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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
voller Feder. Ich erinnere hier an Rubens bekanntes Portrait:
die Dame mit dem Federhut. Dagegen ist es nicht selten, daß
sich ein kurzer Schleier oder ein dünnes, wohl meist schwarzes
Tüchlein auf das Haupt gelegt findet, welches spitzenbesetzt,
leicht und lose zurückflattert, doch nicht über den Nacken her-
unterfällt: es ist ein malerischer Schmuck, keine Verhüllung.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Locken gar bald die
steife Krause zu Fall brachten. Wir können hier wieder genau
denselben Prozeß verfolgen, wie er männlicherseits vor sich ge-
gangen ist, nur daß am Ende eine der weiblichen Welt ganz
eigenthümliche Form den Sieg davon trägt. Es legt sich die
dicke Kröse herab auf die Schultern oder sie wird durch den
drahtgestützten scheibenförmigen Spitzenkragen, das bisherige
Untergestell, ersetzt. Daß nun nicht bloß der letztere ebenfalls
schlaff herabsinkt, sondern beide fast ganz und früh verdrängt
werden, davon ist die Ursache die jetzt wieder mit Macht auftre-
tende Decolletirung. Es war die Zeit der Büßung vor-
über, die Predigten hatten ihre Kraft verloren, die "Teufel"
schreckten nicht mehr: die Welt hatte die Angst und Befangen-
heit wieder abgethan, wurde freilich auch leichtsinniger und leicht-
fertiger. So konnten auch die Frauen die peinliche Verhüllung
wieder von sich legen und sich als freie Herrinnen ihrer Schön-
heit zeigen.

Wir haben in der vorigen Periode gesehen, wie in den un-
abhängigen italienischen Staaten allein die Decolletirung nie
ganz verschwunden war, aus dem Grunde, weil die reformatori-
schen Bewegungen hier theilnahmlos vorübergezogen waren und
eben darum auch keine Reaction in den Gewissen hatte eintreten
können. So hatte sich hier, da man doch der neuen Spitzenmode
nicht entsagen konnte noch mochte, eine neue Kragenform gebil-
det, eine Spitzenkante, welche, gesteift und aufrecht stehend, am
ausgeschnittenen Saum des Leibchens befestigt war und densel-
ben ringsum begleitete. Dieser Kragen ging nun um das Jahr
1600 nach Frankreich, England, den Niederlanden und Deutsch-
land über und wurde bald mit wachsender Ausbreitung der De-

III. Die Neuzeit.
voller Feder. Ich erinnere hier an Rubens bekanntes Portrait:
die Dame mit dem Federhut. Dagegen iſt es nicht ſelten, daß
ſich ein kurzer Schleier oder ein dünnes, wohl meiſt ſchwarzes
Tüchlein auf das Haupt gelegt findet, welches ſpitzenbeſetzt,
leicht und loſe zurückflattert, doch nicht über den Nacken her-
unterfällt: es iſt ein maleriſcher Schmuck, keine Verhüllung.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Locken gar bald die
ſteife Krauſe zu Fall brachten. Wir können hier wieder genau
denſelben Prozeß verfolgen, wie er männlicherſeits vor ſich ge-
gangen iſt, nur daß am Ende eine der weiblichen Welt ganz
eigenthümliche Form den Sieg davon trägt. Es legt ſich die
dicke Kröſe herab auf die Schultern oder ſie wird durch den
drahtgeſtützten ſcheibenförmigen Spitzenkragen, das bisherige
Untergeſtell, erſetzt. Daß nun nicht bloß der letztere ebenfalls
ſchlaff herabſinkt, ſondern beide faſt ganz und früh verdrängt
werden, davon iſt die Urſache die jetzt wieder mit Macht auftre-
tende Decolletirung. Es war die Zeit der Büßung vor-
über, die Predigten hatten ihre Kraft verloren, die „Teufel“
ſchreckten nicht mehr: die Welt hatte die Angſt und Befangen-
heit wieder abgethan, wurde freilich auch leichtſinniger und leicht-
fertiger. So konnten auch die Frauen die peinliche Verhüllung
wieder von ſich legen und ſich als freie Herrinnen ihrer Schön-
heit zeigen.

Wir haben in der vorigen Periode geſehen, wie in den un-
abhängigen italieniſchen Staaten allein die Decolletirung nie
ganz verſchwunden war, aus dem Grunde, weil die reformatori-
ſchen Bewegungen hier theilnahmlos vorübergezogen waren und
eben darum auch keine Reaction in den Gewiſſen hatte eintreten
können. So hatte ſich hier, da man doch der neuen Spitzenmode
nicht entſagen konnte noch mochte, eine neue Kragenform gebil-
det, eine Spitzenkante, welche, geſteift und aufrecht ſtehend, am
ausgeſchnittenen Saum des Leibchens befeſtigt war und denſel-
ben ringsum begleitete. Dieſer Kragen ging nun um das Jahr
1600 nach Frankreich, England, den Niederlanden und Deutſch-
land über und wurde bald mit wachſender Ausbreitung der De-

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[200/0212] III. Die Neuzeit. voller Feder. Ich erinnere hier an Rubens bekanntes Portrait: die Dame mit dem Federhut. Dagegen iſt es nicht ſelten, daß ſich ein kurzer Schleier oder ein dünnes, wohl meiſt ſchwarzes Tüchlein auf das Haupt gelegt findet, welches ſpitzenbeſetzt, leicht und loſe zurückflattert, doch nicht über den Nacken her- unterfällt: es iſt ein maleriſcher Schmuck, keine Verhüllung. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Locken gar bald die ſteife Krauſe zu Fall brachten. Wir können hier wieder genau denſelben Prozeß verfolgen, wie er männlicherſeits vor ſich ge- gangen iſt, nur daß am Ende eine der weiblichen Welt ganz eigenthümliche Form den Sieg davon trägt. Es legt ſich die dicke Kröſe herab auf die Schultern oder ſie wird durch den drahtgeſtützten ſcheibenförmigen Spitzenkragen, das bisherige Untergeſtell, erſetzt. Daß nun nicht bloß der letztere ebenfalls ſchlaff herabſinkt, ſondern beide faſt ganz und früh verdrängt werden, davon iſt die Urſache die jetzt wieder mit Macht auftre- tende Decolletirung. Es war die Zeit der Büßung vor- über, die Predigten hatten ihre Kraft verloren, die „Teufel“ ſchreckten nicht mehr: die Welt hatte die Angſt und Befangen- heit wieder abgethan, wurde freilich auch leichtſinniger und leicht- fertiger. So konnten auch die Frauen die peinliche Verhüllung wieder von ſich legen und ſich als freie Herrinnen ihrer Schön- heit zeigen. Wir haben in der vorigen Periode geſehen, wie in den un- abhängigen italieniſchen Staaten allein die Decolletirung nie ganz verſchwunden war, aus dem Grunde, weil die reformatori- ſchen Bewegungen hier theilnahmlos vorübergezogen waren und eben darum auch keine Reaction in den Gewiſſen hatte eintreten können. So hatte ſich hier, da man doch der neuen Spitzenmode nicht entſagen konnte noch mochte, eine neue Kragenform gebil- det, eine Spitzenkante, welche, geſteift und aufrecht ſtehend, am ausgeſchnittenen Saum des Leibchens befeſtigt war und denſel- ben ringsum begleitete. Dieſer Kragen ging nun um das Jahr 1600 nach Frankreich, England, den Niederlanden und Deutſch- land über und wurde bald mit wachſender Ausbreitung der De-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/212>, abgerufen am 24.11.2024.