Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. als Sieger und verfolgt, renommistisch aufgeputzt und bettler-haft zerlumpt. Diese Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter "Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen, So entschuldigt die stutzerische Jugend ihr kriegerisches Aussehen.Wammesachsel, Kleid und Schoß nach der Rüstung lassen machen." Es folgten allmählig auch die Alten, sodaß wir z. B. am Ende des Kriegs bei dem Friedensschlusse zu Nürnberg die sämmtlichen Gesandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge- nerale und Obersten, in gleicher Weise gestiefelt und gespornt sehen. Vor allen aber kommt dies Unwesen an den Stutzern und 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. als Sieger und verfolgt, renommiſtiſch aufgeputzt und bettler-haft zerlumpt. Dieſe Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter „Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen, So entſchuldigt die ſtutzeriſche Jugend ihr kriegeriſches Ausſehen.Wammesachſel, Kleid und Schoß nach der Rüſtung laſſen machen.“ Es folgten allmählig auch die Alten, ſodaß wir z. B. am Ende des Kriegs bei dem Friedensſchluſſe zu Nürnberg die ſämmtlichen Geſandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge- nerale und Oberſten, in gleicher Weiſe geſtiefelt und geſpornt ſehen. Vor allen aber kommt dies Unweſen an den Stutzern und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0195" n="183"/><fw place="top" type="header">3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.</fw><lb/> als Sieger und verfolgt, renommiſtiſch aufgeputzt und bettler-<lb/> haft zerlumpt.</p><lb/> <p>Dieſe Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter<lb/> wie das ſcheue Geſindel, wurden die Vorbilder der ſtädtiſchen<lb/> Müſſiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civiliſtiſche<lb/> Welt von der ſoldatiſchen Eitelkeit und dem hohlen Scheinweſen<lb/> angeſteckt und trug ſolches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau.<lb/><lg type="poem"><l>„Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen,</l><lb/><l>Wammesachſel, Kleid und Schoß nach der Rüſtung laſſen machen.“</l></lg><lb/> So entſchuldigt die ſtutzeriſche Jugend ihr kriegeriſches Ausſehen.<lb/> Es folgten allmählig auch die Alten, ſodaß wir z. B. am Ende<lb/> des Kriegs bei dem Friedensſchluſſe zu Nürnberg die ſämmtlichen<lb/> Geſandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge-<lb/> nerale und Oberſten, in gleicher Weiſe geſtiefelt und geſpornt<lb/> ſehen.</p><lb/> <p>Vor allen aber kommt dies Unweſen an den Stutzern und<lb/> Pflaſtertretern zur Erſcheinung, die ſich jetzt wie eine geſchloſſene<lb/> Kaſte von der übrigen Menſchheit ſondern und auch von derſel-<lb/> ben alſo betrachtet werden. Man ſah ſie damals in London, wo<lb/> ſie auf der Promenade der faſhionablen Welt, dem St. Pauls-<lb/> gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach-<lb/> mittags von drei bis ſechs flanirten, während der Schneider hin-<lb/> ter dem Pfeiler lauſchte, um ſich die neue Mode zu merken; man<lb/> ſah ſie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais<lb/> royal, auf und ab ſpaziren; man konnte ſie in Deutſchland überall<lb/> in allen Städten finden. Alamode zu ſein in allen Dingen, in<lb/> Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre<lb/> Redeweiſe war ein Gemiſch von Deutſch, Franzöſiſch, Italieniſch<lb/> oder Spaniſch nebſt einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern,<lb/> die ſich mit dem Rothwelſch oder mit ſtudentiſcher Sprechweiſe<lb/> vergleichen laſſen. Nach wohldurchſchwärmter Nacht ſpät zu<lb/> Bette gegangen, ſtanden ſie ſpät wieder auf, um den Tag mit<lb/> Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, ſich in<lb/> ſchönem Putz bewundern zu laſſen und durchzubringen, was ſie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [183/0195]
3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
als Sieger und verfolgt, renommiſtiſch aufgeputzt und bettler-
haft zerlumpt.
Dieſe Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter
wie das ſcheue Geſindel, wurden die Vorbilder der ſtädtiſchen
Müſſiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civiliſtiſche
Welt von der ſoldatiſchen Eitelkeit und dem hohlen Scheinweſen
angeſteckt und trug ſolches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau.
„Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen,
Wammesachſel, Kleid und Schoß nach der Rüſtung laſſen machen.“
So entſchuldigt die ſtutzeriſche Jugend ihr kriegeriſches Ausſehen.
Es folgten allmählig auch die Alten, ſodaß wir z. B. am Ende
des Kriegs bei dem Friedensſchluſſe zu Nürnberg die ſämmtlichen
Geſandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge-
nerale und Oberſten, in gleicher Weiſe geſtiefelt und geſpornt
ſehen.
Vor allen aber kommt dies Unweſen an den Stutzern und
Pflaſtertretern zur Erſcheinung, die ſich jetzt wie eine geſchloſſene
Kaſte von der übrigen Menſchheit ſondern und auch von derſel-
ben alſo betrachtet werden. Man ſah ſie damals in London, wo
ſie auf der Promenade der faſhionablen Welt, dem St. Pauls-
gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach-
mittags von drei bis ſechs flanirten, während der Schneider hin-
ter dem Pfeiler lauſchte, um ſich die neue Mode zu merken; man
ſah ſie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais
royal, auf und ab ſpaziren; man konnte ſie in Deutſchland überall
in allen Städten finden. Alamode zu ſein in allen Dingen, in
Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre
Redeweiſe war ein Gemiſch von Deutſch, Franzöſiſch, Italieniſch
oder Spaniſch nebſt einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern,
die ſich mit dem Rothwelſch oder mit ſtudentiſcher Sprechweiſe
vergleichen laſſen. Nach wohldurchſchwärmter Nacht ſpät zu
Bette gegangen, ſtanden ſie ſpät wieder auf, um den Tag mit
Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, ſich in
ſchönem Putz bewundern zu laſſen und durchzubringen, was ſie
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