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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
colletirung fast der alleinige in der ganzen modischen Welt. Anfangs
noch emporstehend, gab er bald der Zeitrichtung nach und legte sich
in zackigen Spitzen um die Schultern und über den Rücken. Die
dicke Krause und sogar noch in gesteifter Form behielten nur noch
Spanier und Spanierin die ganze erste Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts hindurch, und gegen das Jahr 1640 sehen wir sie
wohl noch auf den Schultern einer alten ehrbaren Dame liegen,
die der freien Mode opponirt und an der theuren Jugenderinne-
rung festhält. Den vom Halse anfangenden schlaffen Kragen
trugen feinere Damen nur zum Schutze des Teints, häufiger
wurde er bei Bürgerfrauen und Bürgerfräulein gesehen. Der
Mode des gesteiften Scheibenkragens blieben die Damen des
österreichischen Kaiserhauses am längsten treu.

Was die Form der Decolletirung betrifft, so ließ der Aus-
schnitt des Kleides die Achseln mehr oder weniger bedeckt und
senkte sich vorn auf der Brust in einer Spitze oder Rundung her-
unter, die nicht selten so tief ging, daß sie die Brüste zur Hälfte
entblößte. Am Ende dieser Periode und im Anfang der nächsten
ändert er sich aber und läuft dann horizontal rings um Schul-
tern, Rücken und Brust. Seit dem Jahr 1620 etwa zeigen sich
auch wieder die ersten Entblößungen des Unterarms, doch sind
sie noch sehr vereinzelt; im Ganzen kündigt sich diese werdende
Mode mehr dadurch an, daß der Aermel sich am Handgelenk
lockert und ein wenig von demselben zurücktritt. Dadurch erlei-
den aber die Manschetten keine Aenderung, welche sich wie bei
den Herren genau nach dem Kragen richten.

Die übrige Kleidung der Frauen verläugnet ebensowenig
den Einfluß der Zeitrichtung. Diesem weicht zunächst, gleich der
wulstigen Ausladung an der männlichen Hüfte, der Reifrock, die
Vertugalla, an welchem nur die bürgerliche Welt noch mit einiger
Zähigkeit festzuhalten sucht. Um das Jahr 1630 haben die Röcke
wieder einen vollkommen freien Faltenwurf und legen sich mit
unbedeutender Schleppe auf den Boden. Aber die höchsten Kreise
und die großen Feste ausgenommen, liebt man nicht mehr die
schweren Stoffe, welche mit ihrer reichen Masse im funfzehnten

3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
colletirung faſt der alleinige in der ganzen modiſchen Welt. Anfangs
noch emporſtehend, gab er bald der Zeitrichtung nach und legte ſich
in zackigen Spitzen um die Schultern und über den Rücken. Die
dicke Krauſe und ſogar noch in geſteifter Form behielten nur noch
Spanier und Spanierin die ganze erſte Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts hindurch, und gegen das Jahr 1640 ſehen wir ſie
wohl noch auf den Schultern einer alten ehrbaren Dame liegen,
die der freien Mode opponirt und an der theuren Jugenderinne-
rung feſthält. Den vom Halſe anfangenden ſchlaffen Kragen
trugen feinere Damen nur zum Schutze des Teints, häufiger
wurde er bei Bürgerfrauen und Bürgerfräulein geſehen. Der
Mode des geſteiften Scheibenkragens blieben die Damen des
öſterreichiſchen Kaiſerhauſes am längſten treu.

