3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
ordnungsmäßig aus der erzwungenen Tiefe wieder zu natürlicher Höhe herauf, in welcher sie sich auch im Allgemeinen die ganze Periode hindurch erhält.
Die Schuhe der Frauen werden selten sichtbar und haben außer größerer Feinheit nichts Unterscheidendes von denen der Männer; nur wird hier und da noch über die hohen Unterschuhe Klage geführt. Auch der Damenschuh erhält den graden Schnitt an der Spitze und hohe Absätze und wird mit Gold und Silber bestickt, mit bunten Rosetten und Schleifen hesetzt. Die klap- pernden Galoschen darunter tragen die Frauen wie die Männer.
So lange noch die wulstigen und gesteppten Aermel mit den weit gebauschten im Kampfe lagen und aus beiden sich eine ver- einigte Form gebildet hatte, welche aus breiten, aber schlaffen Wülsten bestand, so lange besaß die Frauenkleidung, namentlich vom Rücken gesehen, etwas Entstellendes, was sie nicht zur vol- len Schönheitsentfaltung kommen ließ. Als aber diese in die frei gebauschten, offenen und weit faltigen Aermel übergingen, und nun nirgends mehr Zwang, Enge oder Mißform und gro- teske Uebertreibung zu erblicken war, da hatte die Kleidung der Frauen und mit derselben ihre Haltung und Bewegung jene noble, freie Eleganz, die natürliche Grazie, den Schwung, die leichte und doch stolze Schönheit gewonnen, die uns an den Por- traits des Rubens und van Dyck so bewundernswürdig erschei- nen. Offenbar harmoniren hier wieder die Natur und die Künst- lerseelen in unüberterfflicher Weise.
Trotzdem ist nicht anzunehmen, daß die Damen jener win- digen Eitelkeit entsagt haben sollten, welche die Männer dieser Periode auszeichnet. Auf's bestimmteste versichern das die fol- genden Verse, welche noch zu jenem Stutzerlied gehören, das wir oben mitgetheilt haben:
"Die Damen halten gleich den Brauch, Daß sie herstutzen wie wir auch, In Haaren, Hut, Federn, Wämmsen, Zerhackt, zerstückt, mit langen Schößen.
3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
ordnungsmäßig aus der erzwungenen Tiefe wieder zu natürlicher Höhe herauf, in welcher ſie ſich auch im Allgemeinen die ganze Periode hindurch erhält.
Die Schuhe der Frauen werden ſelten ſichtbar und haben außer größerer Feinheit nichts Unterſcheidendes von denen der Männer; nur wird hier und da noch über die hohen Unterſchuhe Klage geführt. Auch der Damenſchuh erhält den graden Schnitt an der Spitze und hohe Abſätze und wird mit Gold und Silber beſtickt, mit bunten Roſetten und Schleifen heſetzt. Die klap- pernden Galoſchen darunter tragen die Frauen wie die Männer.
So lange noch die wulſtigen und geſteppten Aermel mit den weit gebauſchten im Kampfe lagen und aus beiden ſich eine ver- einigte Form gebildet hatte, welche aus breiten, aber ſchlaffen Wülſten beſtand, ſo lange beſaß die Frauenkleidung, namentlich vom Rücken geſehen, etwas Entſtellendes, was ſie nicht zur vol- len Schönheitsentfaltung kommen ließ. Als aber dieſe in die frei gebauſchten, offenen und weit faltigen Aermel übergingen, und nun nirgends mehr Zwang, Enge oder Mißform und gro- teske Uebertreibung zu erblicken war, da hatte die Kleidung der Frauen und mit derſelben ihre Haltung und Bewegung jene noble, freie Eleganz, die natürliche Grazie, den Schwung, die leichte und doch ſtolze Schönheit gewonnen, die uns an den Por- traits des Rubens und van Dyck ſo bewundernswürdig erſchei- nen. Offenbar harmoniren hier wieder die Natur und die Künſt- lerſeelen in unüberterfflicher Weiſe.
Trotzdem iſt nicht anzunehmen, daß die Damen jener win- digen Eitelkeit entſagt haben ſollten, welche die Männer dieſer Periode auszeichnet. Auf’s beſtimmteſte verſichern das die fol- genden Verſe, welche noch zu jenem Stutzerlied gehören, das wir oben mitgetheilt haben:
„Die Damen halten gleich den Brauch, Daß ſie herſtutzen wie wir auch, In Haaren, Hut, Federn, Wämmſen, Zerhackt, zerſtückt, mit langen Schößen.
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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
ordnungsmäßig aus der erzwungenen Tiefe wieder zu natürlicher
Höhe herauf, in welcher ſie ſich auch im Allgemeinen die ganze
Periode hindurch erhält.
Die Schuhe der Frauen werden ſelten ſichtbar und haben
außer größerer Feinheit nichts Unterſcheidendes von denen der
Männer; nur wird hier und da noch über die hohen Unterſchuhe
Klage geführt. Auch der Damenſchuh erhält den graden Schnitt
an der Spitze und hohe Abſätze und wird mit Gold und Silber
beſtickt, mit bunten Roſetten und Schleifen heſetzt. Die klap-
pernden Galoſchen darunter tragen die Frauen wie die Männer.
So lange noch die wulſtigen und geſteppten Aermel mit den
weit gebauſchten im Kampfe lagen und aus beiden ſich eine ver-
einigte Form gebildet hatte, welche aus breiten, aber ſchlaffen
Wülſten beſtand, ſo lange beſaß die Frauenkleidung, namentlich
vom Rücken geſehen, etwas Entſtellendes, was ſie nicht zur vol-
len Schönheitsentfaltung kommen ließ. Als aber dieſe in die
frei gebauſchten, offenen und weit faltigen Aermel übergingen,
und nun nirgends mehr Zwang, Enge oder Mißform und gro-
teske Uebertreibung zu erblicken war, da hatte die Kleidung der
Frauen und mit derſelben ihre Haltung und Bewegung jene
noble, freie Eleganz, die natürliche Grazie, den Schwung, die
leichte und doch ſtolze Schönheit gewonnen, die uns an den Por-
traits des Rubens und van Dyck ſo bewundernswürdig erſchei-
nen. Offenbar harmoniren hier wieder die Natur und die Künſt-
lerſeelen in unüberterfflicher Weiſe.
Trotzdem iſt nicht anzunehmen, daß die Damen jener win-
digen Eitelkeit entſagt haben ſollten, welche die Männer dieſer
Periode auszeichnet. Auf’s beſtimmteſte verſichern das die fol-
genden Verſe, welche noch zu jenem Stutzerlied gehören, das wir
oben mitgetheilt haben:
„Die Damen halten gleich den Brauch,
Daß ſie herſtutzen wie wir auch,
In Haaren, Hut, Federn, Wämmſen,
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/215>, abgerufen am 01.08.2024.
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