteratur und von der Kanzel herab<lb/>
gegen &#x201E;das liebwerthe&#x017F;te und galante&#x017F;te Frauenzimmer&#x201C; eine grö-<lb/>
bere und rohere Sprache geführt worden. Davon i&#x017F;t aus einem<lb/>
Buche, welches für den Kanzelgebrauch &#x017F;ich empfiehlt, die fol-<lb/>
gende Stelle ein kleines, be&#x017F;cheidenes Bei&#x017F;piel. &#x201E;Wann nun ein<lb/>
&#x017F;olches hoffärtiges Rabenaas von ihrem Mann die Einwilligung<lb/>
erhalten, ihr &#x017F;tinkendes Wu&#x017F;tgewölb in einen &#x017F;olchen ko&#x017F;tbaren<lb/>
Zeug zu verhüllen, und einzuwicklen (dann ein in Kleidern pran-<lb/>
gendes Weib i&#x017F;t nach Aus&#x017F;ag des Heiligen Bernardi nichts<lb/>
anders als <hi rendition="#aq">stercus involutum</hi>, ein eingewickelter Koth), da<lb/>
muß al&#x017F;obald der Schneider mit einem Dutzet Ge&#x017F;ellen auf der<lb/>
Werk&#x017F;tatt &#x017F;eine flüchtige Capriolen machen&#x201C; u. &#x017F;. w. Die Satire<lb/>
greift nicht bloß einzelne Thorheiten der Mode und der Sitte an,<lb/>
&#x017F;ondern das ganze weibliche Ge&#x017F;chlecht als &#x017F;olches, ja man &#x017F;tritt<lb/>
&#x017F;ich in der Litteratur lebhaft darüber, und es &#x017F;cheint fa&#x017F;t allen<lb/>
Ern&#x017F;tes, ob die Frau überhaupt noch zum Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht zu<lb/>
rechnen &#x017F;ei. Die damals wirklich über alle Begriffe von &#x017F;ich ein-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0228] III. Die Neuzeit. fernung. Wenn ſich zu andern Zeiten beim Tanze die Paare umſchlingen, blieb man damals in gemeſſener Entfernung oder berührte ſich aufs zarteſte mit den Fingerſpitzen; der ganze Tanz war eigentlich nur eine fortgeſetzte Verbeugung; beim Spaziergange, ſtatt Arm in Arm zu gehen, reichte der Herr den ſeinigen gebogen dar, und die Dame legte nur die Finger- ſpitzen der linken Hand auf ſeine rechte. Im geſelligen Verkehr war der Wunſch der Dame Geſetz des Herrn; ſie zu beleidigen, war Verbrechen. Solche Unterwürfigkeit konnte auch zur wirkli- chen werden, denn es iſt die Zeit der Maitreſſenherrſchaft. In allen Zweigen des öffentlichen und privaten Lebens erkennen wir den Einfluß, das Spiel der Frauenhände: wir finden ſie thätig in der Politik, in der Kunſt, in der Wiſſenſchaft ſelbſt, denn die gelehrten Frauen waren in dieſer Zeit nur zu gewöhnlich; im Hauſe herrſchten ſie ohnedies. Aber dieſe Verehrung des weiblichen Geſchlechts hat auch ihre Kehrſeite. Zu keiner Zeit lauteten die Artigkeiten, die Blu- men der Galanterie zierlicher und feiner, aber zu keiner Zeit iſt auch in der oppoſitionellen Litteratur und von der Kanzel herab gegen „das liebwertheſte und galanteſte Frauenzimmer“ eine grö- bere und rohere Sprache geführt worden. Davon iſt aus einem Buche, welches für den Kanzelgebrauch ſich empfiehlt, die fol- gende Stelle ein kleines, beſcheidenes Beiſpiel. „Wann nun ein ſolches hoffärtiges Rabenaas von ihrem Mann die Einwilligung erhalten, ihr ſtinkendes Wuſtgewölb in einen ſolchen koſtbaren Zeug zu verhüllen, und einzuwicklen (dann ein in Kleidern pran- gendes Weib iſt nach Ausſag des Heiligen Bernardi nichts anders als stercus involutum, ein eingewickelter Koth), da muß alſobald der Schneider mit einem Dutzet Geſellen auf der Werkſtatt ſeine flüchtige Capriolen machen“ u. ſ. w. Die Satire greift nicht bloß einzelne Thorheiten der Mode und der Sitte an, ſondern das ganze weibliche Geſchlecht als ſolches, ja man ſtritt ſich in der Litteratur lebhaft darüber, und es ſcheint faſt allen Ernſtes, ob die Frau überhaupt noch zum Menſchengeſchlecht zu rechnen ſei. Die damals wirklich über alle Begriffe von ſich ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/228
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/228>, abgerufen am 24.11.2024.