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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
rung führen. So kommt es, daß die gesuchte und rasch entartete
Natur wieder verloren geht, und die zweite Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts gewissermaßen an das Ende des sechszehnten an-
knüpft, doch nicht ohne durch die dazwischen liegende Periode
formell völlig verändert zu sein.

Denn es sind nun eben zwei Richtungen, welche, an allen
Dingen sichtbar, nicht sowohl mit einander im Kampf zu liegen
scheinen, als sie einen gemeinsamen Charakter bilden, dessen
Wesenheit grade in diesem klaffenden Widerspruch besteht. Das
ist von der einen Seite her der Geist des Absolutismus, dessen
Wurzeln im sechszehnten Jahrhundert ruhen. Politisch offenbart
er sich als die unumschränkte fürstliche Hoheit und gipfelt in dem
bekannten Wort Ludwigs XIV.: l'etat c'est moi; social aber
erkennen wir ihn in der Verschrumpfung des fröhlichen, frischen
Lebens, in der Herrschaft leeren, erstarrten Formenwesens, in der
Etiquette, in Spießbürgerei und Philisterthum. Dem gegenüber
tritt die andere Seite, in welcher noch der Sturm des Krieges
zu brausen scheint; es ist eine Neigung zum Grotesken, sogar
Großartigen, neben Hohlheit, Aufgeblasenheit, Stolz, Eitelkeit,
Unnatur und selbst Roheit oder Abstumpfung des Gefühls.

Beide Richtungen treten im äußersten Extrem auf. Man-
gel an Maß und Maßhaltigkeit ist der Grundzug der ganzen
Periode; es gelingt nicht, zwischen beiden Seiten eine Verschmel-
zung herzustellen oder die rechte Mitte zu finden. Und man
konnte das um so weniger, als man in eitler Selbstzufriedenheit
der Einbildung lebte, mit diesen Uebertreibungen sich grade im
Besitz des Wahren und Schönen zu befinden. Dieser Ueberzeu-
gung gab man sich blindlings mit einer solchen Kraft und Aus-
schließlichkeit hin, daß ein anderer Geschmack unmöglich Gnade
finden konnte: was nicht aus diesem Geiste neu geschaffen war,
wurde unerbittlich umgewandelt, mußte sein Kleid anziehen, oder
von der Erde verschwinden. Die schonungslose Unbarmherzigkeit
des herrschenden Geschmacks riß die alten Baudenkmäler nieder
als Ueberbleibsel einer barbarischen Zeit oder baute sie um in die
eigene Form. Nicht einmal die Natur, die freie, ließ er unge-

III. Die Neuzeit.
rung führen. So kommt es, daß die geſuchte und raſch entartete
Natur wieder verloren geht, und die zweite Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts gewiſſermaßen an das Ende des ſechszehnten an-
knüpft, doch nicht ohne durch die dazwiſchen liegende Periode
formell völlig verändert zu ſein.

Denn es ſind nun eben zwei Richtungen, welche, an allen
Dingen ſichtbar, nicht ſowohl mit einander im Kampf zu liegen
ſcheinen, als ſie einen gemeinſamen Charakter bilden, deſſen
Weſenheit grade in dieſem klaffenden Widerſpruch beſteht. Das
iſt von der einen Seite her der Geiſt des Abſolutismus, deſſen
Wurzeln im ſechszehnten Jahrhundert ruhen. Politiſch offenbart
er ſich als die unumſchränkte fürſtliche Hoheit und gipfelt in dem
bekannten Wort Ludwigs XIV.: l’état c’est moi; ſocial aber
erkennen wir ihn in der Verſchrumpfung des fröhlichen, friſchen
Lebens, in der Herrſchaft leeren, erſtarrten Formenweſens, in der
Etiquette, in Spießbürgerei und Philiſterthum. Dem gegenüber
tritt die andere Seite, in welcher noch der Sturm des Krieges
zu brauſen ſcheint; es iſt eine Neigung zum Grotesken, ſogar
Großartigen, neben Hohlheit, Aufgeblaſenheit, Stolz, Eitelkeit,
Unnatur und ſelbſt Roheit oder Abſtumpfung des Gefühls.

