nicht tiefer als das Knie, und von den Kriegsleuten und ihren Nachahmern togaähnlich über die Schulter geschlagen oder vom zierlichen Stutzer nur an die eine Schulter gehängt, damit all der Schmuck von Spitzen, Bändern, Schleifen nicht verdeckt und verdrückt werde.
Worin sich aber am meisten und am offenbarsten die Wir- kung des Kriegs auf das Costüm ausspricht, das ist die Fuß- bekleidung. Der Civilist wie der Soldat ging mit Schuh und Strumpf ins siebzehnte Jahrhundert hinüber. Bis zu den Knöcheln heraufreichend und vorn spitz zulaufend bedeckte der Schuh den ganzen Fuß, oder wenn er oben ausgeschnitten war, so lief ein Riemen mit Schnalle um die Beugung. Aber grade als ob die gespitzten Schuhe zur steifen, die stumpfen und breiten zur freien Tracht gehörten, so wird auch jetzt wieder in der natura- listischen Zeit wie hundert Jahre früher die Spitze abgestumpft und ein grader, breiter Schnitt endigt nun den Schuh. Oben- auf sitzt eine Schleife oder seidene Bandrosette, die selbst der Soldat trägt. In dieser Gestalt behauptet der Schuh sich un- umschränkt bei Vornehm und Gering, bei Reich und Arm bis zum Beginn des Kriegs. Sowie aber die Werbetrommeln durch das weite Land ertönen und Abenteurer aller Art von Stadt und Land wie einst in landsknechtischer Zeit um die Fahnen sich sam- meln, da taucht auch der große Stiefel aus der Tiefe hervor und gelangt zum ersten Mal in der Geschichte zu hohen Ehren. Anfänglich ein Ordonnanzstück des Reitermannes, geht er auch auf das Fußvolk über, wie ihn jeder Offizier trägt, sodaß er förmlich als das charakteristische Zeichen der Kriegstracht angese- hen wird. Da nun in der drohenden Zeit sich gern jeder ein möglichst kriegerisches und wehrfähiges Aussehen geben wollte, so ging der Reiterstiefel mitsammt den rasselnden Sporen und dem breiten Spornleder auch auf die friedliche Welt, selbst die des Pariser Salons, über. Bald nach dem Jahre 1630 sehen wir die feinsten Herren damit in den Salons erscheinen oder vor den Modeläden mit ihrer Dame im Arm auf und ab flaniren. Die Deutschen brauchten nicht erst nachzufolgen, da ja der Krieg,
III. Die Neuzeit.
nicht tiefer als das Knie, und von den Kriegsleuten und ihren Nachahmern togaähnlich über die Schulter geſchlagen oder vom zierlichen Stutzer nur an die eine Schulter gehängt, damit all der Schmuck von Spitzen, Bändern, Schleifen nicht verdeckt und verdrückt werde.