Was die Form der Decolletirung betrifft, ſo ließ der Aus-
ſchnitt des Kleides die Achſeln mehr oder weniger bedeckt und
ſenkte ſich vorn auf der Bruſt in einer Spitze oder Rundung her-
unter, die nicht ſelten ſo tief ging, daß ſie die Brüſte zur Hälfte
entblößte. Am Ende dieſer Periode und im Anfang der nächſten
ändert er ſich aber und läuft dann horizontal rings um Schul-
tern, Rücken und Bruſt. Seit dem Jahr 1620 etwa zeigen ſich
auch wieder die erſten Entblößungen des Unterarms, doch ſind
ſie noch ſehr vereinzelt; im Ganzen kündigt ſich dieſe werdende
Mode mehr dadurch an, daß der Aermel ſich am Handgelenk
lockert und ein wenig von demſelben zurücktritt. Dadurch erlei-
den aber die Manſchetten keine Aenderung, welche ſich wie bei
den Herren genau nach dem Kragen richten.

Die übrige Kleidung der Frauen verläugnet ebenſowenig
den Einfluß der Zeitrichtung. Dieſem weicht zunächſt, gleich der
wulſtigen Ausladung an der männlichen Hüfte, der Reifrock, die
Vertugalla, an welchem nur die bürgerliche Welt noch mit einiger
Zähigkeit feſtzuhalten ſucht. Um das Jahr 1630 haben die Röcke
wieder einen vollkommen freien Faltenwurf und legen ſich mit
unbedeutender Schleppe auf den Boden. Aber die höchſten Kreiſe
und die großen Feſte ausgenommen, liebt man nicht mehr die
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[201/0213] 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. colletirung faſt der alleinige in der ganzen modiſchen Welt. Anfangs noch emporſtehend, gab er bald der Zeitrichtung nach und legte ſich in zackigen Spitzen um die Schultern und über den Rücken. Die dicke Krauſe und ſogar noch in geſteifter Form behielten nur noch Spanier und Spanierin die ganze erſte Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts hindurch, und gegen das Jahr 1640 ſehen wir ſie wohl noch auf den Schultern einer alten ehrbaren Dame liegen, die der freien Mode opponirt und an der theuren Jugenderinne- rung feſthält. Den vom Halſe anfangenden ſchlaffen Kragen trugen feinere Damen nur zum Schutze des Teints, häufiger wurde er bei Bürgerfrauen und Bürgerfräulein geſehen. Der Mode des geſteiften Scheibenkragens blieben die Damen des öſterreichiſchen Kaiſerhauſes am längſten treu. Was die Form der Decolletirung betrifft, ſo ließ der Aus- ſchnitt des Kleides die Achſeln mehr oder weniger bedeckt und ſenkte ſich vorn auf der Bruſt in einer Spitze oder Rundung her- unter, die nicht ſelten ſo tief ging, daß ſie die Brüſte zur Hälfte entblößte. Am Ende dieſer Periode und im Anfang der nächſten ändert er ſich aber und läuft dann horizontal rings um Schul- tern, Rücken und Bruſt. Seit dem Jahr 1620 etwa zeigen ſich auch wieder die erſten Entblößungen des Unterarms, doch ſind ſie noch ſehr vereinzelt; im Ganzen kündigt ſich dieſe werdende Mode mehr dadurch an, daß der Aermel ſich am Handgelenk lockert und ein wenig von demſelben zurücktritt. Dadurch erlei- den aber die Manſchetten keine Aenderung, welche ſich wie bei den Herren genau nach dem Kragen richten. Die übrige Kleidung der Frauen verläugnet ebenſowenig den Einfluß der Zeitrichtung. Dieſem weicht zunächſt, gleich der wulſtigen Ausladung an der männlichen Hüfte, der Reifrock, die Vertugalla, an welchem nur die bürgerliche Welt noch mit einiger Zähigkeit feſtzuhalten ſucht. Um das Jahr 1630 haben die Röcke wieder einen vollkommen freien Faltenwurf und legen ſich mit unbedeutender Schleppe auf den Boden. Aber die höchſten Kreiſe und die großen Feſte ausgenommen, liebt man nicht mehr die ſchweren Stoffe, welche mit ihrer reichen Maſſe im funfzehnten

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/213>, abgerufen am 24.11.2024.