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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Schon in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts
folgen z. B. die Köpfe aller Erzbischöfe und Bischöfe, wie uns
zahlreiche Portraits lehren, mit Locken und Spitzbart der neuen
Mode, und die protestantische Geistlichkeit konnte sich später nur
unschwer wieder davon trennen.

Gleichzeitig mußte sich auch der steife Hut umwandeln,
dem der deutsche Kopf sich nicht mehr fügen wollte, obwohl eben
erst der schlaffe Filzhut des Bauern sich nach ihm geformt zu
haben schien. Dieser aber war es, welcher, praktischer für den
Kriegsgebrauch, heraufdrang und die seidenen und sammtnen
Hüte aus dem Felde schlug. Der erste Gewinn war, daß der
neue Filz sich nachgiebig um den Kopf herumschmiegte; aber die
rechte Form war nicht sobald gefunden, und man schwankte hin
und her zwischen breiter und schmaler Krämpe, hohem und nie-
derm, rundem und spitzem Kopf, sodaß Philander von Sitte-
wald im "Alamode Kehrauß" noch in dieser Weise darüber reden
konnte: "Wie viel Gattungen von Hüten habt ihr in wenig
Jahren nicht nachgetragen? Jetzt ein Hut wie ein Ankenhafen,
dann wie ein Zuckerhut, wie ein Cardinalshut, dann wie ein
Schlapphut, da ein Stilp (Krämpe) Ehlen breit, da ein Stilp
Fingers breit; dann von Geissenhaar, dann von Kameelshaar,
dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein
Hut als ein Schwarzwälder Käß, dann wie ein Holländer Käß,
dann wie ein Münster-Käß." Bei allen diesen Formen blieb die
schlaffe Nachgiebigkeit die Haupteigenschaft, zu welcher dann der
breite Rand, den man nach Belieben auf der Seite aufkrämpen
konnte, völlig allgemein und dauernd wurde. Mit ihr verband
sich die wallende Feder als bedeutungsvolle Zierde der kriegerisch
flotten Zeit, nebst vielerlei anderem Schmuck, auf den wir noch
zurückkommen werden.

Das Wamms war im sechszehnten Jahrhundert durch die
gewaltige Ausladung des Beinkleides an den Hüften zur Puff-
jacke zusammengeschrumpft; erst mit dem Falle desselben konnte
es wieder naturgemäßes Wachsthum erhalten. Zwar ging die
Hose, was Deutschland betrifft, noch mit der vollen Masse der

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 12

3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Schon in den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahrhunderts
folgen z. B. die Köpfe aller Erzbiſchöfe und Biſchöfe, wie uns
zahlreiche Portraits lehren, mit Locken und Spitzbart der neuen
Mode, und die proteſtantiſche Geiſtlichkeit konnte ſich ſpäter nur
unſchwer wieder davon trennen.

Gleichzeitig mußte ſich auch der ſteife Hut umwandeln,
dem der deutſche Kopf ſich nicht mehr fügen wollte, obwohl eben
erſt der ſchlaffe Filzhut des Bauern ſich nach ihm geformt zu
haben ſchien. Dieſer aber war es, welcher, praktiſcher für den
Kriegsgebrauch, heraufdrang und die ſeidenen und ſammtnen
Hüte aus dem Felde ſchlug. Der erſte Gewinn war, daß der
neue Filz ſich nachgiebig um den Kopf herumſchmiegte; aber die
rechte Form war nicht ſobald gefunden, und man ſchwankte hin
und her zwiſchen breiter und ſchmaler Krämpe, hohem und nie-
derm, rundem und ſpitzem Kopf, ſodaß Philander von Sitte-
wald im „Alamode Kehrauß“ noch in dieſer Weiſe darüber reden
konnte: „Wie viel Gattungen von Hüten habt ihr in wenig
Jahren nicht nachgetragen? Jetzt ein Hut wie ein Ankenhafen,
dann wie ein Zuckerhut, wie ein Cardinalshut, dann wie ein
Schlapphut, da ein Stilp (Krämpe) Ehlen breit, da ein Stilp
Fingers breit; dann von Geiſſenhaar, dann von Kameelshaar,
dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein
Hut als ein Schwarzwälder Käß, dann wie ein Holländer Käß,
dann wie ein Münſter-Käß.“ Bei allen dieſen Formen blieb die
ſchlaffe Nachgiebigkeit die Haupteigenſchaft, zu welcher dann der
breite Rand, den man nach Belieben auf der Seite aufkrämpen
konnte, völlig allgemein und dauernd wurde. Mit ihr verband
ſich die wallende Feder als bedeutungsvolle Zierde der kriegeriſch
flotten Zeit, nebſt vielerlei anderem Schmuck, auf den wir noch
zurückkommen werden.