Worin ſich aber am meiſten und am offenbarſten die Wir- kung des Kriegs auf das Coſtüm ausſpricht, das iſt die Fuß- bekleidung. Der Civiliſt wie der Soldat ging mit Schuh und Strumpf ins ſiebzehnte Jahrhundert hinüber. Bis zu den Knöcheln heraufreichend und vorn ſpitz zulaufend bedeckte der Schuh den ganzen Fuß, oder wenn er oben ausgeſchnitten war, ſo lief ein Riemen mit Schnalle um die Beugung. Aber grade als ob die geſpitzten Schuhe zur ſteifen, die ſtumpfen und breiten zur freien Tracht gehörten, ſo wird auch jetzt wieder in der natura- liſtiſchen Zeit wie hundert Jahre früher die Spitze abgeſtumpft und ein grader, breiter Schnitt endigt nun den Schuh. Oben- auf ſitzt eine Schleife oder ſeidene Bandroſette, die ſelbſt der Soldat trägt. In dieſer Geſtalt behauptet der Schuh ſich un- umſchränkt bei Vornehm und Gering, bei Reich und Arm bis zum Beginn des Kriegs. Sowie aber die Werbetrommeln durch das weite Land ertönen und Abenteurer aller Art von Stadt und Land wie einſt in landsknechtiſcher Zeit um die Fahnen ſich ſam- meln, da taucht auch der große Stiefel aus der Tiefe hervor und gelangt zum erſten Mal in der Geſchichte zu hohen Ehren. Anfänglich ein Ordonnanzſtück des Reitermannes, geht er auch auf das Fußvolk über, wie ihn jeder Offizier trägt, ſodaß er förmlich als das charakteriſtiſche Zeichen der Kriegstracht angeſe- hen wird. Da nun in der drohenden Zeit ſich gern jeder ein möglichſt kriegeriſches und wehrfähiges Ausſehen geben wollte, ſo ging der Reiterſtiefel mitſammt den raſſelnden Sporen und dem breiten Spornleder auch auf die friedliche Welt, ſelbſt die des Pariſer Salons, über. Bald nach dem Jahre 1630 ſehen wir die feinſten Herren damit in den Salons erſcheinen oder vor den Modeläden mit ihrer Dame im Arm auf und ab flaniren. Die Deutſchen brauchten nicht erſt nachzufolgen, da ja der Krieg,
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III. Die Neuzeit.
nicht tiefer als das Knie, und von den Kriegsleuten und ihren
Nachahmern togaähnlich über die Schulter geſchlagen oder vom
zierlichen Stutzer nur an die eine Schulter gehängt, damit all
der Schmuck von Spitzen, Bändern, Schleifen nicht verdeckt und
verdrückt werde.
Worin ſich aber am meiſten und am offenbarſten die Wir-
kung des Kriegs auf das Coſtüm ausſpricht, das iſt die Fuß-
bekleidung. Der Civiliſt wie der Soldat ging mit Schuh
und Strumpf ins ſiebzehnte Jahrhundert hinüber. Bis zu
den Knöcheln heraufreichend und vorn ſpitz zulaufend bedeckte der
Schuh den ganzen Fuß, oder wenn er oben ausgeſchnitten war,
ſo lief ein Riemen mit Schnalle um die Beugung. Aber grade
als ob die geſpitzten Schuhe zur ſteifen, die ſtumpfen und breiten
zur freien Tracht gehörten, ſo wird auch jetzt wieder in der natura-
liſtiſchen Zeit wie hundert Jahre früher die Spitze abgeſtumpft
und ein grader, breiter Schnitt endigt nun den Schuh. Oben-
auf ſitzt eine Schleife oder ſeidene Bandroſette, die ſelbſt der
Soldat trägt. In dieſer Geſtalt behauptet der Schuh ſich un-
umſchränkt bei Vornehm und Gering, bei Reich und Arm bis
zum Beginn des Kriegs. Sowie aber die Werbetrommeln durch
das weite Land ertönen und Abenteurer aller Art von Stadt und
Land wie einſt in landsknechtiſcher Zeit um die Fahnen ſich ſam-
meln, da taucht auch der große Stiefel aus der Tiefe hervor
und gelangt zum erſten Mal in der Geſchichte zu hohen Ehren.
Anfänglich ein Ordonnanzſtück des Reitermannes, geht er auch
auf das Fußvolk über, wie ihn jeder Offizier trägt, ſodaß er
förmlich als das charakteriſtiſche Zeichen der Kriegstracht angeſe-
hen wird. Da nun in der drohenden Zeit ſich gern jeder ein
möglichſt kriegeriſches und wehrfähiges Ausſehen geben wollte,
ſo ging der Reiterſtiefel mitſammt den raſſelnden Sporen und
dem breiten Spornleder auch auf die friedliche Welt, ſelbſt die
des Pariſer Salons, über. Bald nach dem Jahre 1630 ſehen
wir die feinſten Herren damit in den Salons erſcheinen oder vor
den Modeläden mit ihrer Dame im Arm auf und ab flaniren.
Die Deutſchen brauchten nicht erſt nachzufolgen, da ja der Krieg,
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/192>, abgerufen am 01.08.2024.
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