Beide Richtungen treten im äußerſten Extrem auf. Man-
gel an Maß und Maßhaltigkeit iſt der Grundzug der ganzen
Periode; es gelingt nicht, zwiſchen beiden Seiten eine Verſchmel-
zung herzuſtellen oder die rechte Mitte zu finden. Und man
konnte das um ſo weniger, als man in eitler Selbſtzufriedenheit
der Einbildung lebte, mit dieſen Uebertreibungen ſich grade im
Beſitz des Wahren und Schönen zu befinden. Dieſer Ueberzeu-
gung gab man ſich blindlings mit einer ſolchen Kraft und Aus-
ſchließlichkeit hin, daß ein anderer Geſchmack unmöglich Gnade
finden konnte: was nicht aus dieſem Geiſte neu geſchaffen war,
wurde unerbittlich umgewandelt, mußte ſein Kleid anziehen, oder
von der Erde verſchwinden. Die ſchonungsloſe Unbarmherzigkeit
des herrſchenden Geſchmacks riß die alten Baudenkmäler nieder
als Ueberbleibſel einer barbariſchen Zeit oder baute ſie um in die
eigene Form. Nicht einmal die Natur, die freie, ließ er unge-

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[214/0226] III. Die Neuzeit. rung führen. So kommt es, daß die geſuchte und raſch entartete Natur wieder verloren geht, und die zweite Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts gewiſſermaßen an das Ende des ſechszehnten an- knüpft, doch nicht ohne durch die dazwiſchen liegende Periode formell völlig verändert zu ſein. Denn es ſind nun eben zwei Richtungen, welche, an allen Dingen ſichtbar, nicht ſowohl mit einander im Kampf zu liegen ſcheinen, als ſie einen gemeinſamen Charakter bilden, deſſen Weſenheit grade in dieſem klaffenden Widerſpruch beſteht. Das iſt von der einen Seite her der Geiſt des Abſolutismus, deſſen Wurzeln im ſechszehnten Jahrhundert ruhen. Politiſch offenbart er ſich als die unumſchränkte fürſtliche Hoheit und gipfelt in dem bekannten Wort Ludwigs XIV.: l’état c’est moi; ſocial aber erkennen wir ihn in der Verſchrumpfung des fröhlichen, friſchen Lebens, in der Herrſchaft leeren, erſtarrten Formenweſens, in der Etiquette, in Spießbürgerei und Philiſterthum. Dem gegenüber tritt die andere Seite, in welcher noch der Sturm des Krieges zu brauſen ſcheint; es iſt eine Neigung zum Grotesken, ſogar Großartigen, neben Hohlheit, Aufgeblaſenheit, Stolz, Eitelkeit, Unnatur und ſelbſt Roheit oder Abſtumpfung des Gefühls. Beide Richtungen treten im äußerſten Extrem auf. Man- gel an Maß und Maßhaltigkeit iſt der Grundzug der ganzen Periode; es gelingt nicht, zwiſchen beiden Seiten eine Verſchmel- zung herzuſtellen oder die rechte Mitte zu finden. Und man konnte das um ſo weniger, als man in eitler Selbſtzufriedenheit der Einbildung lebte, mit dieſen Uebertreibungen ſich grade im Beſitz des Wahren und Schönen zu befinden. Dieſer Ueberzeu- gung gab man ſich blindlings mit einer ſolchen Kraft und Aus- ſchließlichkeit hin, daß ein anderer Geſchmack unmöglich Gnade finden konnte: was nicht aus dieſem Geiſte neu geſchaffen war, wurde unerbittlich umgewandelt, mußte ſein Kleid anziehen, oder von der Erde verſchwinden. Die ſchonungsloſe Unbarmherzigkeit des herrſchenden Geſchmacks riß die alten Baudenkmäler nieder als Ueberbleibſel einer barbariſchen Zeit oder baute ſie um in die eigene Form. Nicht einmal die Natur, die freie, ließ er unge-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/226>, abgerufen am 24.11.2024.