Das Wamms war im ſechszehnten Jahrhundert durch die
gewaltige Ausladung des Beinkleides an den Hüften zur Puff-
jacke zuſammengeſchrumpft; erſt mit dem Falle deſſelben konnte
es wieder naturgemäßes Wachsthum erhalten. Zwar ging die
Hoſe, was Deutſchland betrifft, noch mit der vollen Maſſe der

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 12
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[177/0189] 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Schon in den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahrhunderts folgen z. B. die Köpfe aller Erzbiſchöfe und Biſchöfe, wie uns zahlreiche Portraits lehren, mit Locken und Spitzbart der neuen Mode, und die proteſtantiſche Geiſtlichkeit konnte ſich ſpäter nur unſchwer wieder davon trennen. Gleichzeitig mußte ſich auch der ſteife Hut umwandeln, dem der deutſche Kopf ſich nicht mehr fügen wollte, obwohl eben erſt der ſchlaffe Filzhut des Bauern ſich nach ihm geformt zu haben ſchien. Dieſer aber war es, welcher, praktiſcher für den Kriegsgebrauch, heraufdrang und die ſeidenen und ſammtnen Hüte aus dem Felde ſchlug. Der erſte Gewinn war, daß der neue Filz ſich nachgiebig um den Kopf herumſchmiegte; aber die rechte Form war nicht ſobald gefunden, und man ſchwankte hin und her zwiſchen breiter und ſchmaler Krämpe, hohem und nie- derm, rundem und ſpitzem Kopf, ſodaß Philander von Sitte- wald im „Alamode Kehrauß“ noch in dieſer Weiſe darüber reden konnte: „Wie viel Gattungen von Hüten habt ihr in wenig Jahren nicht nachgetragen? Jetzt ein Hut wie ein Ankenhafen, dann wie ein Zuckerhut, wie ein Cardinalshut, dann wie ein Schlapphut, da ein Stilp (Krämpe) Ehlen breit, da ein Stilp Fingers breit; dann von Geiſſenhaar, dann von Kameelshaar, dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein Hut als ein Schwarzwälder Käß, dann wie ein Holländer Käß, dann wie ein Münſter-Käß.“ Bei allen dieſen Formen blieb die ſchlaffe Nachgiebigkeit die Haupteigenſchaft, zu welcher dann der breite Rand, den man nach Belieben auf der Seite aufkrämpen konnte, völlig allgemein und dauernd wurde. Mit ihr verband ſich die wallende Feder als bedeutungsvolle Zierde der kriegeriſch flotten Zeit, nebſt vielerlei anderem Schmuck, auf den wir noch zurückkommen werden. Das Wamms war im ſechszehnten Jahrhundert durch die gewaltige Ausladung des Beinkleides an den Hüften zur Puff- jacke zuſammengeſchrumpft; erſt mit dem Falle deſſelben konnte es wieder naturgemäßes Wachsthum erhalten. Zwar ging die Hoſe, was Deutſchland betrifft, noch mit der vollen Maſſe der Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 12

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/189>, abgerufen am 25.11.2024.